StartMobilitätEntscheidung für Trophy – bleiben abstandsaktive Schutzsysteme nationale Schlüsseltechnologie?

Entscheidung für Trophy – bleiben abstandsaktive Schutzsysteme nationale Schlüsseltechnologie?

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Mit der geplanten Beschaffung von abstandsaktiven Schutzsystemen aus Israel für einen kleinen Teil der deutschen Leopard-Flotte stellt sich die Frage, warum das Verteidigungsministerium bei dieser zukunftsweisenden Technologie einem ausländischen Anbieter gegenüber deutschen Herstellern den Vorzug gibt. Denn schließlich gehört der Bereich Schutz zum Kern der nationalen verteidigungs-industriellen Schlüsseltechnologien, wie aus dem Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie vom vergangenen Jahr hervorgeht.

Bereits am morgigen Mittwoch werden voraussichtlich der Haushalts- und der Verteidigungsausschuss des Bundestages die so genannte 25-Mio-Vorlage zur Ausrüstung von Leopard-Kampfpanzern der Bundeswehr im Umfang eines Kompanie-Äquivalents mit dem abstandsaktiven Schutzsystem „Trophy“ des israelischen Rüstungskonzerns Rafael behandeln.

Ursprünglich sollten abstandsaktive Schutzsysteme für die Nutzung bei der VJTF 2023 eingeführt werden. Diese Dringlichkeit war dem Vernehmen nach ein wesentlicher Grund, weshalb das System nicht im Wettbewerb ausgeschrieben wurde. Der dabei zu Grunde gelegte Zeitplan war jedoch offenbar nicht einzuhalten, so dass der Ansatz nicht mehr verfolgt wird. Die VJTF-Truppe soll nun mit dem Leopard 2A7V ausgestattet werden. Die damalige Begründung der Direktbeschaffung ist damit entfallen.  Vor dem Hintergrund dieser Verzögerungen fragen sich Beobachter, warum das Verteidigungsministerium nicht mehr Tempo bei der Entwicklung von nationalen Lösungen macht. So haben Rheinmetall mit dem Active Defence System (ADS) und Diehl mit dem Active Vehicle Protection System (AVePS) Produkte im Portfolio, die sich laut den Herstellern einzeln oder kombiniert nutzen lassen. Bislang hat der Bund jedoch noch keinen Auftrag zur Fertigentwicklung erteilt, wie es aus gut informierten Kreisen heißt.

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Beide Hersteller arbeiten an ihren Technologien offenbar entsprechend den anspruchsvollen deutschen Sicherheitsanforderungen gemäß der ISO-Norm 61508. Damit soll eine möglichst hohe Betriebssicherheit erreicht und Fehlfunktionen vermieden werden. Denn abstandsaktive Schutzsysteme arbeiten vollautonom, um schnell anfliegende Geschosse aus schultergestützten Panzerabwehrwaffen oder Panzerabwehrraketen in kürzester Zeit entdecken und bekämpfen zu können. Für Teile diese Prozesskette bleiben mitunter nur Bruchteile von Sekunden. Eine hohe Betriebssicherheit ist erforderlich, um Fehlzündungen und Kollateralschäden für die eigene Truppe und Zivilisten zu vermeiden.  Für die Nachweisführung nach ISO 61508 kann es mitunter erforderlich sein, einen Einblick in den Quellcode zu gewähren, um die Wahrscheinlichkeit des Eintritts von bestimmten Ereignisses zu berechnen.

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Dem Vernehmen nach war das System Trophy zum Zeitpunkt der Beschaffungsentscheidung vor einigen Jahren das einzige am Markt verfügbare System mit dem geforderten Reifegrad, so dass sich die Beschaffungsbehörden seinerzeit gegen eine Ausschreibung entschieden. Das System soll mittlerweile auch bei der Bundeswehr umfassende Tests, bei denen unter anderem die Vibrations-, Fall- und Kälteresistenz überprüft wurde, durchlaufen haben. Auch wurde ein mit Trophy ausgestatteter Leopard bereits auf Betriebssicherheit und Funktionsfähigkeit untersucht, wie es aus Bundeswehr-Kreisen heißt.

Beobachter gehen jedoch davon aus, dass der deutsche Kunde keinen Einblick in den Quellcode und die Algorithmen der Trophy-Steuerungssoftware hat. Das scheint zwar auch bei anderen aus dem Ausland beschafften Rüstungsgütern, wie etwa Boden-Luft-Raketen, durchaus üblich zu sein. Allerdings ergibt sich dabei für inländische Hersteller eine Ungleichbehandlung, wenn diese aufgefordert werden, ihre Software offenzulegen und nach vorgegebenen ISO-Normen zu entwickeln und zertifizieren zu lassen.  Auch gibt es Beispiele für die Beschaffung von ausländischen Rüstungsgütern mit so genannten Blackboxes, die eine Zertifizierung nach deutschen Regularien erschwert oder verhindert haben.

Ein anderer Aspekt bei dem anstehenden Rüstungsprojekt sind die hohen Kosten für die Beschaffung und Integration der Trophy-Ausstattung für 17 Leoparden, die bei über 100 Mio EUR liegen sollen. Dem Vernehmen nach sind in diesem Betrag allerdings einmalige Aufwendungen, die nur bei der Erstausstattung anfallen sowie die gesamte für das System erforderliche Munition enthalten. Von der Summe dürfte überdies ein großer Teil in Deutschland verbleiben und an KMW als Systemintegrator fließen.

Einmal ausgestattet mit einer Kompanie aufgerüsteter Panzer, kann das Heer den taktischen Einsatz erproben und womöglich die Funktionstüchtigkeit des Systems auch im scharfen Schuss in unterschiedlichen Szenarien untersuchen. Denn prinzipiell ist es möglich, mit Trophy ausgestattete Kampffahrzeuge mit Flugkörpern ohne Sprengkopf zu attackieren. Bei einer Fehlzündung oder dem Versagen des abstandsaktiven Systems, würde dies nicht zur Zerstörung des Fahrzeugs führen. Das Heer kann darüber hinaus testen, wie die Panzer im Verbund mit eigenen Kräften eingesetzt werden können. Denn beim Auslösen von Trophy wird eine Splitterwolke in Richtung des angreifenden Projektils freigesetzt, die auch für eigene Kräfte –  wenn diese in der Nähe positioniert sind –  eine Gefahr darstellt.

Während die Truppe, der Hersteller und das integrierende Unternehmen vermutlich wertvolle Erfahrungen bei den anstehenden Tests sammeln können, werden inländische Anbieter entsprechender Schutztechnologien von dieser Erkenntnis vermutlich ausgeklammert. Denn schon allein aus wirtschaftlichem Kalkül, dürfte Rafael seine Erkenntnisse für die Weiterentwicklung nicht an Rheinmetall und Diehl weitergeben. Gerade die Weiterentwicklung von abstandsaktiver Schutztechnologie etwa zur Abwehr von KE-Penetratoren ließe sich jedoch leichter umsetzen und finanzieren, wenn heimische Unternehmen beteiligt wären.

Dies führt zur sicherheits- und industriepolitischen Frage vom Anfang. Wenn Deutschland den Schutz – und gerade beim Abstandsschutz für Landfahrzeuge dürfte es einen hohen Bedarf geben, wie die jüngsten Konflikte belegen – als Schlüsseltechnologie einstuft, sollten heimische Unternehmen in diesem Bereich eigentlich unterstützt werden. „Industrielle Kernfähigkeiten und strategisch relevante Entwicklungskapazitäten sind am Standort Deutschland und EU zu erhalten und zu fördern“, heißt es dazu im Strategiepapier.  Zu einer Förderung gehört neben der Vergabe von Mitteln für Forschung und Entwicklung sowie der Beschaffung bei inländischen Herstellern in der Regel auch die Herstellung eines fairen Wettbewerbsumfeldes.

Und um gleiche Wettbewerbsbedingungen herzustellen, könnte die Bundesregierung etwa im Fall der abstandsaktiven Schutzsysteme von ausländischen Lieferanten die Anwendung der gleichen ISO-Normen verlangen, wie bei inländischen Anbietern. Oder das Ministerium fordert die gleiche Nachweisführung für die Zulassung des Systems ein, wie bei deutschen Firmen.

Werden die im Strategiepapier beschriebenen Unterstützungsmaßnahmen nicht umgesetzt, lässt sich bei neuen Technologien der Abstand zu ausländischen Anbietern – gerade wenn sie wie Rafael über einen deutlichen Zeitvorsprung verfügen –  nur schwerlich aufholen. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die deutsche Rüstungs- und Verteidigungsindustrie privatwirtschaftlich aufgestellt ist und damit anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegt als staatlich kontrollierte Anbieter. Ihren zivilen Eignern verpflichtete Unternehmen können in der Regel keine Produktionskapazitäten aufbauen, wenn nicht konkrete Aufträge dahinterstehen. Eine Erfahrung, die im Augenblick viele Regierungen machen, die Corona-Impfstoffe zu spät bestellt haben.

Die Einführung einer recht kleinen Zahl von Trophy-Systemen zum Testen und Experimentieren deutet zunächst darauf hin, dass damit keine Vorentscheidung für zukünftige Beschaffungen gefällt  wurde. Allerdings ergibt sich aus den hohen einmaligen Implementierungsaufwendungen ein betriebswirtschaftlicher Anreiz zum Kauf weiterer Trophy-Systeme. Denn nur so lassen sich die augenblicklich extrem hohen Durchschnittskosten pro eingerüsteter Einheit senken. Es bleibt nun abzuwarten, ob die Bundesregierung die Entwicklung nationaler Schlüsseltechnologien im Segment abstandsaktiver Schutzsysteme forciert oder der Kauf der israelischen Technik doch eine Vorfestlegung darstellt.

Lars Hoffmann