Laut dem gestern vorgestellten Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD wird es zumindest vorerst keine Wiedereinführung der ausgesetzten Wehrpflicht geben. Wörtlich heißt es im Abschnitt „Verteidigungspolitik“: „Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert. Für die neue Ausgestaltung dieses Dienstes sind die Kriterien Attraktivität, Sinnhaftigkeit und Beitrag zur Aufwuchsfähigkeit leitend. Wertschätzung durch anspruchsvollen Dienst, verbunden mit Qualifikationsmöglichkeiten, werden die Bereitschaft zum Wehrdienst dauerhaft steigern. Wir orientieren uns dabei am schwedischen Wehrdienstmodell. Wir werden noch in diesem Jahr die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung schaffen.“
Damit konnte sich die Union nicht durchsetzen, die in der Arbeitsgruppenphase der Verhandlungen noch das Ende der Wehrpflicht-Aussetzung gefordert hatte. Die Formulierung im Koalitionsvertrag entspricht weitgehend dem SPD-Vorschlag, enthält aber nicht mehr die Forderung nach einer breiten gesamtgesellschaftlichen Diskussion „zur Einführung eines neuen attraktiven Dienstes für alle Bürgerinnen und Bürger“. Offenbar konnten CDU/CSU zumindest ein „zunächst“ in der Entscheidung zur Freiwilligkeit unterbringen. Das dürfte einer Sorge auch unter Sozialdemokraten geschuldet sein, dass alle Attraktivität, Sinnhaftigkeit und Wertschätzung die Bereitschaft zum Wehrdienst in den kommenden Jahren eben doch nicht im erforderlichen Umfang steigern.
Wie schwedisch darf die Wehrpflicht sein?
Auch der Verzicht der SPD auf weitere „breite gesamtgesellschaftliche Diskussion“ beruht vermutlich auf der Erkenntnis, dass hierfür angesichts der sich rasant entwickelnden sicherheitspolitischen Herausforderungen keine Zeit sein wird. Es wird somit voraussichtlich beim im vergangenen Jahr von Verteidigungsminister Boris Pistorius – der diese Position nach allen Anzeichen weiter innehaben wird – vorgestellten Fragebogen-Modell bleiben. Die Union hatte dieses nach dem Scheitern der Vorgängerregierung noch als unzureichend abgelehnt und damit auch den jetzt vereinbarten Wiederaufbau von Wehrerfassung und Wehrüberwachung verzögert. Da das BMVg laut Koalitionsvertrag jedenfalls in SPD-Hand bleibt, ist nun zumindest auf rasche Umsetzung der bisherigen Planungen zu hoffen.
Wie nahe diese dem als Vorbild genannten schwedischen Wehrdienstmodell kommen werden, ist fraglich. Schweden zieht seit Wiedereinführung der Wehrpflicht 2017 pro Jahr etwa 4.000 von 13.000 tauglich gemusterten jungen Männern und Frauen zu einem zwölfmonatigen Grundwehrdienst heran. Der Anteil der Frauen ist dabei zwischen 2018 und 2024 von 15 auf 24 Prozent gestiegen. 2019 wurden erstmals Geld- und auch Gefängnisstrafen gegen mehrere Dutzend Wehrpflichtige verhängt, die den Dienstantritt verweigerten (nicht zu verwechseln mit der Verweigerung des Wehrdienstes, für den auch in Schweden ein Ersatzdienst möglich ist).
Außerdem: Verteidigungsausgaben, Einsatzbereitschaft, Beschaffung
Eine solche Auswahlwehrpflicht dürfte in Deutschland mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Wehrgerechtigkeit aus dem Jahr 2009 unvereinbar sein. Die Hoffnung ist wohl eher, dass sich mit dem gesetzlichen Zwang zur Beschäftigung mit dem Thema auch hierzulande rasch eine skandinavische Einstellung zum freiwilligen Wehrdienst entwickelt. So dienen in Dänemark nach Angaben der Streitkräfte 99 Prozent der Soldatinnen und Soldaten freiwillig. Nur ein geringer Anteil der tauglich gemusterten Männer – ab nächstem Jahr auch Frauen – wird daher per Losverfahren zu einem elfmonatigen Grundwehrdienst herangezogen, um den verbleibenden Bedarf zu decken.
Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD bekennt sich im Übrigen zur NATO einschließlich der nuklearen Teilhabe, zu deutlichen Steigerung der Verteidigungsausgaben entsprechend der NATO-Fähigkeitsziele, zur Steigerung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und der Stärkung von Heimatschutz und Reserve. Das Planungs- und Beschaffungswesen soll reformiert und die Wettbewerbsfähigkeit der Verteidigungsindustrie durch langfristig planbare Beauftragungen und vereinfachten Kapitalzugang gestärkt werden. Auch das Genehmigung- und Vergaberecht für militärische Infrastruktur soll vereinfacht werden.
Stefan Axel Boes