Im Rahmen der ukrainischen Kursk-Offensive konsolidiert sich das Kampfgebiet, da beide Seiten gegenwärtig keine ausreichenden Kräfte für entscheidende Vorstöße zu haben scheinen. An zwei Stellen könnte es der Ukraine jedoch möglicherweise gelingen, russische Truppen abzuschneiden, falls sie im Norden die Verbindung zwischen den Orten Schurawli und Kautschuk, im Westen zwischen Wnesapnoje und Snagost herstellt.
In den vergangenen Tagen gelang es der ukrainischen Seite zudem, westlich von Snagost alle Brücken über den Fluss Seim mit Raketen- und Luftangriffen ganz oder teilweise zu zerstören, was den russischen Nachschub auf das Südufer und die weitere Evakuierung der Bevölkerung nach Norden stark behindert. Im Südwesten der Oblast Kursk bei Tjotkino zogen sich russische Truppen Militärbloggern zufolge von einem schwer zu verteidigenden schmalen Streifen zwischen dem Seim und der ukrainischen Grenze zurück und sprengten weitere drei Brücken hinter sich.

Obwohl Russland mittlerweile rund 200.000 Einwohner aus dem Kampfgebiet evakuiert hat, scheint die ukrainische Offensive soweit ersichtlich keinen merklichen innenpolitischen Druck auf Putin erzeugt zu haben, die Situation schnellstmöglich zu bereinigen. Die persönliche Verantwortung für die anfänglich fehlende Kommunikation zwischen den zusammengewürfelten Einheiten verschiedener Organisationen hat er vergangene Woche seinem aus der Region stammenden ehemaligen Leibwächter, späterem Vize-Verteidigungsminister und jetzigem persönlichen Berater Alexei Djumin übertragen.
Insbesondere zieht Russland weiterhin keine größeren Verbände von der Donbass-Front ab, wo sich das Tempo des Vormarsches gegen die geschwächten ukrainischen Verteidiger sogar erhöht hat, wenn auch auf immer noch niedrigem Level. Hier besteht die Gefahr, dass russische Truppen wichtige Versorgungswege abschneiden und die Stadt Tschasiw Jar einnehmen, die als Tor zum bislang unbesetzten westlichen Teil des Donbass gilt.
Interessant ist, dass russische Medien Warnungen vor angeblichen ukrainischen Angriffsplänen mit einer „schmutzigen Bombe“ auf die Atomkraftwerke Kursk und Saporischschja verbreiten, um in einer „false flag operation“ dann Russland für die radioaktive Verseuchung verantwortlich zu machen. Ähnliche Meldungen gab es im Herbst 2022, als die russische Position nördlich des Dnepr bei Cherson in der Südukraine unhaltbar wurde.
Nicht bekannt wäre bis jetzt, dass russische Regierungsmitglieder wie damals direkt ihre westlichen Gegenparts mit solchen Vorwürfen gegen die Ukraine angerufen hätten. Dies wurde seinerzeit als vorbereitende Rechtfertigung für den möglichen Einsatz russischer Nuklearwaffen als „Antwort“ gedeutet und zog Warnungen vor einer entschiedenen Reaktion der USA auf ein solches Vorgehen nach sich. In der Folge gab Russland Cherson auf und zog seine Truppen auf das Südufer des Dnepr zurück.
Stefan Axel Boes