StartMobilitätCollaborative All-Terrain Vehicle: Leben und Dienst in Schweden

Collaborative All-Terrain Vehicle: Leben und Dienst in Schweden

Oberstleutnant Langer, BAAINBw - Abteilung K

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Schon lange spielte ich mit dem Gedanken, einmal eine Verwendung im Ausland anzutreten. Eine Region stand dabei immer auf Platz eins: Skandinavien.

Als ich überraschend das Angebot erhielt, für einige Jahre im Rahmen der Beschaffung eines Überschneefahrzeuges nach Schweden zu gehen, trafen meine Frau und ich noch am selben Abend die Entscheidung: Das machen wir!

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Nun bin ich seit knapp zwei Jahren Angehöriger des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw). Mein Dienstort befindet sich jedoch nicht in Koblenz, sondern direkt in Stockholm, einer der schönsten Städte der Welt.

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Die Vorbereitungen des Umzugs vom Allgäu nach Schweden waren eine echte Herausforderung. Fast neun Monate Vorlauf bis zur Versetzung zu haben, war hier sehr hilfreich. Zusätzlich konnten wir so an einem Sprachkurs Schwedisch teilnehmen, was uns großartig auf das bevorstehende Abenteuer einstimmte.

Die Mitarbeiter der Deutschen Botschaft waren uns eine enorme Hilfe beim Neuanfang in der schwedischen Hauptstadt. Eine Wohnung in unschlagbarer Lage fanden wir mit Unterstützung des deutschen Militärattachés sehr schnell. Direkt am Wasser und in 20 Minuten mit dem öffentlichen Nahverkehr in das Stadtzentrum Stockholms und somit ins Büro.

Mein Arbeitsplatz befindet sich im Stadtteil Östermalm, im Combined Project Office (CPO). Das CPO ist angelehnt an die schwedische Beschaffungsbehörde Försvarets materielverk (FMV) im Rahmen des Projektes neu eingerichtet worden. Hier koordinieren ein fünfköpfiges schwedisches Kernteam, der britische Verbindungsoffizier und ich selbst als deutscher Verbindungsoffizier die Arbeit der am Projekt Collaborative All-Terrain Vehicle (CATV) beteiligten Nationen und dem Auftragnehmer, Firma BAE Systems Hägglunds.

Die Projektarbeit und der aktuelle Sachstand

Im Projekt CATV wird ein weitestgehend marktverfügbares Produkt, das sich bereits in Vorgängervarianten in einigen Streitkräften im Einsatz bewährt hat, beschafft. Die marktverfügbare Basisplattform BV410 wird um nationale Anteile, wie z.B. die Führungs- und Kommunikationsausstattung der zukünftigen Nutzerstaaten ergänzt. Der stetige Austausch mit den Partnern über die unterschiedlichen Interessen, anstehende Änderungen nationaler Forderungen und die Koordination des zweckmäßigsten Vorgehens sind eine Kernaufgabe.

Ich stieß im März 2022, am Beginn intensiver Vertragsverhandlungen, zum Projektteam. Diese Verhandlungen veränderten das ursprünglich als 4-Nationen-Projekt begonnene Rüstungsvorhaben nachhaltig. Den aktuellen Realitäten im Rüstungsbereich gerecht zu werden, verlangte allen Beteiligten Kompromisse ab. Großer Vorteil der Homogenisierung der Forderungen ist jedoch die höhere Anzahl an Fahrzeugen und die Realisierung einer schnelleren Beschaffung.

Im Dezember 2022 wurde der multinationale Vertrag geschlossen und somit auch die Bestellung eines ersten Loses mit 140 Fahrzeugen für DEU ausgelöst. Im April 2023 konnte dank des Sondervermögens für die Bundeswehr, ein zweites Los mit weiteren 227 Fahrzeugen in den Varianten Gruppentransporter, Gefechtsstand und Logistik geordert werden.

Auf Grund der Personalstruktur des deutschen Projektteams war es von Beginn an zwingend notwendig, auch rein nationale Aufgaben zu übernehmen. Sehr schnell musste ich mich in ungewohnte Aufgaben im logistischen Bereich einarbeiten. Diese beansprucht wenigstens 50% meiner Zeit. Die Beratung durch die Fachreferate des BAAINBw war stets hilfreich und mehr als erwünscht, ist jedoch nicht darauf ausgelegt, die Projektereferate von diesen Aufgaben nachhaltig zu entlasten.

Die Koordination der Finanzplanung, der Vertragsänderungen, des Qualitätsmanagements oder der Nachweisführung, mit allem durfte ich mich in meiner Rolle als interdisziplinärer Problemlöser detailliert befassen. Fraglos werden dadurch die Arbeitstage nicht kürzer, aber in der Lage zu sein, den nationalen und vor allem den multinationalen Partnern stets alle Fragen in nahezu allen Projektbereichen aus dem Stehgreif beantworten zu können, brachte mir persönlich ein hohes Maß an Zufriedenheit.

Das Jahr 2023 war geprägt von aufeinander aufbauenden Bestandsaufnahmen des Entwicklungsfortschritts beim Auftragnehmer BAE Systems Hägglunds, sogenannter Reviews, und regelmäßigen Abstimmungen zwischen den Rüstungspartnern über die technische Umsetzung aller Nutzerforderungen. Die Reviews wurden direkt auf dem Firmengelände bei BAE Systems Hägglunds in Örnsköldsvik durchgeführt. So konnten anhand des BV410 der schwedischen Streitkräfte, welcher die gemeinsame Basisplattform für das Projekt CATV bildet, die technischen Möglichkeiten und Grenzen direkt am Objekt erläutert und diskutiert werden. Die Nutzer, die Techniker und Ingenieure der Firma und die Projektteams erreichten so schrittweise ein gemeinsames Verständnis für die praktische Umsetzung und Integration der jeweiligen nationalen Forderungen in das Projekt CATV.

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Die Basisplattform BvS10 (Bandvagn Skyddad 10). (Foto: BAE Systems Hägglunds)

Die Dienstreisen nach Nordschweden und Südschweden in den verschiedenen Jahreszeiten gaben mir die Möglichkeit, das Land auf eine neue, nicht touristische Art kennen zu lernen.

Durch die Möglichkeit, hier dienstliche Aufgaben und private Zeit auf Reisen zu verbinden, lernten ich Orte in Schweden kennen, die in gängigen Reiseführern in der Regel keine Erwähnung finden. Für den Gesamteindruck des Charakters Schwedens war dies ein großer persönlicher Gewinn.

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Blick auf den Hafen von Örnsköldsvik. (Foto: Bw/Langer)

Die Hauptaufgaben des Verbindungsoffiziers sind jedoch eindeutig im CPO in Stockholm zu erfüllen.

Die länderübergreifende, weitestgehend digitale Kommunikation hat Vor- und Nachteile. Die meisten Teammitglieder treffen sich, wenn überhaupt, nur selten persönlich. Die Zusammenarbeit unterschiedlicher Kulturen, die zudem in verschiedenen Ländern leben, erhöht die Gefahr von Missverständnissen. Diese Probleme können nach meiner Erfahrung durch die permanente Anwesenheit eines Verbindungselements im CPO deutlich abgefedert werden. Mich persönlich fasziniert an dieser Aufgabe gerade der Austausch mit multinationalen Kollegen, der mich ermuntert, mich auf andere Ideen, Arbeitsweisen und Ansichten einzulassen und eigene, eingeschliffene Prozesse zu hinterfragen.

In der schwedischen Gesellschaft ist der Wunsch nach Konsens tief verwurzelt. Es wird nach gemeinsamen Wegen gesucht, mit denen sich alle wohlfühlen. Ein klares Nein ist selten zu hören. Es wird gewöhnlich anders verpackt. Es wird eher auf die Schwierigkeit und Komplexität hingewiesen oder um Zeit für eine Rücksprache mit Kollegen gebeten. Überzogene Direktheit in Verhandlungen und Besprechungen kann mitunter zu Irritationen führen. In Deutschland hingegen werden Konflikte oftmals gezielt genutzt, um ein gutes Resultat zu erreichen. Aber ein wichtiger Aspekt eint uns immer: In beiden Kulturen wird ein gutes Ergebnis als oberstes Ziel angesehen. Wir alle wollen, dass unsere Soldaten für ihren Einsatz zu unserem Schutz und Verteidigung das bestmögliche Fahrzeug erhalten!

Der weitere Weg im Projekt

In den nächsten eineinhalb Jahren erfolgt die eigentliche Entwicklungsarbeit. Die Anpassung des Designs zur Einrüstung der deutschen Rüstsätze, die Herstellung von Modellen für die Systemtests und -bewertungen sowie die Neuentwicklung eines Wechselladesystems für die Logistikvariante.

Im Mai 2025 sollen die ersten vier Fahrzeuge an Deutschland übergeben werden. Mit diesen Nachweismustern wird die Einhaltung sowohl der technischen als auch der operationellen Forderungen geprüft.

Das Einsatzspektrum des Fahrzeuges fordert die Erprobung unter extremen Bedingungen. Die Nachweisführung wird folglich in unterschiedlichen Klimazonen durchgeführt. Der zukünftige Hauptnutzer, die Gebirgsjägertruppe, wird das Fahrzeug in den österreichischen Alpen, dem Norden Norwegens und auch in der Wüste Spaniens auf Herz und Nieren prüfen. Die Feststellung des Einsatzwerts des Fahrzeugs und der Abgleich mit den gestellten Forderungen sind die wesentlichen Ziele der umfangreichen Tests, Prüfungen und Übungen. Die Ingenieure und Techniker der Wehrtechnischen Dienststellen werden die Einsatzprüfung der Truppe nutzen, um sich gleichzeitig einen Überblick über die technische Robustheit des CATV unter Einsatzbedingungen zu verschaffen.

Die Auslieferung der Serienfahrzeuge des ersten Loses ist ab dem II. Quartal 2026 geplant. Auch die weiteren Varianten werden beginnend ab 2026 geliefert. Die letzten CATV sollen 2030 an Deutschland übergeben werden.

03 Abbildung 4 Das multinationale CATV Projektteam
Das multinationale CATV-Projektteam. (Foto: BAE Systems Hägglunds)

Das Fazit

Das Projekt Überschneefahrzeuge konnte mit der beachtlichen Erhöhung der Stückzahlen den Rückenwind aus der Entscheidung zum Sondervermögen nutzen. Im Projektverlauf wurden die Bestellungen des ersten und zweiten Loses weitestgehend in zeitliche Übereinstimmung gebracht, um den Aufwand der Nachweisführung möglichst gering zu halten. Insgesamt wird mit dem Projekt ein wesentlicher Schritt zur Vollausstattung der Gebirgsjägertruppe umgesetzt.

In Schweden fühlte ich mich von Beginn an herzlich aufgenommen und als „Neuer“ willkommen geheißen. Die Menschen hier im Team halten zusammen. Es gelingt hervorragend, nationale Interessen und gegenseitige Unterstützung zu harmonisieren. Die richtige Mischung wird in Schweden als „lagom“ bezeichnet. Es beschreibt den ausgeglichenen und zufriedenen Lebensstil der Schweden und begegnet einem in sämtlichen Alltagssituationen. Dies macht die Arbeit im CPO besonders angenehm.

OTL Jörg Langer, BAAINBw, Abteilung K, ist deutscher Verbindungsoffizier im Projekt „Collaborative All-Terrain Vehicle“ (CATV)