Am vergangenen Mittwoch hat das Bundeskabinett den Plänen von Verteidigungsminister Boris Pistorius für den „Neuen Wehrdienst“ zugestimmt. Der damaligen Planung zufolge sollten nach parlamentarischer Befassung ab Frühjahr 2025 alle 18-jährigen Männer mit deutscher Staatsbürgerschaft angeschrieben und verpflichtet werden, einen Fragebogen zur Eignung und Bereitschaft für den Dienst in der Bundeswehr auszufüllen. Frauen sollten sich freiwillig beteiligen können. Mit dem Gesetzentwurf sollten zudem Verwaltungsregelungen für die Wehrerfassung und -überwachung wieder eingeführt werden.
Nach dem Auseinanderbrechen der Ampelkoalition am folgenden Tag ist die Umsetzung in dieser Form allerdings fraglich. Wie der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Johann Wadephul gegenüber der Deutschen Presseagentur erklärte, wolle die Union vor einer Neuwahl nicht mehr mit SPD und Grünen für den Entwurf stimmen. „CDU/CSU wollen eine echte Wehrpflicht und keinen unverbindlichen Fragebogen. Das hatte Verteidigungsminister Pistorius auch erkannt, konnte sich in seiner Partei aber schon nicht gegen den Kanzler durchsetzen“, so Wadephul. Die Zeiten seien zu ernst für politische Formelkompromisse.
Einführung von Wehrdienst könnte sich verschieben
Ob die FDP nach ihrem Ausscheiden aus der Koalition dem Gesetz im Bundestag noch zustimmen würde, ist unsicher. Mit dem Scheitern des Gesetzentwurfs würde sich allerdings nicht nur die erhoffte Gewinnung von 5.000 zusätzlichen Wehrdienstleisenden für das kommende Jahr verzögern. Auch die Wiedereinführung von Wehrerfassung und -überwachung müsste auf Neuwahlen, Koalitionsverhandlungen, Abstimmung innerhalb einer neuen Regierungskoalition und Erarbeitung eines neuen Gesetzentwurfs warten. Je nach Dauer könnte sich dies eventuell sogar auf 2026 verschieben.
Das bisherige Pistorius-Modell sah vor, dass diejenigen, die im Fragebogen Interesse an einem Wehrdienst äußern, zu einem persönlichen Assessment eingeladen werden. Wer tauglich ist, erhielte anschließend ein Angebot für einen Dienst mit einer Dauer von sechs bis 23 Monaten. Dieser könnte im Heimatschutz, aber auch allen anderen Verwendungen in der Truppe geleistet werden. Der „Neue Wehrdienst“ würde damit sowohl den bisherigen Freiwilligen Wehrdienst mit sieben bis 23 Monaten Dauer als auch den als „Dein Jahr für Deutschland“ beworbenen Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz ablösen.
Ziel: Aufbau der Reserve
Die für 2025 angestrebte Zahl von zusätzlichen 5.000 Freiwilligen orientierte sich zunächst an den noch verfügbaren Stellen für Freiwilig Wehrdienstleistende. Für die folgenden Jahre sollte dies entsprechend des Ausbaus von Ausbildungs- und Unterkunftskapazitäten erhöht werden. Ziel war vor allem, einen Pool von im Krisenfall mobilisierbaren Reservisten aufzubauen. Derzeit beträgt die aktive Stärke der Bundeswehr knapp unter 180.000 Männer und Frauen, während etwa 34.000 Reservisten regelmäßig üben. Bereits für die jetzt geplanten Strukturen liegt der Bedarf für die Reserve jedoch bei 60.000.
Mit neuen Forderungen der NATO könnte sich der notwendige Verteidigungsumfang der Bundeswehr jedoch um weitere 75.000 Mann erhöhen. Insgesamt ging das Bundesministerium der Verteidigung bei der Vorstellung des Konzepts für den „Neuen Wehrdienst“ sogar von einem Gesamtbedarf von 460.000 Soldatinnen und Soldaten im Kriegsfall aus, was vermutlich Heimatschutzkräfte und Ersatzreserve einschließt. Eine Verzögerung bei der Umsetzung des Wiederaufbaus der Infrastruktur für die Wehrerfassung – egal ob durch freiwilligen oder verpflichtenden Wehrdienst – birgt daher die Gefahr, diese Umfänge nicht rechtzeitig für erwartete Bedrohungssituationen zu erreichen.
Stefan Axel Boes