StartStreitkräfteFernspäher stellen dem Truppenführer ein weitreichendes und flexibles Asset zur Verfügung

Fernspäher stellen dem Truppenführer ein weitreichendes und flexibles Asset zur Verfügung

Andre Forkert

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Fernspäher sind die „Augen des Heeres“, so auch deren Wahlspruch „Oculus exercitus“. Tief hinter feindlichen Linien operieren sie in kleinen Trupps von bis zu sechs Mann. Sie können bis zu 150 Kilometer weit und unbemerkt in das gegnerische Gebiet vordringen. Dabei nutzen sie Verbringungsarten zu Land, Luft und See. Eine Option der weitreichenden Infiltrierung dieser Spezialisierten Kräfte der Bundeswehr ist das Fallschirmspringen per Freifallsystem.

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Die Fernspäher sind fertig zum Sprung. (Foto: DSK)

Im Juni 2023 erfolgt die Aufstellung der Fernspähkompanie 1 im hessischen Schwarzenborn. Durch die Herauslösung der Fernspähzüge aus der Luftlandebrigade und Aufstellung der Fernspähkompanie unterstreicht die Truppe die Ausrichtung des Heeres auf Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) sowie das Fähigkeitsprofil der Division Schnelle Kräfte (DSK) als leichte und schnelle Kräfte. Mit den Fernspähkräften unter einheitlicher Führung als Divisionstruppe der DSK ist die Division in der Lage Aufklärung in der Tiefe des feindbesetzten Raumes über längere Zeiträume durchzuführen und mit den gewonnen Aufklärungsergebnissen direkt zum streitkräftegemeinsamen Wirkungsverbund beizutragen.

Zudem ergänzen diese hochspezialisierten Kräfte durch ihre flexiblen Einsatzmöglichkeiten auch das Fähigkeitsprofil der Division für militärische Evakuierungsoperationen. Bevor diese Spezialisten jedoch überhaupt die Aufklärung beginnen können, müssen sie im Rahmen der Mission das Einsatzgebiet erst einmal Infiltrieren, oder Einsickern. Damit ist das unbemerkte Eindringen meist kleiner militärischer Aufklärungs- und Spezialeinheiten in das durch den Gegner kontrollierte Gebiet gemeint.

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Die Fernspäher verlassen per Kopfsprung, dem sogenannten „Dive Exit“, das Luftfahrzeug. (Foto: DSK)

Eine Option ist das „militärische Fallschirmspringen“. Darunter versteht man eine gemeinsame Verbringung von Material und Personal in den Einsatzraum. Beim sogenannten „taktischen Gleitfallschirmspringen“ befindet sich ein Absetzflugzeug in großer Höhe, weit entfernt von der geplanten Landezone, um eine Gefährdung – Aufklärung und Beschuss – der Transportmaschine durch feindliche Luftabwehrmaßnahmen zu verringern und Hinweise auf die Landezone zu verschleiern. Nach dem Absprung und umgehender Öffnung gleiten die Springer abhängig von den herrschenden Höhenwindverhältnissen auf die oft weit entfernt liegende Landezone zu.

Dieses Verfahren wird als High Altitude High Opening (HAHO)-Verfahren bezeichnet. Die Entfernung der Absetzung aus dem Transportflugzeug von der Landezone bestimmt sich aus mehreren Faktoren: der Gleitzahl des verwendeten Gleitfallschirms, der Windgeschwindigkeit und der Absetzhöhe. Der Absetzpunkt liegt vom Ziel aus immer entgegen der Windrichtung, damit der „taktische Gleitfallschirmspringer“ mit dem Wind in das Ziel gleiten kann.

Diese Verbringungsart fordert jedem Einzelnen alles ab. Hochkonzertiert muss nach dem Absprung aus dem Transportflugzeug jeder Handgriff sitzen. Fehler führen unweigerlich zum Scheitern des Auftrags. Damit dies möglichst nicht passiert, wird diese Verbringungsart stetig geübt, um den Erfolg eines Auftrages zu gewährleisten. Neben dem reinen Sprungverfahren ist vor allem das Zusammenbleiben des Trupps in der Luft entscheidend, und das vor allem bei Dunkelheit und unter der Nutzung von Nachtsichtgeräten.

Zur Ausbildung und Inübunghaltung war die Fernspähkompanie 1 aus dem hessischen Schwarzenborn extra nach Arizona in den USA gereist, um sich auf die Übung Swift Response 2024 vorzubereiten. Im Vergleich zu europäischen Absetzplätzen herrschen dort das ganze Jahr über optimale klimatische Verhältnisse. Hinzu kommt, dass durch die Abgeschiedenheit des Flugplatzes und der damit verbundenen Ruhe für Ausbildungsvorhaben HAHO- bzw. HALO-(High Altitude Low Opening)-Verfahren ohne Beeinträchtigung des allgemeinen Luftverkehrs durchgeführt werden können. NOTAM (notice to airmen) sind nicht immer erforderlich.

Am Standort der Complete Parachute Solutions (CPS) in Arizona werden auch die Freifaller des Kommandos Spezialkräfte (KSK) regelmäßig aus- und weitergebildet sowie neues Material erprobt. Mit CPS und dem KSK wurde auch das OxyJump NG Sauerstoffsystem für Sprünge aus großen Höhen zuerst in Arizona getestet und zertifiziert, bevor es kürzlich an die Multiplikatorenausbildung ging. Das KSK nutzt aktuell zudem Fallschirme von CPS als Interimslösung, bis ein neues Fallschirmsystem beschafft wird.

Der Absetzplatz ist direkt am Flugplatz gelegen, so dass kurze Umlaufzeiten garantiert sind und die Unterstützung durch das Gastgeberland mit Luftfahrzeugen bei einem eigenen Ausfall garantiert ist, so dass das Ausbildungsvorhaben nicht gefährdet wäre. „Hier sind die Bedingungen, um das Ausbildungsziel zu erreichen, optimal“, so der Kompaniechef der Fernspähkompanie 1, während er sich seine Sprungausrüstung anlegt. In den kommenden 14 Tagen liegt der Ausbildungsschwerpunkt bei Tag und Nacht auf dem taktischen Freifallspringen.  Ziel ist es, bestens gerüstet an der Internationalen Übung in Rumänien, teilzunehmen.

Die hohe Verantwortung der Leitung einer Freifallweiterbildung

Einen taktischen Freifallsprungdienst durchzuführen, ist eine organisatorische Herausforderung. Die Einteilung der Springer und das Besetzen des Transportflugzeugs bedarf täglich viel Erfahrung und Organisationsgeschick. Erfahrung ist auch bei der Führung des Trupps in der Luft enorm wichtig. Daher wird der Trupp nach dem Verlassen des Luftfahrzeuges auch nicht vom Truppführer geführt, sondern vom erfahrensten Fallschirmspringer. Oft ist dies sogar ein Mannschaftsdienstgrad. Zug-, Gruppen-, Zugführer oder Spezialisten wie die Scharfschützen haben oft andere Schwerpunkte und können sich daher weniger auf das Springen konzentrieren.

Dabei musste das Leitungsteam sich neben wechselnden Wetterbedingungen auch anderen Herausforderungen stellen. Wie zu erwarten war, mussten für einen reibungslosen Flugbetrieb in einem internationalen Rahmen normale und eingespielte Abläufe neu eingeschliffen werden. Auf unerwartete Hürden reagierten sowohl das Leitungsteam, wie auch die Besatzung des Luftfahrzeugs mit großer Flexibilität und Improvisationsgeschick. Am Ende gelang es rund 750 Fallschirmsprünge, davon 150 bei Nacht, durchzuführen. Alle Teilnehmer konnten hier ihren Erfahrungsschatz erweitern und vertiefen.

„Die Bedingungen waren nicht immer leicht, aber man konnte dadurch viele neue Erfahrungen sammeln. Gerade das Nachtspringen hat mich handlungssicherer gemacht und ich war gut vorbereitet auf die Übung
im Mai“, wie ein Teilnehmer zu berichten wusste.

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Ob bei Tag, Dämmerung oder Nacht, ein Ziel ist das die Springer auch im Gleitschirmeinsatz dicht beieinander bleiben und wie eine Perlenschnur aufgefächert zur Landezone gleiten. (Foto: DSK)

Der Sprung ins Dunkle

Zur Königsklasse beim taktischen Freifallspringen gehört der Nachtsprung mit kompletter Gefechtsausrüstung. Um die Fallschirmspringer auf die Nachtsprünge vorzubereiten, wird zuallererst ein Dämmerungssprung durchgeführt. Der Ablauf hierbei ist identisch mit dem darauffolgenden Nachtsprung. Er wird aber, wie es der Name schon verrät, in der Dämmerung absolviert.

Die Bedingungen an dem dafür vorgesehenen Sprungtag waren hervorragend: wolkenloser Himmel, etwas Wind, und der Mond beleuchtete sanft den Abendhimmel. Die Trupps begannen damit, ihre Ausrüstung vorzubereiten. Dazu ist unter anderem für jeden Springer ein entsprechender Beleuchtungssatz vorgesehen, den jeder an seiner Ausrüstung befestigte. Diese Beleuchtung ist notwendig, um Kollisionen in der Luft zu vermeiden. Und er dient bei Dunkelheit jedem Springer dazu, sich zu orientieren und dem Vordermann zu folgen.

Nach Abschluss aller vorbereitenden Maßnahmen noch durch den Sicherheitscheck, und dann ging es auch schon in das Transportflugzeug. Es folgte ein zügiger Start und ein schneller Steigflug auf die geplante Absetzhöhe. Zeitnah begann der Absetzer nach wenigen Minuten in der Luft auch schon mit den Handzeichen zur Sprungvorbereitung. Jeder Springer überprüfte abermals seine Ausrüstung und die der Kameraden. Kurz darauf sprang in der Kabine die Signalbeleuchtung auf Rot um, und die Heckrampe wurde geöffnet.

Kühle Luft strömte in das Transportflugzeug, und die Springer begannen ihre Beleuchtung einzuschalten. Der Absetzer gab das Signal, dass es in Kürze los geht und forderte den ersten Springer somit auf, sich an den Rand der geöffneten Rampe zu begeben. Während der Springer auf das grüne Licht wartete, konnte man die Lichter der Städte am Boden unter sich vorbeiziehen sehen. Dann sprang die Signalbeleuchtung auf grün, und der Absetzer gab die Rampe frei. Ein Springer nach dem anderen verließ das Flugzeug mit einem Kopfsprung, dem sogenannten „Dive Exit“, in den Nachthimmel Arizonas.

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Einer der Fernspäher kurz vor der Landung. (Foto: DSK)

Fast lautlos und mit Nachtsehmitteln ausgestattet, bewegten sich die Springer einer nach dem anderen am Fallschirm gleitend zur Landezone. Erst kurz vor der Landung ließen die Springer ihre persönliche Ausrüstung ab, die während des Gleitfluges vor den Körpern befestigt ist. So landeten alle unversehrt. Nach kurzer Sammelphase ging es zurück zum Flugplatz, um sich auf den nächsten Sprung vorzubereiten.

„Die Tage begannen schon sehr früh am Morgen, und es war auch sehr kräftezehrend. Aber das Ergebnis kann sich sehen lassen. Meine vorherige Unsicherheit, gerade bei den Nachtsprüngen, ist wie weggeblasen. Das machte die tägliche Routine“, sagte ein junger Fernspäher beim Nachbereiten seiner Ausrüstung.

Mit dieser sehr intensiven und fordernden Ausbildung konnte die Fernspähkompanie 1 mit dem Aufenthalt in den USA einen großen Schritt nach vorne machen. Es wurden zwar auch Mängel festgestellt, die aber umgehend abgestellt werden konnten, so dass mit der Beendigung des Ausbildungsabschnitts ein weiterer Abholpunkt erreicht wurde. Bis zum Beginn von Swift Response 2024 folgten zeitnah noch weitere Ausbildungsabschnitte. Getreu ihrem Wahlspruch verlieren die Fernspäher ihr Ziel nie aus den Augen und tragen so für die Einsatzbereitschaft des Deutschen Heeres bei.

Andre Forkert