MBDA Deutschland beabsichtigt, noch in diesem Jahr mit der Serienfertigung des Kleinflugkörpers „Enforcer“ in der Bundeswehrvariante „Leichtes Wirkmittel 1.800+“ zu beginnen und die Entwicklung weiterer Varianten des Enforcer zu starten. Dies teilte Guido Brendler, Leiter Vertrieb und Geschäftsentwicklung des Unternehmens, Soldat & Technik während der Eröffnung der Enforce TAC 2023 am 28.02.2023 mit. Seinen Ausführungen nach hat die Entwicklung des Enforcer 2022 wichtige Meilensteine genommen, so dass 2023 die finalen Qualifizierungsschritte abgeschlossen werden können.
„Mit verschiedensten Tests, u.a. unter extremen Umweltbedingungen haben wir im letzten Jahr einen wichtigen Meilenstein erreicht“, erklärte Brendler. Seinen Aussagen nach waren diese Tests besonders herausfordernd, da in diesem Schritt sehr hohe Standards beachtet und erfüllt werden mussten.
Nach Abschluss aller Qualifikationen in 2023 kann die Serienfertigung der Munition für die Truppe starten. Auf die genauen Stückzahlen wollte Brendler mit Verweis auf Vertraulichkeit nicht eingehen. Nur so viel, dass man seitens MBDA Deutschland Produktionskapazitäten von Lenkflugkörpern der Enforcer-Familie in einem vierstelligen Bereich pro Jahr anstrebt, sobald die Serienfertigung angelaufen ist und die Produktionslinie dafür bereitsteht. Angesprochen auf den Umstand, ob kurz- oder mittelfristig auch größere Stückzahlen denkbar sind, sagte Brendler, dass das grundsätzlich umsetzbar wäre, verwies aber auch auf die gleichzeitig angespannte Situation bei Rohstoffen und Lieferketten. An einer Lösung arbeite MBDA aber mit Hochdruck.
Wirkmittel 1800+
Die Initiative „Leichtes Wirkmittel 1800+“ wurde aufgrund von Einsatzerfahrungen der Bundeswehr gestartet. Den Soldaten fehlte ein geeignetes Wirkmittel gegen verdeckte Stellungen und leicht gepanzerte, bewegliche Ziele auf Distanzen bis zu 2.000 Meter. Am 20. Dezember 2019 wurde MBDA Deutschland vom BAAINBw mit der Herstellung und Lieferung von Enforcer-Lenkflugkörpersystemen beauftragt. Der Enforcer von MBDA wurde vorher von der Bundeswehr im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens im Teilnahmewettbewerb als Lösung für das Leichte Wirkmittel 1800+ ausgewählt.
Das Gesamtsystem, Flugkörper mit Visiereinrichtung (dieselbe, die bereits für das Wirkmittel 90 mm genutzt wird) wiegt etwa zwölf Kilogramm und ist somit vergleichsweise leicht. Der Flugkörper wurde von MBDA konzipiert, um abgesessenen Kräften eine schnelle und präzise Wirkung auch gegen sich bewegende Ziele in einer Entfernung bis zu 2.000 Metern zu liefern. Unternehmensangaben nach hat MBDA den Lenkflugkörper im Rahmen der Entwicklungsarbeiten bereits mehrmals erfolgreich getestet.
Bei Schießversuchen konnte das Enforcer-Team der MBDA mit gelenkten Schüssen auf 1.000 bis 2.000 Meter mehrere sehr genaue Treffer erzielen. Diese Tests bestätigten unter anderem die Erwartungen an den Suchkopf, der den Flugkörper jeweils mittig ins Ziel lenkte.
Daten zur Zielgenauigkeit werden durch MBDA nicht offengelegt, aber Demovideos zeigen höchstgenaue, direkte und mittige Treffer– selbst auf bewegliche Ziele.
MBDA gibt die Fähigkeiten des Enforcer in der Variante Leichtes Wirkmittel 1800+ wie folgt an:
- Reichweite 2000 m +
- Fire-and-Forget-System
- Passive 24h-Fähigkeit
- Lock-On Before Launch (LOBL)
- Höchste Präzision über die gesamte Reichweite
- Multi-Effekt-Gefechtskopf mit Multimode-Zünder
- Airburst-Fähigkeit (Luftsprengpunkt)
- Einsatz aus umschlossenen Räumen
- Ein-Mann-Bedienung
Weiterentwicklung der Enforcer-Familie
MBDA Deutschland hat bereits 2022 die Entwicklung neuer Varianten des Enforcer angekündigt, nun hat Brendler weitere Details zu der Flugkörperfamilie bekanntgegeben. Nach Einmarsch Russlands in der Ukraine hat die MBDA Brendlers Angaben nach untersucht, inwiefern in der Endphase der Entwicklung befindliche Systeme vergleichsweise einfach und schnell so modifiziert werden können, dass diese auch im Rahmen von Bündnis- und Landesverteidigung größten Nutzern für die Streitkräfte leisten können. „Die Erfahrungen in der Ukraine zeigen, dass panzerbrechende Wirkung und Drohnenabwehr besonders nachgefragte Fähigkeiten sind“, so Brendler.
Genau hier kommt seiner Meinung nach der Enforcer ins Spiel, der mit geringem Entwicklungsaufwand für ein erweitertes Zielspektrum adaptiert werden kann. „Der Enforcer-Flugkörper wurde von Beginn an ausbaufähig und modular entwickelt, beispielsweise sind andere Such- oder Gefechtsköpfe leicht integrierbar“, erklärt der MBDA-Vertriebsleiter. Dies ermögliche eine sehr verzugslose und somit zeitnahe Umsetzung z.B. einer panzerbrechenden Variante („Enforcer X“) oder eines Boden-Luft-Lenkflugkörpers gegen Bedrohungen aus dem bodennahen Luftraum („Small Anti-Drone-Missile (SADM)“).
Enforcer X
Mit dem Enforcer X plant man eine Panzerabwehrvariante des Lenkflugkörpers. Im Gegensatz zum Enforcer, welcher über einen Multi-Effekt- Gefechtskopf mit Multimode-Zünder verfügt, ist für den Enforcer X ein Gefechtskopf mit einer Tandem-Hohlladung vorgesehen. Damit können dann auch stark gepanzerte sowie mit Reaktivschutz der dritten Generation versehene Gefechtsfahrzeuge – auch in der Bewegung – auf Distanzen von bis zu 2.000 Meter bekämpft werden. Dadurch, dass bis auf den Gefechtskopf, alle weiteren Baugruppen und Bedienelemente gleich sind, würde das System MBDA zufolge hohe Synergien und Vorteile für Ausbildung und Logistik mit dem Leichten Wirkmittel 1800+ aufweisen.
SADM
Die Small Anti Drone Missile, kurz SADM, ist die dritte Variante des Enforcers, die im Gegensatz zu vielen anderen Flugabwehrlenkflugkörpern auf dem Markt speziell auf die Rolle der Drohnenabwehr entwickelt wurde. „Die SADM ist optimiert auf die Bekämpfung von Kleindrohnen“, präzisierte Brendler. Mit Kleindrohnen sind unbemannte Flugsysteme von geringer Größe und Sichtbarkeit gemeint, die trotz ihrer vergleichsweise geringen Ausmaße einen erheblichen Schaden anrichten können. Gerade diese Systeme, die sehr schwierig zu detektieren und zu verfolgen sind, sollen Brendler zufolge mit der SADM bekämpft werden können. Die Bekämpfung solcher Kleindrohnen gilt als äußerst herausfordernd, besonders dann, wenn diese zahlreich und vernetzt agieren. Hier bietet sich ein leistungsstarker, aber kostengünstiger Lenkflugkörper an, der in höherer Stückzahl mitgeführt werden kann.
„Im Vergleich zum ursprünglichen Enforcer-Flugkörper ist die SADM reichweitengesteigert und mit einem speziellen Suchkopf gegen Ziele in der Luft versehen. Ausgehend von der vorhandenen Technologiebasis des Enforcer erreichen wir somit schnell und kosteneffizient den Lösungsraum für die operationellen Herausforderungen eines solchen Zielspektrums“, führte Brendler aus. In einem ersten Schritt könnte die SADM in bereits existierende Waffenanlagen/-türme integriert werden. Die für Boden-Luft-Lenkflugkörper vergleichbar kleinen Ausmaße der SADM ermöglichen das Mitführen von bis zu neun SADM je mobiler Feuereinheit. Der MBDA-Vertriebsleiter macht deutlich, dass man somit „die Feuerkraft bieten könne, die in den heutigen Bedrohungssituationen notwendig geworden ist“. Auch eine plattformungebundene Nutzung der SADM wäre denkbar, vergleichbar mit dem Einsatz der sogenannten MANPADS.