StartStreitkräfteDienstbeginn um Null-800 und der Mut der Streitkräfte neue Wege zu gehen

Dienstbeginn um Null-800 und der Mut der Streitkräfte neue Wege zu gehen

Waldemar Geiger

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Ab April 2023 werden Rekruten des Fallschirmjägerregiments 26 an einem Pilotprojekt teilnehmen. Ziel des „Null-800“ genannten Projekts ist die Abbruchquoten in der Grundausbildung zu senken, indem der Dienstbeginn der Rekruten von 07.00 Uhr morgens auf 08.00 Uhr verlegt wird.

Offenbar haben Befragungen von Rekruten die die Grundausbildung abgebrochen haben ergeben, dass viele Rekruten in den ersten drei Wochen mit der neuen Lebenswirklichkeit der Streitkräfte überfordert waren. „Zahlreiche Widerrufe werden mit einer subjektiv empfundenen physischen oder psychischen Überforderung begründet. In den ersten drei Wochen ist dieses Empfinden sogar noch stärker“, schreibt die Bundeswehr in einem heute erschienen Beitrag auf der Bundeswehrwebseite, idem das „Projekt Null-800“ vorgestellt wird.

Der um eine Stunde nach hinten versetzte Dienstbeginn soll den angehenden Soldaten eine einfachere Akklimatisierung in den Streitkräften ermöglichen. Das Projekt soll zudem wissenschaftlich begleitet werden. Gewonnene Erkenntnisse der Studie sollen im Anschluss der ganzen Bundeswehr zur Verfügung gestellt werden.

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Ob nun ein späterer Dienstbeginn die Wiederrufquote, insbesondere bei Rekruten die sich für den Dienst in der Luftlandetruppe beworben haben, signifikant senken wird oder nicht, ist im Grunde nicht der interessanteste Aspekt dieser Studie. Viel interessanter ist die Tatsache, dass die Streitkräfte nun langsam aber sicher den Mut finden bzw. die Notwendigkeit sehen „neue Wege“ zu gehen bzw. gehen zu müssen. Dies ist durchaus ein Quantensprung für eine Institution mit unglaublichen Beharrungskräften, die in Form von Personen und Strukturen tief in der DNS der Truppe verwurzelt sind.

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Wenn erfolgreich durchgeführt, könnten solche „kleinen“ Projekte Vorbild für „größere“ und deutlich relevantere Experimente werden.

Man stelle sich ein deutsches Heer vor, welches den Willen und die Fähigkeit finden würde eines seiner Infanterieverbände für ein Jahr lang mit einer Auswahl von unbemannten Bodenfahrzeugen (UGV) auszustatten, damit die UGV die Infanteristen im täglichen Gefechtsdienst bei logistischen Aufgaben unterstützen. Nicht auszumalen wäre zudem der Erkenntnisgewinn eines Experimentes, bei dem ein Panzergrenadierbataillon wieder mit einer Mörserkomponente ausgestattet werden würde. Erkenntnisreich wäre sicherlich auch eine Ausstattung einer kompletten Infanteriekompanie mit Signaturreduzierern, umgangssprachlich auch als Schalldämpfer bekannt.

Es bedarf keiner großen Phantasie, um zu erkennen, dass alle diese aufgeführten Maßnahmen das Potenzial haben, den Einsatzwert der jeweiligen Kompanien und Bataillone zu erhöhen. Wie hoch das Potenzial tatsächlich ist, bleibt jedoch unbekannt, bis man es praktisch untersucht hat. In der Praxis würde man sehr schnell sehen ob und inwieweit solche Maßnahmen zweckmäßig sind oder nicht. Und mit Praxis ist keine klinische Untersuchung unter Laborbedingungen mittels einer extra Versuchstruppe gemeint, sondern ein Wald- und Wiesenverband mit einem alltäglichen Jahresausbildungsplan.

Es bleibt daher zu hoffen, dass die Truppe etwas mehr Experimentierfreude entwickelt und Strukturen schafft bzw. Beharrungskräfte überwindet, um dies erfolgreich durchführen zu können. Diese Kultur wäre eine solide Basis für moderne Streitkräfte in einem Umfeld, welches einem stetig steigenden Wandel unterliegt und sich daher auch schnell und effektiv strukturell, kulturell und technisch anpassen muss.

Waldemar Geiger