Bei der ukrainischen Kursk-Offensive haben russische Kräfte im Rahmen ihrer seit zehn Tagen laufenden erneuten Gegenoffensive einen weiteren Vorstoß unternommen. Dabei rückten sie nördlich der umkämpften Ortschaft Ljubimowka mehrere Kilometer in Richtung Malaja Loknja vor. Erkennbare Absicht des russischen Vorgehens ist, das von der Ukraine gehaltene Gebiet in mehrere Kessel zu unterteilen, um den Gegner so Stück für Stück aufzureiben. Ein entsprechender Versuch war bereits in der Vorwoche südlich von Ljubimowka erkennbar, allerdings konnte die ukrainische Seite das Schließen des Kessels bislang noch verhindern.
Als Reaktion auf die Vorstöße haben die Ukrainer zwei Gegenangriffe, teils mit gepanzerter Unterstützung in geringer Stärke – russische Berichte sprechen von je einem Kampfpanzer Abrams und Schützenpanzer Bradley – in deren Flanke unternommen. Dieser Kräfteansatz scheint typisch für das Vorgehen beider Seiten, die entgegen aller Grundsätze mobiler Operationen häufig einzelne Kampffahrzeugen zur Unterstützung eigener Kräfte einsetzen. Dies ist möglicherweise nicht nur der Verfügbarkeit, sondern auch den besonderen Gefechtsfeldbedingungen mit der omnipräsenten Bedrohung durch Drohnen und schnelle „kill chains“ gegen Ziele selbst geringeren Werts geschuldet.
Kursk-Offensive und Gegenoffensive weiter stockend
In jedem Fall konnte die russische Seite in den letzten Tagen keine weiteren Geländegewinne verzeichnen. Dies gilt auch für die Frontabschnitte bei Plechowo im Südosten und bei Weseloje im Westen. Die Ukraine konnte lediglich bei Martinovka entlang der Straße nach Kursk erneut im geringen Umfang Gelände sichern. Strategisch bleibt die Lage für Kiew kritisch, da russische Kräfte nach der kürzlichen Einnahme der Stadt Vuhledar im Südosten des Landes weiter stückchenweise vorrücken und insbesondere die strategisch wichtige Stadt Pokrowsk im Osten weiterhin bedroht ist.
Mittlerweile hat Präsident Woldymyr Selenskyj vor dem ukrainischen Parlament zumindest Teile seines „Siegesplans“ öffentlich gemacht. Wie erwartet setzt dieser auf weitere westliche Unterstützung einschließlich der Lieferung weitreichender Waffensysteme sowie eine Einladung zur NATO-Mitgliedschaft oder vergleichbare Sicherheitsgarantien. Eine angebliche Drohung Selenskyjs, andernfalls eine nukleare (Wieder-) Bewaffnung der Ukraine anzustreben, scheint in Berichten aus dem Zusammenhang gerissen worden und auch praktisch nicht zu realisieren sein.
Neue Lieferungen für die Ukraine
Zumindest konnte die Ukraine jedoch aus Deutschland je ein weiteres Luftverteidigungssystem IRIS-T SLM (damit nun insgesamt fünf) und SLS (jetzt vier), die letzten 20 von 140 zugesagten Schützenpanzer Marder, acht weitere Kampfpanzer Leopard 1 A5 (jetzt 88 aus der gemeinsamen deutsch-dänisch-niederländischen Initiative) und sechs weitere Panzerhaubitzen 2000 (jetzt 20) in Empfang nehmen. Eine substanzielle Lieferung ist mit 49 Kampfpanzern M1A1 Abrams aus Australien zu erwarten, die durch neue M1A2 SEPv3 abgelöst werden sollen. Ein Zeitrahmen, auch im Hinblick auf mögliche Überholungsmaßnahmen, wurde allerdings nicht genannt.
Für Aufsehen sorgten Berichte des südkoreanischen Nachrichtendienstes, wonach Nordkorea 1.500 Soldaten von Spezialeinheiten nach Russland entsandt habe, die gegen die ukrainische Kursk-Offensive zum Einsatz kommen sollten. Die ukrainische Regierung sprach sogar von Plänen für insgesamt 10.000 Mann. Eine unabhängige Bestätigung gibt es bislang nicht. Im Vergleich zu ähnlichen früheren Gerüchten über Syrer und andere Verbündete ist von Nordkorea immerhin bekannt, dass es in großem Umfang Munition an Russland liefert. Nach einem kürzlichen Bericht der britischen „Times“ sollen etwa nordkoreanische Artilleriegranaten die Hälfte des russischen Verbrauchs in der Ukraine ausmachen.
Stefan Axel Boes