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Segelflugausbildung: Eins mit der dritten Dimension

Miriam Altfelder

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Der Traum vom Fliegen: Seit nunmehr zehn Jahren lernen die Offizieranwärter der Luftwaffe die Grundlagen der Luftfahrt kennen. Die Segelflugwoche wurde zum festen Bestandteil der achtmonatigen Offizierausbildung. Und das nicht nur für angehende Pilotinnen und Piloten.

Die Anfänge der Segelflugausbildung in der Luftwaffe

Mit dem Ziel, dass zukünftige Offiziere praxisorientierter lernen, militärisch zu führen, konzipierten Experten im Jahr 2012 die Ausbildung für Offiziere im Truppendienst neu. Der Lehrgang erhielt mehr und vor allem neue Praxisanteile. Von besonderer Bedeutung war es, dass die angehenden Luftwaffenoffiziere die Dimension „Luft“ selbst erleben. Dabei sollen sie unabhängig von ihrer weiteren Ausbildung innerhalb der Luftwaffe „ihre“ Dimension kennenlernen und ein Gefühl für die Arbeit und Verantwortung im Flugbetrieb bekommen. Einer der Gründerväter der Segelflugausbildung ist Oberst i. G. Harald Rattay, verantwortlich für die Ausbildungsplanung im Kommando Luftwaffe in Köln. Gemeinsam mit Georg Hemkendreis, dem ehemaligen Geschäftsführer der Flugplatzgemeinschaft Oelinghausen, entwickelte die Luftwaffe eine ein- wöchige Intensivschulung für das Segelfliegen. Die Umsetzung eines tragfähigen Ausbildungskonzepts barg viele Hürden und es kostete in allen Bereichen immer wieder Überzeugungsarbeit. Doch schnell waren sich alle einig, dass dieser praktische Ausbildungsabschnitt den angehenden Offizieren in ihrer späteren Laufbahn unterstützend zur Seite stehen wird. Hierbei geht es nicht nur um das Gefühl für das selbstständige Fliegen eines Luftfahrzeuges. Ziel des Moduls ist es vielmehr, den künftigen Führungskräften der Luftwaffe praxisnah Werte, Wissen und Grundsätze der Fliegerei näherzubringen. Mit den gesammelten eigenen Erfahrungen und vermittelten Grundkenntnissen wird die Zusammenarbeit mit den Kameraden im Team Luftwaffe gestärkt.

Die Luftwaffe verfügt über keine eigenen Ressourcen und Ausbildungskapazitäten, somit gab es eine europaweite Ausschreibung. Mit der Segelflugschule Oerlinghausen, Europas größter Segelflugschule, hatte die Luftwaffe 2013 ihren ersten Kooperationspartner gefunden. In den darauffolgenden Jahren kam zusätzlich die Fliegerschule Wasserkuppe wie auch der Standort Roth dazu. Seitdem ist die Segelflugausbildung in der Luftwaffe ein Gemeinschaftsprojekt, welches auf die enga- gierte Mitarbeit aller Beteiligten angewiesen ist. Viele Flugleh- rer begleiten die angehenden Offiziere der Luftwaffe bereits seit vielen Jahren. Auch für sie ist die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Segelflugschule etwas ganz Besonderes. Vor allem das konzentrierte, fokussierte und engagierte Arbeiten von Soldatinnen und Soldaten beeindruckt sie jedes Mal.

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Die Segelflugausbildung vermittelt den künftigen Führungskräften der Luftwaffe praxisnah Werte, Wissen und Grundsätze der Fliegerei. (Foto: Bw)

Erleben der dritten Dimension

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Als Teil des achtmonatigen Lehrgangs an der Offizierschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck vermittelt dieses Modul den Teilnehmern zunächst die Grundlagen der Luftfahrt. In theoretischen Unterrichtseinheiten lernen die Sol- daten die physikalischen Zusammenhänge kennen und bekommen eine erste Einweisung in die Bauteile des Segelflugzeuges. Hierbei erklären die Dozenten ins- besondere den Aufbau des Cockpits sowie die einzelnen Instrumente. Für viele der angehenden Offiziere ist es das erste Mal, dass sie sich mit der Thematik des Flugbetriebes auseinandersetzen. Nach den ersten theoretischen Lerninhalten geht es für die zukünftigen Führungskräfte in den hauseigenen Simulator. Im Lehrgebäude der Offizierschule der Luftwaffe stehen für die Einweisung in den Segelflug mehrere Flugsimulatoren bereit. Hier bekommen die Lehrgangs- teilnehmenden ein erstes Gefühl dafür, wie der Flieger auf verschiedene Befehle reagiert und wie es sich anfühlt, in einem Segelflugzeug zu sitzen. Neben Start und Landung zeigt der Fluglehrer die ersten Manöver. Die Offizieranwärter lernen bereits hier, wie man Kurven fliegt und werden mit einer Platzrunde vertraut gemacht. Erst wenn die Grundlagen des Fliegens sowohl theoretisch als auch praktisch im Simulator verinnerlicht wurden, dürfen die Soldaten in das Cockpit des echten Segelfliegers steigen.

Auf dem Flugplatz in Roth, in Oerlinghausen oder auf der Wasserkuppe erwartet die Soldaten ein fünftägiger Intensivkurs. Nach einem kurzen Einweisungsvortrag, bei dem die wichtigsten Regeln für die kommende Woche erklärt werden, dürfen die Offizieranwärter in die Flugzeughallen. Hier bekommt je- de Kleingruppe einen Fluglehrer zugeordnet, mit dem sie die gesamte Woche verbringen. Schnell lernen die Soldaten, wie wichtig Kameradschaft auch im Flugbetrieb ist. Während die einen Soldatinnen und Soldaten die Segelflieger startklar machen, bauen die anderen bereits an der Startbahn die Windenstellplätze und Zelte auf. So hat jeder auf dem Flugplatz seine Aufgabe. Im Startbereich gibt es einen Funker, der in ständiger Verbindung zum Bediener der Seilwinde steht. Auf das Handzeichen des Soldaten, der das Seil am Segelflieger befestigt hat, gibt der Funker den Befehl, dass das Seil angezogen werden kann. Auch das Starten funktioniert nicht ohne die Hilfe von Kameraden. Um den Segelflieger beim Anziehen des Seils in einer Balance zu halten, ist es notwendig, dass einer der Sol- daten die ersten Meter mitläuft und die Tragfläche festhält. In der Luft sind alle Flugzeuge per Funk miteinander, aber auch mit den Kameraden im Startbereich verbunden.

Für die Landung meldet sich der Pilot, wie auch an jedem Flughafen, bei dem Flugplatz an. Erst wenn der Landebereich frei ist, dürfen die Offizieranwärterinnen und Offizieranwärter landen.

Die verschiedenen Aufgaben vermitteln den angehenden  Führungskräften, dass man „mehr als den Piloten zur Produktion von Flugsicherheit“ braucht, so Oberst i. G. Rattay. Die Gewährleistung eines sicheren Flugbetriebs ist demnach ebenfalls ein wichtiger Schwerpunkt der Ausbildung.

Das eigentliche Fliegen ist nur ein Teil des angestrebten Lernerfolgs. Bei dem Modul „Erleben der dritten Dimension“ geht es nicht nur um das selbstständige Fliegen. Die angehenden militärischen Führer lernen bei dieser Ausbildung selbstständig Entscheidungen zu treffen. Besonders auf nicht kalkulierbare Faktoren müssen Offizierinnen und Offiziere besonnen und überlegt reagieren, um so den bestmöglichen Lösungsweg zu finden.

Dieser Entscheidungsprozess ist einer der Wesensmerkmale, die die Luftwaffe ihrem Führungspersonal abverlangt. Auch Kameradschaft wird den Offizieranwärtern während der Ausbildung vor Augen geführt. Für Oberst i.G. Rattay ist dieses Thema besonders wichtig: „Kameradschaft – also die sichere Gewissheit, sich in jeder Situation aufeinander verlassen zu können und die Garantie, dass Schwächen einzelner durch ein zusammengeschweißtes Team ausgeglichen werden.“ Es geht bei diesem Modul nicht nur um das Erlebnis im Cockpit. Es ist eine Teambuilding-Maßnahme zur Vermittlung des Mottos der Luftwaffe: „Team Luftwaffe“.

Zehnjähriges Jubiläum

Im Oktober 2023 jährte sich die Zusammenarbeit zwischen Segelflugschule und Luftwaffe zum zehnten Mal. Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Segelflugausbildung gab es an der Segelflugschule Oerlinghausen nahe dem Teutoburger Wald einen feierlichen Appell. Der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz, eröffnete den Appell mit sei- ner Rede. In den letzten zehn Jahren haben mehr als 5.000 Offizieranwärter den Mut bewiesen, den Himmel auch ohne Motorkraft zu erobern. Generalleutnant Gerhartz ist stolz da- rauf, den angehenden Offizieren „eine Ausbildung mit mehr Praxis, mit Erleben im Team und mit spürbarer Verantwortung zu ermöglichen“. Nach der Ausbildung seien alle Offiziere für immer mit der Dimension Luft verbunden. Genau dieses Ge- fühl war das Ziel bei der Umstrukturierung des Offizieranwärterlehrgangs.

Auch Oberst i. G. Rattay war bei dem Appell und fasste das letzte Jahrzehnt zusammen. Die festgelegten Ausbildungsziele des Moduls wurden vollumfänglich erreicht. „Die Segelflugausbildung war, ist und bleibt ein wichtiger Abschnitt im Rahmen der Offizierausbildung der Luftwaffe!“, so Oberst G. Rattay. Auch die Resonanz außerhalb der Luftwaffe sei äußerst positiv, mittlerweile gäbe es sogar Nachahmer, die dieses Programm ebenfalls als Teambuilding-Maßnahme übernehmen. Er freut sich darüber, dass für einige Soldaten die Einweisung in die dritte Dimension so motivierend ist, dass sie anschließend dem Flugsport treu bleiben. Besonders stolz ist er darauf, dass es in all den Jahren keinen einzigen Flugunfall oder -zwischenfall gab.

Die Flugsicherheit steht trotz des Spaßes immer an oberster Stelle. Musikalisch begleitet wurde der feierliche Appell durch ein Musikkorps der Bundeswehr.

Eigene Erfahrung

„Ich bin Leutnant Miriam Altfelder, 27 Jahre alt und ha-be 2023 meinen Offizieranwärterlehrgang abgeschlossen. Aktuell bin ich als Presseoffizier im Luftwaffentruppenkommando in Köln eingesetzt.

Schon als kleines Kind haben mich Flugzeuge immer begeistert und ich war Stammgast auf der Besucherterrasse am Flughafen. Aber selbst fliegen? Das war nie der Plan. In meiner letzten Tätigkeit als Fotograf in der Flugbereitschaft des Bundesministeriums der Verteidigung wurde meine Begeisterung für die Fliegerei noch mal verstärkt. Dennoch habe ich nie darüber nachgedacht, mich selbst ins Cockpit zu setzen. Als dann die Zusage für die Offizierlaufbahn und damit auch für den Offizieranwärterlehrgang kam, fiel mir sofort die Segelflugwoche ein. Ab da kribbelte es mir unter den Nägeln, die dritte Dimension kennenzulernen.

Schon einige Wochen vor der praktischen Woche wurden wir auf dieses Highlight vorbereitet. Im Theorieunterricht und im Simulator lernten wir die Grundlagen und bekamen ein erstes Gefühl dafür, wie es ist, ein Flugzeug zu fliegen. Im Sommer, bei bestem Wetter, sind wir dann endlich nach Roth auf den Flugplatz gefahren. Nach einer Einweisung für die kommenden Tage ging es auch schon in die Flugzeughallen. Wir wurden direkt in die Flugvorbereitung eingebunden, bekamen Checklisten und haben gemeinsam mit unserem Fluglehrer die Segelflieger startklar gemacht. Auf der Startbahn angekommen, schauten wir uns mit strahlenden Augen an und wussten, „Jetzt fliegen wir“. Da ich erst im zweiten Durchgang dran war, konnte ich mir den ersten Start meiner Kameraden ansehen. Ich weiß noch genau, wie aufgeregt ich plötzlich war. So ein Segelflugzeug startet deutlich schneller und steiler als ich gedacht hätte. Wenige Minuten später landeten meine Kameraden wieder neben mir, stiegen aus und übergaben mir ihren Fallschirm-Rucksack. Aufgeregt, aber voller Vorfreude stieg ich auf den vorderen Sitz meines Segelfliegers. Nach dem Vorflug-Check wurden wir an der Seilwinde eingehakt und es ging los. In wenigen Sekunden waren wir auf 400 Metern Höhe. Auf das Kommando meines Fluglehrers griff ich nach dem kleinen Ball und löste damit das Schleppseil. Und dann war es soweit – ich fliege. Der Blick aus dem Cockpit fühlte sich unglaublich an. So hoch über dem Boden zu sein und zu wissen, dass man gerade selbst das Flugzeug steuert, war ein überwältigendes Ge- fühl. Nach wenigen Minuten war mein erster Flug zwar vorbei, aber ich konnte es nicht abwarten, mich wieder in den Flieger zu setzen.

Die ersten Flüge waren noch etwas schwierig, aber mit jedem Flug wurden die Handgriffe intuitiver und das Verständnis für die dritte Dimension immer größer. Am Ende der Woche konnten viele von uns schon selbstständig starten und fliegen. Auch der Blick für die thermischen Bedingungen wurde mit jedem Tag besser. Wir haben erkannt, wo es Auftrieb gab und wir ohne Seilwinde und Motorkraft immer höher fliegen konnten. So konnten wir die Flugzeit verlängern und größere Runden fliegen. Als der letzte Tag angebrochen war, konnte ich bei vielen meiner Kamera- den Wehmut spüren. Die Woche auf dem Flugplatz und im Cockpit eines Segelfliegers wird uns allen wohl immer in Erinnerung bleiben.

Rückblickend betrachtet, bin ich unglaublich dankbar für diese Erfahrung und kann sagen, dass ich ein neues Hobby gefunden habe.“

Wie es sich für ein Ereignis der Luftwaffe gehört, wurde die Titelmusik aus dem Film-Klassiker Top Gun gespielt. Ein Gänsehautmoment für die angetretenen Soldaten, aber auch die zahlreichen Gäste. Auf dem Flugplatz folgte anschließend ein Flying Display, also einer fliegenden Vorführung eines Kunst- Segelfliegers. Auch wenn die angehenden Offiziere in ihrer Segelflugwoche keine Kunststücke lernen, sorgte diese Vorstellung für viele strahlende Gesichter.

Nach zehn Jahren Segelflugausbildung in der Luftwaffe sind alle Beteiligten stolz darauf, den angehenden Offizierinnen und Offizieren mit der Umstrukturierung des Lehrgangs das Erlebens der dritten Dimension ermöglicht zu haben. Auch Oberst i. G. Rattay blickt zufrieden auf das letzte Jahrzehnt und freut sich auf die kommenden Jahre: „Wir – die Luftwaffe – sind bereit, diese Erfolgsstory fort- zusetzen.“

Leutnant Miriam Altfelder ist Presseoffizier im Luftwaffentruppenkommando.