Bilder und Videos aus den aktuellen Kriegsgebieten liefern wichtige Erkenntnisse über spezifische Taktiken und Waffensysteme. Aber auch Dinge, die man nicht auf dem zahlreichen Bildmaterial zu sehen bekommt, tragen zum Erkenntnisgewinn bei. Zuweilen ist die schiere Abwesenheit von etwas ein Hinweis auf Vorgänge, welche man ansonsten außer Acht lassen würde. So könnte es durchaus um unbemannte Gefechtsfahrzeuge, sogenannte Unmanned Ground Vehicle (UGV) oder Unmanned Combat Ground Vehicle (UCGV), im Ukrainekrieg bestellt sein. Auf dem Gefechtsfeld in der Ukraine sind diese nicht präsent und das weder auf der einen, noch auf der anderen Seite. Die Frage ist, warum?
Der Ukrainekrieg hat bereits jetzt Erkenntnisse hervorgebracht oder bestärkt. Manche davon wirken wie eine Binsenweisheit. So sind Panzerabwehrhandwaffen gegen einen gepanzerten Feind, der nicht von eigener Infanterie begleitet wird, überaus effektiv. Auch unbemannte Luftfahrzeuge (UAV) setzen ihre Erfolgsgeschichte fort, zeigen sie doch in unterschiedlichsten Kategorien und Auslegungen ihren Wert, sowohl als Aufklärungs- oder Wirkmittel, bzw. in einer kombinierten Rolle. Selbst kommerzielle Off-the-Shelf-Produkte sind zuweilen in der Lage, als Multiplikatoren zu dienen und – klug eingesetzt – gegen einen vermeintlich im Bereich der elektronischen Kampfführung ertüchtigten Gegner zu bestehen. Die vor unseren Augen ablaufenden Einsätze und ihre spätere Auswertung wird signifikanten Einfluss auf die Einsatzgrundsätze dieser Systeme in Zukunft haben. Je nach Länge des Konfliktes ist anzunehmen, dass der Impact auf die taktischen Grundsätze für die Nutzung von UAV selbst den Effekt des Krieges um Berg-Karabach überschreiten wird. Aber wo bleiben die in den letzten Jahren häufig gezeigten UGV? In einem medial gleichsam in Echtzeit dem Betrachter vorgeführten Konflikt können sie sich kaum versteckt haben.
Auf der ukrainischen Seite steht theoretisch seit 2015 der als RSVK-M2 bezeichnete UCGV des in Kiew ansässigen Ingenieurteams von Robotics Design Bureau zur Verfügung. Bereits 2017 sollen laut Herstellerangaben erfolgreiche Tests im Donbass unter Gefechtsbedingungen stattgefunden haben. Neben einem mittleren und einem schweren Maschinengewehr gibt Robotics Design an, dass auch die Integration einer Granatmaschinenwaffe und einem nicht näher benannten Panzerabwehrlenkflugkörper erfolgt sei. Fünf Jahre später ist von dem System genauso wenig zu sehen wie von dem Fantom UGV des staatlichen Produzenten SpetsTechnoExport, welcher laut Pressemeldungen ebenfalls 2017 kurz vor der Einführung bei den ukrainischen Streitkräften stehen sollte und auch in einer Exportversion verfügbar ist. Offenkundig scheinen gewichtige Gründe dies bis jetzt verhindert zu haben. Andere Entwürfe unterschiedlicher Anbieter, wie etwa das 4×4 Fahrzeug Camel, sind bis heute nicht über das Prototypenstadium hinausgekommen.
Auf russischer Seite sind indes über die Jahre konkrete Schritte unternommen worden, um die Nutzung von UGVs voranzutreiben und in die Streitkräfte zu integrieren. Prominentester Vertreter ist sicherlich der Uran-9. Das vergleichsweise stark bewaffnete unbemannte Bodenfahrzeug erlebte sein Debut auf dem Gefechtsfeld in Syrien und enttäuschte den Nutzer auf vielfältige Weise. Neben mechanischen Problemen an Fahrwerk und Waffenanlage bestand die größte Schwachstelle im Bereich der schlechten Datenverbindung sowie der Sensorik. Die in Syrien gewonnenen Erkenntnisse führten im Frühjahr 2021 dazu, dass der Generalstabschef der russischen Streitkräfte, General Vasily Tonkoshkurov, die Aufstellung einer experimentellen Einheit zur Erprobung von UGV Systemen verkündete. Ein Jahr später scheint die Einheit keine Rolle im laufenden Konflikt zu spielen, vorausgesetzt sie ist bereits tatsächlich aufgestellt und aufgefüllt. Selbst die als ausgereift geltenden Uran-6 Kampfmittelräumfahrzeuge werden deutlich im Hinterland in einer gestellt wirkenden Veranstaltung der einheimischen Presse vorgeführt. Über ihre Nutzung an der Front oder unmittelbar dahinter ist bis jetzt nichts bekannt geworden.
Die gemachten Beobachtungen lassen trotz der zuweilen ambitioniert klingenden Ankündigungen der Hersteller und konkreter Angebote auf dem Exportmarkt den Verdacht aufkommen, dass keines der beobachteten UGV Modelle die technologische Reife besitzt, in einem militärischen Konflikt eingesetzt werden zu können. Die teleoperierte Nutzung wie beim Uran-6 verlangt eine Nähe des Nutzers zum UGV, welche sich in der taktischen Nutzung als überaus hinderlich darstellt. Faktisch muss der Lenker des UGV zumeist direkte Sichtverbindung halten und das unter Idealbedingungen, beziehungsweise ohne die Auswirkungen feindlicher elektronischer Gegenmaßnahmen. Autonome Missionsprofile, welche ein Wegpunktmanagement verlangen, scheitern an der Komplexität des Geländes und der fluktuierenden Lage. Versuche, das Situationsbewusstsein der fahrzeugsteuernden künstlichen Intelligenz durch Systeme wie daueremittierende Laserradare (Lidar) zu verbessern sind nicht nur nicht vollständig ausgereift, sondern auch nicht kompatibel mit der auf dem modernen Gefechtsfeld benötigten niedrigen Signatur.
Kurzum, es scheint so, dass im deutlichen Gegensatz zu unbemannten Luftfahrzeugen UGVs noch lange nicht so weit sind, eine aktive Rolle in einem Konflikt mittlerer oder gar hoher Intensivität spielen zu können. Ihr Beitrag beschränkt sich, wenn überhaupt, auf absolute Nischen, wie das Beispiel Uran-6 zeigt. Die Kategorie UCGV indes ist auch heute noch im experimentellen Stadium und wird noch Jahre zur Einsatzreife benötigen.