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Hubschrauberbeteiligung an der Operation „Neptune Spear“

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Die Operation „Neptune Spear“ war ein am 2. Mai 2011 von US-Präsident Barack Obama befohlener und von der CIA geleiteter Militäreinsatz der Vereinigten Staaten in Abbottabad, Pakistan. Laut US-Angaben töteten US-Spezialkräfte der DEVGRU (Navy SEAL Team 6) Osama bin Laden, den Gründer und Anführer des Terrornetzwerks al-Qaida. Er und seine Terrororganisation sollen für mehrere Angriffe auch gegen die Vereinigten Staaten, darunter die Anschläge am 11. September 2001 verantwortlich sein.

Die US-Regierung und beteiligte Soldaten haben den Verlauf des Einsatzes in Details unterschiedlich dargestellt. In fast allen veröffentlichten Darstellungen geht es dabei nur um den Einsatz und die Sicht der Mitglieder des SEAL-Teams. In einem kürzlich durch die Military Times veröffentlichten Interview sprach Chief Warrant Officer Douglas Englen, Führer und Planer der Luftoperation, erstmalig über die Beteiligung der Hubschrauberkräfte an „Neptune Spear“.

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Chief Warrant Officer Douglas Englen, während der Verleihung seines Springerabzeichens im März 2015. (Foto: U.S. Army)

Douglas Englen gilt als einer der erfahrensten Spezialkräfte-Piloten der US-Streitkräfte und war an der Operation als Pilot eines MH-47G Chinook und Air Component Planner der gesamten Mission beteiligt. Für seine Handlungen in dieser Nacht und während der Planung für die Operation erhielt Douglas Englen den Silver Star.

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Zu dem Interview wurde Englen durch den früheren CIA-Direktor Leon Panetta und den Gesamtverantwortlichen der Operation, Admiral William R. McRaven ermuntert.

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Der Einsatz aus Sicht der Air Component

Englen war der Verantwortliche für die Luftbewegungen bei der Operation und ein MH-47-Chinook-Pilot für Spezialoperationen. An der Operation waren insgesamt vier Hubschrauber, jeweils zwei Black Hawk und zwei MH-47 Chinook, beteiligt. Es waren gerade einmal 30 Sekunden seit Beginn der Mission vergangen, da hörte Douglas Englen den Funkruf „Black Hawk down“. Der Pilot von Black Hawk 2 berichtete, dass gerade Black Hawk 1 auf das Zielobjekt abgestürzt war.

Boeing MH-47G Chinook

Die Boeing MH-47G Chinook ist die Special-Forces-Variante des CH-47, der bei der U.S. Army genutzt wird. Die erste MH-47G wurde im September 2004 an das United States Army Special Operations Command (USASOC) geliefert. Das 160th Special Operations Aviation Regiment (Airborne) der U.S. Army hat einen operationellen Bedarf von 61 Maschinen dieses Typs. Es ist eine Variante, die durch spezielle Erweiterungen und Systeme sich von den normalen Chinook-Maschinen abhebt. Dazu gehören unter anderem die Fähigkeit zur Luftbetankung, ein zusätzliches Fenster für einen Bordschützen sowie diverse Selbstschutzsysteme – Common Missile Warning System (CMWS), einen integrierten Störsender, ein Laserwarngerät sowie XM216 Flares.

Außerdem kann der Hubschrauber mit Special-Operations-Ausrüstungen wie Fast Rope Insertion Extraction System (FRIES), einem Special Patrol Insertion and Extraction System (SPIES), einer Strickleiter, einer elektrisch betriebenen Rettungswinde sowie einem Personnel Location System (PLS) ausgestattet werden.

Die beiden Chinook-Hubschrauber sollten ursprünglich rund 50 Kilometer weiter nördlich als sogenannter Forward Arming and Refueling Point (FARP), als vorgeschobener Versorgungsposten für Treibstoff und Munition, dienen. Ein FARP soll die Reichweite, Stehzeit und Flexibilität im Einsatzraum erhöhen. Die An- und Abflugwege und -zeiten sollen so kurz wie möglich gehalten werden, damit die Maschinen mehr Zeit im Zielgebiet haben.  Die beiden Chinooks sollten den Rückflug der Black Hawks ermöglichen.

Nach dem Funkruf über den Absturz flog Chinook 1 mit Englen an Bord jedoch sofort zum Zielobjekt und gab den FARP-Auftrag auf. Sein Auftrag war jetzt, als Black-Hawk-Ersatz dessen Besatzung sowie die SEALs aufzunehmen. Denn alle hatten den Absturz überlebt und konnten den Auftrag weiter fortsetzen.

„Wir sind einfach in den Notfallmodus übergegangen“, sagte Englen in dem exklusiven Interview mit der Military Times. „Wir kannten das Ausmaß nicht – gab es beim Absturz Verletzte? Einen Absturz über einem zivilen Bereich? Wir minimierten nur unsere Zeit und wollten so schnell wie möglich dorthin“, sagte Englen.

Als er über Abbottabad flog, kam es ihm so bekannt vor wie ein Flug über seiner Heimatstadt Clarksville, Tennessee, so Englen. Denn er hatte seit Monaten die Gegend um das Zielobjekt studiert und geplant. Anders als die Bodentruppen, die aus Geheimhaltungsgründen erst kurz vor dem Einsatz informiert und eingewiesen worden waren.

Zwischen dem Notruf und dem Eintreffen der Chinook 1, um die abgestürzte Besatzung und die Bodentruppen aufzunehmen, vergingen rund zehn Minuten. Beim Anflug auf das Zielobjekt konnte er bereits den abgestürzten Black-Hawk-Hubschrauber erkennen. Gerade als er in unmittelbarer Nähe landen wollte, bekam er vom Team Master Chief der Spezialkräfte am Boden die Anweisung abzudrehen. Die Kräfte am Boden standen unmittelbar davor, die Reste des abgestürzten Hubschraubers zu sprengen.

„Ich war wahrscheinlich 100 Fuß (30 m) von dem Luftfahrzeug entfernt, als es explodierte. Es schob unsere Maschine seitwärts. Ich musste tatsächlich wegfliegen, einen engen Kreis drehen und zurückkommen und unter der pilzartigen Staubwolke landen. Ich landete ostwärts des Geländes, direkt daneben“, so Englen.

Planungsprozess

Der Air Component Planner berichtet auch, dass die beteiligten Bodentruppen deutlich nervöser und skeptischer gegenüber der Operation waren. Einige sagten wohl auch, sie glaubten nicht, dass sie es zurückschaffen würden. Der entscheidende Unterschied war: Die Bodentruppen wussten vom Einsatz erst seit zweieinhalb Wochen. Das entsprach damit ihrer Vorbereitungszeit, während er den Anteil der Luftbeweglichkeit seit Monaten planen und vorbereiten konnte. Während die Bodentruppen auch nicht das volle Spektrum der Planungen kannten, kannte er jedes Detail dieses Teils von Pakistan und des Zielobjektes und seiner Umgebung.

Was von außen möglicherweise nur schwer erkennbar ist, ist, dass der Großteil der Dauer dieser Mission den Fliegern der Spezialoperationen gehörte. Englen erklärt: „Während das Risiko für die Bodentruppen während der 38 Minuten, in denen sie tatsächlich auf dem Gelände von Bin Laden am Boden waren, hoch war, war das Risiko für die Hubschrauber während der restlichen fast vier Flugstunden extrem. Und natürlich stürzte einer der MH-60-Black-Hawk-Hubschrauber ab.“

Die Luftfahrzeuge drangen in den Luftraum einer souveränen Nation ein, ohne diese vorher zu informieren. Die Crews und ihre Maschinen mussten sich dem Luftverteidigungs- und Frühwarnnetzwerk entziehen. Während die Bodentruppen im Einsatz waren, mussten die Hubschrauber rund eine Stunde über dem Zielobjekt kreisen. Über einem „feindlichen“ Gebiet, in dem sie jederzeit beschossen werden konnten – möglicherweise auch, weil man sie für Luftstreitkräfte aus Indien halten würde. Und der Rückweg war sogar noch schwieriger und gefährlicher, so Englen. Denn mittlerweile war das pakistanische Militär alarmiert. „Wir konnten auf jeden Fall auf dem Rückflug abgeschossen werden, was bedeutet, dass wir ständig ausweichen mussten“, so Englen.

160th Special Operations Aviation Regiment (Airborne)

Das 160th Special Operations Aviation Regiment (Airborne), kurz 160th SOAR, auch als Night Stalkers bekannt, ist das Hubschrauber- und Drohnenregiment des U.S. Army Special Operations Command und bildet mit seinen speziell modifizierten Fluggeräten die Lufttransportkomponente der Spezialkräfte der US-Streitkräfte ab.

Das fliegende Gerät des 160th SOAR (A) umfasst hauptsächlich nachtkampftaugliche Helikopter und Drohnen. Das 160th SOAR (A) fliegt folgende Systeme:

  • den MH-6J Little Bird,
  • AH-6J Little Bird,
  • MH-60K Black Hawk,
  • MH-60L Black Hawk und
  • MH-47G Chinook.

Des Weiteren hat das 160th SOAR seit 2013 Drohnen vom Typ MQ-1C Gray Eagle, RQ-11B Raven und RQ-7 Shadow.

In der Bundeswehr ist das Hubschraubergeschwader 64 (HSG 64) der Luftwaffe damit am ehesten vergleichbar. Es ist am Flugplatz Laupheim stationiert. Ein Teil der Besatzungen dort hat wie das Kommando Spezialkräfte (KSK) oder die Kampfschwimmer ebenfalls den Status von Spezialkräften. Zu ihren Aufträgen gehört die Durchführung von Spezialoperationen: „Direkter Einsatz“ (Direct Action), Spezialaufklärung (Special Reconnaissance) und Ertüchtigung von Aufnahmestaaten durch, aus und in der Dimension Luft (Military Assistance). Dazu werden die Waffensysteme CH-53 GA/GS/GE und Airbus Helicopters H145M LUH SOF (Light Utility Helicopter Special Operations Forces) genutzt.

Das gesamte Interview (in englischer Sprache), in dem Englen neben der Operation Neptune Spear auch Einblicke in viele anderen Spezialkräfteoperationen in Afghanistan und Irak gibt, kann auf der Seite der Military Times eingesehen werden.

André Forkert