StartStreitkräfteKommentar: Strategische Blindheit der Politik gefährdet Soldaten und Zivilisten

Kommentar: Strategische Blindheit der Politik gefährdet Soldaten und Zivilisten

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Die Streitkräfte und die in Afghanistan verbliebenen Zivilisten müssen im Augenblick die Fehler ausbaden, die auf eine fehlende politische Weitsicht der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zurückzuführen sind. Die aktuell um die Welt gehenden Bilder vom Flughafen Kabul, wo sich Menschen an die startenden Militärmaschinen klammern, sind da nur ein Vorgeschmack für die Herausforderung, die die Soldaten nun zu meistern haben.

Wir können alle nur hoffen, dass die nun angelaufene Evakuierungsoperation erfolgreich abgeschlossen wird und sowohl die Kräfte der Bundeswehr, als auch alle am Hindukusch befindlichen Deutschen sowie möglichst viele der afghanischen Ortskräfte sicher nach Deutschland gebracht werden können.

Seit mindestens einer Woche zeichnete sich der Kollaps Afghanistans ab. Dennoch konnte sich Deutschland nicht dazu entschließen, zusätzliche Maßnahmen zur Sicherheit der in Afghanistan verbliebenen Schutzbefohlenen einzuleiten. Es scheint, als habe man sich darauf verlassen, genügend Zeit für eine geordnete zivile Evakuierung zu haben. Demzufolge hat man es offenbar versäumt, adäquate militärische Handlungsoptionen zu entwickeln.

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Spätestens nach dem Fall von Kunduz wäre es jedoch ratsam gewesen, für den Fall der Fälle Evakuierungskräfte der Bundeswehr in ein Nachbarland Afghanistans oder direkt an den Flughafen in Kabul zu verlegen. Dann wäre auch genügend Zeit gewesen, neben Transportflugzeugen auch Hubschrauber ins Einsatzland zu verlegen. Hätte man dies getan, ständen schon seit Tagen Kräfte und Mittel bereit, um beispielsweise Ortskräfte aus dem ehemaligen Bundeswehrstützpunkt in Masar-e Scharif oder dem afghanischen Umland zu evakuieren.

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Evakuierungsoperationen sind dann erfolgreich, wenn man sich eröffnende Gelegenheiten schnell nutzen kann. Dies geht aber nicht aus dem fernen Deutschland, sondern nur aus der unmittelbaren Nähe.

Die deutschen Streitkräfte trainieren für genau solche Operationen und halten die größtmögliche Einsatzbereitschaft, für den Marschbefehl ist jedoch Berlin zuständig. Die dort offensichtlich herrschende strategische Blindheit hat dazu geführt, dass man diese Handlungsoption nicht genutzt hat. So muss man nun auf die Fähigkeiten der afghanischen Ortskräfte setzen, den „sicheren“ Flughafen in Kabul zu erreichen bzw. die Fähigkeiten und den Willen der USA, den Flughafen solange wie möglich für internationale Evakuierungsoperationen offenzuhalten.

Neben der Bundesregierung haben sich auch der Bundestag im Speziellen und die deutsche Politik im Allgemeinen nicht gerade mit Ruhm bekleckert, wenn es darum geht, die Lage vor Ort frühzeitig zu erkennen und das drohende Unheil abzuwenden. Es wurde ausschließlich auf zivile Optionen gesetzt, viel zu spät wurde der Einsatz deutscher Truppen gefordert.

Die Politik hat es versäumt zu handeln und sich Handlungsoptionen zu eröffnen. Nun muss sie hoffen, möglichst mit einem blauen Auge aus der Sache herauszukommen. Es sollten deshalb so schnell wie möglich Lehren aus den Entwicklungen der vergangenen zwei Wochen gezogen werden, damit sich eine vergleichbare Situation für Deutschland nicht wiederholt. Nach den Geschehnissen 1994 in Ruanda hat die deutsche Politik gelernt, dass spezifische Kräfte für Militärische Evakuierungsoperationen notwendig sind und diese aufgestellt. Nun müssen ebenfalls Lehren gezogen und gelernt werden wie und zu welchem Zeitpunkt diese Kräfte richtig einzusetzen sind.

Unsere vorherige Berichterstattung zu der militärischen Evakuierungsmission der Bundeswehr in Afghanistan:

Waldemar Geiger