Im U.S. Marine Corps brodelt derzeit die Gerüchteküche: Angeblich soll das Marine Special Operations Command (MARSOC) aufgelöst werden. Hintergrund sei demnach eine Auseinandersetzung zwischen dem Kommandanten des USMC, General Eric M. Smith, und dem Befehlshaber des teilstreitkraftübergreifenden U.S. Special Operations Command (USSOCOM), General Bryan P. Fenton von der U.S. Army, dem MARSOC operativ unterstellt ist. Smith gab offenbar kürzlich eine Anordnung heraus, nach der MARSOC-Angehörige keine vom USMC nicht autorisierte SOCOM-Ausrüstung tragen und dass sie auch im SOCOM-Einsatz unter anderem die Haar- und Barttragevorschriften des Corps befolgen sollen.
SOCOM widersprach dem, und die Auseinandersetzung steigerte sich angeblich bis zu der Aussage, dass MARSOC keine Fähigkeiten erbringe, die nicht auch durch die Spezialkräfte der anderen Teilstreitkräfte abgebildet werde. Die Drohung demnach: man könne auf MARSOC gut verzichten, werde dessen Mitgliedern aber gerne Verwendungen in den anderen Spezialkräften unter dem Dach von SOCOM anbieten. So jedenfalls die Darstellung in diversen mit der Community verbundenen Social-Media-Kanälen. Andere bezweifeln dies, und offizielle Aussagen gibt es nicht. Ein Hinweis, dass es sich in der Tat nur um ein Gerücht handelt: Unter den All Marines (ALMARS)-Mitteilungen, über die General Smith die anstößige Anordnung kommuniziert haben soll, findet sich diese gar nicht.
Aus den Raiders wurde erstmal nix
Jedoch wirft der (Nicht-)Vorgang ein bezeichnendes Licht auf das Verhältnis des USMC zu Spezialkräften. Traditionell betrachtet sich das Corps im Ganzen als eine Elite, in der kein Marine spezieller als andere sein sollte. Nachdem im Zweiten Weltkrieg vier Marine Raider Battalions für Kommandounternehmen im Pazifik aufgestellt worden waren, wurden diese etwa bereits 1944 in ein herkömmliches Marineinfanterie-Regiment umgewandelt. Den Verfechtern des Gedankens „alle Marines sind schon Elite“ kam dabei entgegen, dass sich tatsächlich zunehmend weniger Gelegenheiten für Sondereinsätze wie das Landen mit Schlauchbooten von U-Booten ergaben, und die Raider meistens ohnehin wie alle anderen Marines als amphibische Infanterie kämpften.
Für den Rest des 20. Jahrhunderts hatten höchstens die Fernspähkräfte der USMC Force Reconnaissance (FORECON) einen gewissen Status als „Elite der Elite“. 1985 wurde das Konzept der Marine Amphibious (später Expeditionary) Units – Special Operations Capable (MAU-SOC beziehungsweise MEU-SOC) entwickelt, bei dem die triphibischen Landungsverbände der Marines für zusätzliche Fähigkeiten wie verdeckte Rettungsoperationen, Boarding und Notfall-Geiselbefreiung ausgebildet wurden. Dies war eine Antwort auf die Forderung des Pentagons nach einer Erhöhung der amerikanischen Spezialkräfte-Kapazitäten, die 1987 auch zur Gründung von SOCOM führte.
Von Detachment One zu MARSOC
Aus Sicht des USMC handelte es sich bei diesem Konzept aber nur um zusätzliche Fähigkeiten für den regulären Marineinfanteristen. Entsprechend weigerte es sich auch, seine Verbände SOCOM zu unterstellen. Erst nach den Anschlägen des 11. September 2001 und dem Beginn des „War on Terror“, der nicht zuletzt erhebliche weitere Geldmittel für Spezialkräfte fließen lies, setzte ein Umdenken ein. 2003 wurde das Detachment One (Det One) in Stärke von 81 Marines und fünf Navy-Sanitätern (Corpsmen) aufgestellt, hauptsächlich Angehörige der Force Reconnaissance und Absolventen der USMC-Scharfschützenschule (Scout Sniper School).

Nachdem diese Piloteinheit drei Jahre lang erfolgreich mit den SEALs der Naval Special Warfare Group One unter SOCOM-Befehl operiert hatte, erfolgte 2006 die Aufstellung von MARSOC. 2014 wurde der Begriff „Raider“ für die unterstellten Verbände wiederbelebt. Heute umfasst MARSOC neben dem Marine Raider Training Center das Marine Raider Regiment und die Marine Raider Support Group mit je drei Bataillonen, stationiert in Camp Lejeune, North Carolina. Jedes Bataillon des Raider Regiments umfasst vier Kompanien mit je vier Marine Special Operations Team zu 14 Mann, die in zwei Gruppen von je sieben geteilt werden können.
Im Zweifelsfall gibt’s immer noch Delta
Der Auftrag umfasst direkte Aktion, Aufklärung, Terrorbekämpfung und Informationsoperationen. Wie die Special Forces der U.S. Army (Green Berets) übernehmen die Raiders auch die Ausbildung befreundeter Kräfte und unkonventionelle Kriegführung im Ausland. Insofern lässt sich in der Tat die Frage stellen, welche dieser Aufgaben nicht auch von den anderen Spezialkräften unter SOCOM-Befehl übernommen werden könnten: Neben dem Naval Special Warfare Command der Navy mit den SEALs und Special Boat Teams sowie den Special Forces der Army auch noch das 75th Ranger Regiment, das Army Special Operations Aviation Command, das Air Force Special Operations Command und das 1st Special Forces Operational Detachment-Delta.
Delta, obwohl nominell ein Army-Verband, ist übrigens gemeinsam mit DEVGRU (ehemals SEAL Team 6) innerhalb von SOCOM dem Joint Special Operations Command (JSOC) in Fort Bragg unterstellt und betrachtet sich als teilstreitkraftübergreifende Einheit. So war einer der Delta-Mitglieder, die 2012 den amerikanischen Botschafter J. Christopher Stephens bei einem islamistischen Angriff im libyschen Bengasi zu retten versuchten, ein Marine: Master Sergeant Tate Jolly von der B Squadron. Sollten also die Kulturkämpfe innerhalb beziehungsweise zwischen dem USMC und anderen Teilstreitkräften jemals wirklich zur Auflösung von MARSOC führen, hätten U.S. Marines tatsächlich die Möglichkeit, weiter bei SOCOM zu dienen.
Stefan Axel Boes