Die polnischen Streitkräfte beschaffen Panzerabwehrhandwaffen des Typs M72 Enhanced Capacity (EC) Mk1 des norwegischen Herstellers Nammo. Dies gaben Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak und die polnische Rüstungsagentur heute bekannt. Die beschaffte Menge wurde nicht kommuniziert, jedoch der Vertragswert in Höhe von 31,3 Millionen Euro. Minister Blaszczak ließ zudem verlauten, dass neben einem Logistik- und Trainingspaket auch mehrere tausend Panzerabwehrhandwaffen im Vertrag enthalten sind.
Der in der Ukraine tobende Krieg hat die polnischen Rüstungsbemühungen auf beeindruckende Weise beschleunigt. Exemplarisch sei hier die geplante Anschaffung von 500 M142 HIMARS (High Mobility Artillery Rocket System) Mehrfachraketenwerfern genannt. Die nun verkündete Übereinkunft mit dem norwegischen Hersteller Nammo Raufoss AS ist jedoch Teil einer seit langem vorgesehenen und für den Zeitraum von 2013 bis 2022 angelegten Modernisierung der Panzerabwehrfähigkeit. Das Projekt fokussierte sich anfangs auf die Beschaffung von Lenkflugkörpern und ihrer Integration. Die Ablösung der betagten RPG-7 wurde jedoch ein immer drängenderes Problem. Versuche der polnischen Industrie, das aus der Sowjetunion stammende System mit neuen Munitionssorten und Optiken zu modernisieren trafen nicht auf das Interesse der Streitkräfte. Durch die Aufstellung zahlreicher Infanterieverbände sowie der 2016 geschaffenen Territorialverteidigung (Wojska Obrony Terytorialnej, kurz WOT) wurde der Bedarf nur noch gesteigert. Bereits kurz nach ihrer Gründung erhielt die WOT das Projektmanagement für die Planung und der zukünftigen Fähigkeiten zugesprochen, was sich z.B. in der Anschaffung von 180 Panzerabwehrlenkflugkörpern des Typs FGM-148F Javelin sowie 60 Lenk- und Abschusseinheiten (Command Launch Unit, CLU) widerspiegelte. Die M72 war Medienberichten zufolge bereits 2017 als potenzieller Kandidat gehandelt worden. Damals sollte das zu der PGZ Gruppe gehörende Rüstungsunternehmen Dezamet eine nicht näher genannte Version in Lizenz fertigen. Eine Beauftragung kam jedoch nicht zustande.
Die laut Nammo 3,4 kg schwere M72 EC Mk1 ist eine auf erhöhte Durchschlagsleistung optimierte Version des einschüssigen Wirkmittels. Diese liegt laut Hersteller bei 450 mm RHA. Das vergleichsweise geringe Systemgewicht wird durch die Verwendung von Carbon für die Rohrherstellung erzielt. Zudem verfügt die EC Version über Montageschiene für eine Optik. Die Reichweite gibt der Hersteller mit 350 m an. Ursprünge in den frühen 1960er Jahren entwickelt, wurde die Waffe von mehreren Herstellern über die Jahrzehnte weiterentwickelt und wird bis heute produziert beziehungsweise von zahlreichen Streitkräften genutzt. So erhielt auch die Ukraine mehrere Tausend Waffen dieses Typs und setzte diese im Krieg gegen Russland ein.
Die querschnittliche Beschaffung eines einschüssigen Systems stellt für die polnischen Streitkräfte eine Abkehr von dem aktuellen mehrschüssigen System in Form der RPG-7 dar. Zudem ist die seit Jahren immer wieder formulierte Bemühung zur Einbindung der einheimischen Industrie ebenfalls nicht realisiert worden. Grund hierfür könnte die gebotene Eile bei der Beschaffung sein. So gab der Sprecher der polnischen Rüstungsagentur Oberstleutnant Krzysztof Płatek bekannt, dass die Lieferung der Systeme und der dazugehörigen Leistungen innerhalb sehr kurzer Zeit erfolgen sollen und für die finale Beschaffungsentscheidung der Faktor Zeit das ausschlaggebende Kriterium gewesen sei.