Bei der ukrainischen Kursk-Offensive und der russischen Gegenoffensive konnten russische Kräfte im Norden des Kampfgebiets in Richtung Pogrebki vorrücken. Absicht dürfte sein, im Zusammenwirken mit dem früheren Vorstoß aus Richtung der seit Wochen umkämpften Ortschaft Ljubimowka auf Malaja Loknja einen Kessel um ukrainische Truppen nordwestlich des letzteren Ortes zu bilden. Allerdings konnte weder der erste Vorstoß bislang Malaja Loknja erreichen, noch ist es den Russen gelungen, den Kessel südlich Ljubimowka zu schließen.
Einen weiteren Geländegewinn erzielte die russische Seite im Westen südlich von Weseloje, wo sie das Zentrum des ukrainischen Entlastungsangriffs gegen die Gegenoffensive zur Staatsgrenze zurückdrängen konnte. Allerdings halten sich die Ukrainer noch zu beiden Seiten auf kleineren Abschnitten russischen Territoriums. Nordöstlich von Malaja Loknja versuchen sie weiterhin, Gelände zu sichern. Jedoch ist die Initiative insgesamt weiterhin auf russischer Seite.
Kursk-Offensive vor dem Ende?
Damit stellt sich erneut die Frage nach der sinnvollen Fortsetzung der Kursk-Offensive, während Russland im Donbass bei Pokrowsk und Vuhledar weiter vorrückt und zusätzliche ukrainische Kräfte dort dringend gebraucht werden. Eine Rationale bleibt der Einsatz besetzten russischen Territoriums, egal welchen Umfangs, als Verhandlungsmasse für eine mögliche politische Beilegung des Konflikts insgesamt. Nach einem Bericht der „Financial Times“ ist die Besetzung jedoch ein Hindernis für ein Abkommen über den Stopp der gegenseitigen Angriffe auf die Energieinfrastruktur, das beide Seiten in indirekten Gesprächen unter Vermittlung Katars verhandeln.
Für die Ukraine wäre ein solches Abkommen angesichts der absehbaren Probleme mit der Energieversorgung im nahenden Winter wichtig. Präsident Wolodymir Selenskyj hat einen solchen Schritt zudem als möglichen Einstieg in einen generellen Waffenstillstand bezeichnet. Für Russland sind die ukrainischen Drohnenangriffe auf Ölraffinerien und ähnliche Ziele zwar ein Ärgernis, aber weniger bedrohlich. Ein Ende der Kursk-Offensive würde den ukrainischen Streitkräften zugleich gestatten, die freiwerdenden Kräfte zur Verstärkung ihrer Verteidigung auf eigenem Territorium einzusetzen.
Mögliche Auswirkungen der Wiederwahl Trumps
Zugleich wirft die heutige Wiederwahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten nunmehr konkret die Frage nach dem künftigen Einfluss der USA – und damit möglicherweise der NATO insgesamt – auf den Konflikt auf. Trump hat bekanntlich behauptet, diesen noch vor seiner Amtseinführung am 20. Januar kommenden Jahres innerhalb eines Tages lösen zu können. Das Mittel um beide Seiten an den Verhandlungstisch zu bringen soll angeblich die Drohung an Selenskyj mit der Einstellung aller US-Hilfen einerseits, und an Putin mit deren erheblichen Erhöhung andererseits sein.
Wie bei den meisten Äußerungen Trumps dürfte zumindest der Zeitrahmen keinen Bezug zur Realität haben. Auch sind die USA zwar bislang größter einzelner Unterstützer der Ukraine, der größere Teil der Hilfe kommt aber von den Europäern, die eigene Sicherheitsbedürfnisse gegenüber Russland haben. Abzuwarten ist zudem noch die Sitzverteilung im US-Kongress, und wie einzelne neue Senatoren und Abgeordnete unabhängig von Parteizugehörigkeit zur Ukraine stehen. Dennoch könnte der Wahlausgang neue Dynamik in das Bemühen um ein Kriegsende bringen, und die Kursk-Offensive noch eine wichtige Rolle dabei spielen.
Stefan Axel Boes