Nachdem die drei Baltischen Staaten und Finnland wegen der Bedrohungslage durch Russland bereits aus der Ottawa-Konvention gegen Anti-Personen-Minen von 1997 ausgetreten sind, plant auch die Ukraine diesen Schritt. Dass das erst nach über drei Jahren Krieg mit Russland erfolgt, mag auf den ersten Blick überraschend erscheinen. Der Grund liegt aber in den Bestimmungen der Konvention selbst. Demnach beträgt die Kündigungsfrist für das Abkommen zwar normalerweise sechs Monate. Ist die betreffende Partei aber bei Ablauf der Frist in einen bewaffneten Konflikt verwickelt, wird der Austritt erst nach dessen Beendigung wirksam.
Das jetzige Dekret des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zur Einleitung des Verfahrens ist also gewissermaßen eine Absichtserklärung für die Zukunft in der Hoffnung auf ein Ende des russischen Angriffskrieges. Unabhängig davon gehen Beobachter davon aus, dass die Ukraine nach dem Prinzip „Not kennt kein Gebot“ ohnehin bereits Anti-Personen-Minen einsetzt. Bei der Unterzeichnung des Abkommens 1999 verfügte das Land über einen der weltweit größten Bestände dieser Kategorie und hat diese niemals vernichtet. Im November 2024 genehmigte die ehemalige US-Regierung unter Präsident Joe Biden noch die zusätzliche Abgabe solcher Kampfmittel an die Ukraine.
Ottawa-Konvention wollte langfristiger Bedrohung begegnen
Die USA sind wie auch Russland, China, Indien und einige weitere Staaten wie Israel, Pakistan, Nord- und Südkorea kein Unterzeichner der Ottawa-Konvention. Russland hat entsprechend im Zuge seines Angriffskrieges umfassend Anti-Personen-Minen in der Ukraine eingesetzt. Mittlerweile gilt diese als das am stärksten verminte Land der Welt. Dies hat neben dem massenhaften Einsatz von Drohnen wesentlich zur Erstarrung der Fronten beigetragen. So scheiterte die ukrainische Gegenoffensive vom Sommer 2023 nicht zuletzt an ausgedehnten russischen Minenfeldern.
Sowohl Anti-Personen- als auch Anti-Fahrzeugminen sind effektive und kostengünstige Mittel für einen Verteidiger, um gegnerische Bewegungen zu hemmen. Bei fehlender Selbstdeaktivierung und unmarkierter beziehungsweise unkartierter Verlegung ohne anschließende Räumung stellen sie jedoch auch Jahrzehnte nach Ende eines Konflikts noch eine Bedrohung insbesondere für die Zivilbevölkerung dar. Dieser Gefahr wollte die Ottawa-Konvention durch ein Verbot von Einsatz, Lagerung, Herstellung und Weitergabe von Anti-Personen-Minen begegnen.
Angesichts des Abnutzungskrieges und der quantitativen russischen Überlegenheit in der Ukraine weicht das wie erwähnt ohnehin nie umfassende Kontrollregime nun zunehmend auf. Auch Polen hat seinen Austritt aus der Konvention angekündigt. Ukrainische Regierungsvertreter betonten, dass die jetzige Situation bei Unterzeichnung und Ratifikation nicht vorauszusehen gewesen sei, und dass der massive russische Einsatz von Anti-Personen-Minen die Ukraine im Nachteil lasse.
Stefan Axel Boes