Am 3. März 2020 stellte Boeing ein, nach eigenen Aussagen agiles, vollständig integriertes, speziell entwickeltes System für den Prototypenwettbewerb des Future Attack Reconnaissance Aircraft (FARA) vor.
FARA ist ein Bestandteil des Future Vertical Lift Programms der U.S. Army und soll eine kritische Lücke der U.S. Army im Bereich einer leichten Angriffs- und Aufklärungsfähigkeit schließen, die früher von der 2012 außer Dienst gestellten Bell OH-58D Kiowa Warrior erfüllt wurde.
Dieses Projekt von Boeing hatte im Jahr 2018 begonnen. „Boeing FARA wurde entwickelt, um die aktuellen Missionsbedürfnisse der U.S. Army zu erfüllen und sich im Zuge des Wandels von Technologien und Missionen weiterzuentwickeln. Der Schub-Composite-Hubschrauber mit einem Hauptrotor verfügt über ein Rotorsystem mit sechs Flügeln, einen einzigen Motor, Tandem-Sitze und ein modulares, hochmodernes Cockpit mit einer rekonfigurierbaren, großflächigen Anzeige und autonomen Funktionen“, so Boeing. „Wir bieten mehr als einen Hubschrauber – wir bieten ein erschwingliches und vollständig integriertes System für die Streitkräfte, die Mission und die Zukunft. Wir haben Innovation, Einfallsreichtum und nachgewiesene Erfahrung mit Drehflüglern mit umfangreichen Tests und fortschrittlichen Analysen kombiniert, um eine sehr überzeugende Lösung anzubieten“, sagte Mark Cherry, Vize-President und General Manager von Boeings Phantom Works Abteilung bei der Vorstellung.
Das Boeing FARA-Design nutzt insgesamt drei Rotor-Systeme – einen sechsblättrigen, festen Hauptrotor, einen vierblättriger herkömmlicher Heckrotor sowie den vierblättrigen Propeller am Heck. (Video: Boeing)
Das Boeing FARA-Design
Boeing hat lange gezögert. Jetzt wurde ein mehr oder weniger konventioneller Hubschrauber vorgestellt, der mit einem Zusatzpropeller am Heck ausgestattet ist. Der Hubschrauber verfügt über nur ein Triebwerk, das einen gelenklosen Sechsblatt-Hauptrotor antreibt. Ein zusätzlicher Heckrotor soll für eine höhere Fluggeschwindigkeit sorgen. Das Boeing-Design nutzt demnach insgesamt drei Rotor-Systeme – einen sechsblättrigen, festen Hauptrotor, einen vierblättrigen, herkömmlichen Heckrotor sowie den vierblättrigen Propeller am Heck. Nach ersten Angaben soll die Fluggeschwindigkeit über den gefordertem 330 km/h (180 Knoten, bei 4.000 Fuß Höhe (1219 m) bei einer Temperatur von 35°C) liegen. Das Fly-by-Wire-System soll eine Wendigkeit ermöglichen, die deutlich höher als die eines normalen Hubschraubers ist.
Im Tandem-Cockpit sitzen die beiden Besatzungsmitglieder wie im Apache oder auch im Airbus Tiger hintereinander. Es bietet große, rekonfigurierbare Flächendisplays. Die Systeme sollen sich nahtlos in das Betriebssystem der U.S. Army integrieren lassen und besonders wartungsfreundlich sein, so Boeing. Laut Boeing setzt FARA auf neueste und gleichzeitig bewährte Technologien und Fertigungstechniken, um Risiken und Kosten zu senken. Gleichzeitig soll aber ein völlig neues und flexibles Design angeboten werden, das alle Anforderungen erfüllt.
Der Hubschrauber verfügt über eine Modular Open Systems Architecture (MOSA), die für das FARA-Programm erforderlich ist, und ist nachhaltig aufgrund seines wartungsfreundlichen Designs unter Verwendung gängiger Ausrüstung und Komponenten der US-Streitkräfte. Alle Bewerber müssen das Triebwerk des U.S. Army Improved Turbine Engine Programms akzeptieren. Das Triebwerk ist derzeit bei General Electric in Entwicklung und wird im Anschluss dort auch gebaut.
Boeing nutzt seine Erfahrung in der modellbasierten Systemtechnik – insbesondere die Technik, die für das erfolgreiche Trainer-Jet-Design der U.S. Air Force mit dem T-7 Red Hawk, oder das unbemannte Flugzeugbetankungssystem MQ-25 Stingray der U.S. Navy verwendet wurde.
Es soll zwei Entwicklungsaufträge der U.S. Army geben. Eine Auswahlentscheidung (AWE) wird noch im März oder spätestens April 2020 erwartet. Neben Boeing bewerben sich noch AVX Aircraft Co. (mit L3 Technologies), Bell Helicopter (Bell 360 Invictus), Karem Aircraft zusammen mit Northrop Grumman (Modell AR-40) und Raytheon sowie Sikorsky/Lockheed-Martin mit dem Raider X.
Die beiden Gewinner der AWE werden beauftragt, flugfähige Prototypen zu bauen. Diese Prototypen sollen 2023 erstmals fliegen. Die finale Produktionsentscheidung soll 2028 getroffen werden. Allerdings wird von vielen Beobachtern erwartet, dass die U.S. Army die Produktion beschleunigen und vorziehen möchte – vorausgesetzt, der US-Kongress bewilligt die dafür notwendigen Haushaltsmittel. Dies ist der vierte Projektanlauf, um die Fähigkeitslücke der U.S. Army zu schließen. Das Boeing-Sikorsky RAH-66 Comanche Programm war einer dieser Versuche. 2012 lehnte die US Army das Boeing-Angebot auf Basis des AH-6 Little Bird als zu klein und leicht ab.
Die AWE könnte aber zum Nachteil anderer Projekte führen. Im August 2019 warnte die U.S. Army noch, dass das FARA-Projekt in Gefahr geraten könne, sollte sie nicht die Block 2 Verbesserung des schweren Transporthubschraubers Boeing CH-47F Chinook streichen dürfen. Man will mit dem zur Verfügung stehenden Budget andere Prioritäten setzen, als dies die jetzige Planung vorsieht. Die Entscheidung darüber muss der US Kongress fällen. Im Rahmen des Future Vertical Lift Programms, welche aus insgesamt fünf unterschiedlichen Luftfahrzeugklassen besteht, sollen zuerst das Future Attack Reconnaissance Aircraft (FARA) sowie das Future Long-Range Assault Aircraft (FLRAA), ein Nachfolger für den UH-60 Black Hawk, beschafft werden.
André Forkert