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Deep Fakes als Vorboten der ukrainischen Gegenoffensive?

Waldemar Geiger

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Mit der Wirkung im Informationsraum können Effekte erzielt werden, die das Verhalten feindlicher Streitkräfte und deren Zivilbevölkerung beeinflussen können. Für die Erreichung militärisch gewünschter Effekte können koordinierte und in Operationen integrierte Informationsaktivitäten auch für Täuschoperationen – für sich alleine gestellt oder im Verbund mit anderen physischen Aktivitäten (Attrappen, Scheinstellungen- und angriffen,…) – genutzt werden. Nach Weisungslage der Bundeswehr sowie der NATO dürfen Täuschungen nur im unmittelbaren Zusammenhang mit tatsächlichen Operationen erfolgen, andernfalls sind diese verboten, da die Streitkräfte sonst ihren Operationsraum und somit auch den Verantwortungsbereich verlaßen würden. Unbenommen davon sind Informationsaktivitäten anderer, nicht den Streitkräften zugeordneter Akteure.

Mit diesem Wissen im Hinterkopf, lohnt es sich die Meldungen aus dem russisch besetzten Teil der Ukraine vom Wochenende genauer zu betrachten.

Unterschiedlichen Veröffentlichungen in den Sozialen Medien zufolge waren am Wochenende im Radio und Fernsehen sogenannte Deep Fake Ansprachen vom russischen Staatspräsidenten zu empfangen, die unter anderem zur Evakuierung der auf dem Russisch besetztem Territorium – wozu auch die Krim zählt – verbliebenen Bevölkerung auf das ursprüngliche russische Territorium aufgerufen haben.

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Zum jetzigen Zeitpunkt ist weder bekannt welchen Effekt diese Ansprachen erzielt haben noch, wer der Urheber der vorgetäuschten Ansprachen ist. Es kann jedoch vermutet werden, dass solche Deep Fakes, die in das russische Übertragungsprogramm eingespielt werden konnten, dazu geeignet sind, um sowohl Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des russischen Staates – der sich stark auf das russische Fernsehen als Beeinflussungsinstrument der eignen Bevölkerung stützt – zu unterminieren, als auch Verwirrung – bis hin zu Panik – im unmittelbar betroffenen Operationsraum zu stiften. Dadurch können beispielsweise russische Truppenbewegungen gehemmt oder Nachschubwege gestört werden, indem fliehende Zivilbevölkerung Wegenetzte verstopft. Träte dieser Effekt ein, wären die russischen Truppen im Falle einer ukrainischen Gegenoffensive erheblich in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt.

Es ist daher eindeutig, dass solche Deep Fakes ein geeignetes Mittel sind, um militärisch gewünschte Effekte zu erzielen. Schließlich ist es am Ende des Tages nicht von Belang, ob ein Munitionsdepot von einem Marschflugkörper zerstört wurde, oder die vom Depot zur Front führenden Wege und Straßen verstopft sind, der Effekt im Gefecht ist derselbe, der Munitionsnachschub und damit die Fähigkeit zum Kämpfen sind gestört. Das gleiche gilt für Brücken, Wegekreuze etc.

Sind solche Deep Fake – vorausgesetzt sie werden durch Streitkräfte erzeugt und eingesetzt – auch ein legitimes Mittel der Kriegsführung? Diese Frage ist deutlich schwerer zu beantworten. Generell ist aber das technische Mittel für die Beantwortung der Frage unerheblich. Egal ob kaum als Fälschung erkennbare Deep-Fake-Videos oder einfache Flugblätter bzw. Sprachansagen, die eine unwahre Behauptung in den Raum stellen, stellen sie in letzter Konsequenz alle eine Täuschung dar.

Genau diesen Aspekt der Täuschung lohnt es sich genauer zu betrachten. Der russische Staat und die russischen Streitkräfte setzen das Mittel der Täuschung bekanntermaßen sehr freizügig ein. Egal ob die Causa der unbekannten grünen Männchen der Krim, der Behauptung, dass die sich zur Invasion vorbereitende Streitmacht einen Abzugsbefehl in die Heimatgarnisonen erhalten habe oder dem Umstand, dass die russischen Streitkräfte mehr westliche Waffensysteme spezifischen Typs vernichtet hätten, als zur Lieferung überhaupt anstanden und teilweise noch bevor diese überhaupt geliefert wurden, es wird teilweise gelogen bis sich sprichwörtlich die Balken biegen.

Westliche Streitkräfte – wie beispielsweise die Kräfte für Operative Kommunikation der Bundeswehr – sind da deutlich restriktiver. Auch diese sind in der Lage zu täuschen und würden dies im Bedarfsfall auch tun, jedoch sind solche Täuschoperationen nach Lesart der Bundeswehr ausschließlich in sehr spezifischen Szenarien und sehr spezifischem Ausmaß im festgesteckten Mandat der Bundeswehr legal und legitim. Um es deutlich zu machen, eine ausschließlich auf die Unterminierung der russischen Staatsführung abzielende Täuschoperation wäre den Kräften der Bundeswehr untersagt. Erlaubt wäre es hingegen die feindlichen Streitkräfte und die dazugehörige Bevölkerung über Ort und Zeitpunkt einer bevorstehenden Offensive zu täuschen – vorausgesetzt die Offensive findet tatsächlich statt.

Beachtenswert in einem solchen Fall der Wirkung im Informationsraum ist zudem, dass die Skalierung des Effektes nur schwer bis gar nicht möglich ist. Während man den Effekt einer 2.000-Pfund-Bombe auf eine Brücke recht genau bestimmen kann, lässt sich die Wirkung einer spezifischen Information auf eine Bevölkerung nicht vorhersagen, nicht letal gedachte Effekte können so unter Umständen ungewollte tödliche Wirkungen entfalten.

Deep Fakes als Vorbote einer ukrainischen Offensive

Die Wirkung im Informationsraum würde sich nahtlos in die anderen derzeit laufenden Bemühungen der ukrainischen Streitkräfte einreihen, mit denen das Gefechtsfeld für eine Offensive vorbereitet wird. Klassischerweise werden vor größeren Operationen logistische Einrichtungen sowie Führungsstäbe und Kommandostrukturen des Gegners mit weitreichenden Waffen angegriffen, um die Fronttruppen vom Nachschub sowie von einer effektiven Führung abzuschneiden. Solche Angriffe in die Tiefe des russisch besetzten Raumes wurden in den letzten Wochen wieder gehäuft wahrnehmbar.

Ginge man davon aus, dass die Regularien der ukrainischen Streitkräfte für Täuschoperationen im Informationsraum eher denen der NATO-Staaten als Russland entsprechen und die Veröffentlichung der Deep Fakes Bestandteil ukrainischer Informationsaktivitäten ist, könnte die von Beobachtern des Krieges langerwartete Gegenoffensive tatsächlich bald beginnen.

Waldemar Geiger