„A day in the office“ hört sich immer nüchtern und langweilig an, Büroarbeit, den ganzen Tag sitzen, usw. Für die Angehörigen des Stabes der Division Schnelle Kräfte (DSK) mit Sitz im hessischen Stadtallendorf muss das nicht sein. Denn die DSK führt mit ihrem Stab alle Fallschirmjäger-, Heeresflieger- und Spezialkräfte des deutschen Heeres. Im Stab sitzt so z.B. auch der Beauftragte für die Freifaller in der Division, und viele andere Soldaten, die ihre Springerlizenzen jährlich erhalten müssen. Dies gilt sowohl für die Fallschirmjäger mit einer Automatenlizenz (der Schirm öffnet sich dank Aufziehleine automatisch) sowie für die Freifaller.
Der Windtunnel
Ende April tauschten die Soldaten des Stabes zum Freifalltraining ihr Büro mit dem Windtunnel der Indoor Skydiving GmbH in Bottrop, Nordrhein-Westfalen. Denn hier steht einer der modernsten Windkanäle der Welt, speziell für das Fallschirmspringen konzipiert. Der Windkanal in Bottrop war der erste seiner Art in Deutschland und steht jetzt schon rund zehn Jahre. Mittlerweile gibt es gleiche bzw. ähnliche Anlagen in Berlin und München (jeweils 2 Stück). Die Anlage an sich ist schon etwas besonderes und lässt Technikfans aufhorchen. Das gesamte Gebäude misst eine Höhe von 35 m, die eigentliche Flugkammer für das Training hat einen Durchmesser von 4,3 m und die Springer können eine maximale Flughöhe von 17 m erreichen. Angetrieben werden sie durch 1.000 Kubikmeter pro Sekunde an Luft, die durch vier Axialventilatoren mit je 400 KW erzeugt wird. Der gesamte Antrieb kommt auf eine Leistung von über 2.170 PS und kann Windgeschwindigkeiten von über 280 km/h erzeugen. Entwickelt wurde die Anlage zusammen mit dem Institut für Luft- und Raumfahrt der Universität Berlin.
Trainingsmöglichkeiten
Doch was bringt eine zivile Anlage, bei der für viele Nutzer das Erlebnis und der „Funfaktor“ im Vordergrund steht, militärischen Fallschirmjägern? Der freie Fall bei einem Realsprung dauert nur zwischen 45 und maximal 52 Sekunden. Nicht viel Zeit zum trainieren. Der gleichbleibende und anhaltende Luftstrom der Anlage ermöglicht ein dauerhaftes und effektives Training. So können hier Notverfahren und Grundlagen geübt werden. Dazu gehören u.a. Drehungen, Verschiebungen links/rechts, der punktuelle Fall – also auf der Stelle liegen zu bleiben, ohne Bewegung nach vorne, hinten, rechte oder links, Scheingriffe zum Öffnen der Fallschirme und 3-D-Fliegen (die Zusammenarbeit und das Anfassen/Festhalten anderer Springer). Ausbilder können hier weitergebildet werden, ganz ohne großen Aufwand und Hektik. Da Ausbildung und Inübunghaltung bei der Bundeswehr immer vom Leichten zum Schweren erfolgt, geschieht dies natürlich auch hier. Zunächst beginnt der Auszubildende oder Übende mit einem einfachen und zivilen Fallschirmsprunganzug. Später folgt in mehreren Schritten die Hinzunahme einer Schirmattrappe, Plattenträger, Waffenattrappen bis hin zu leichtem und schwerem Gepäck. Sogar die Mitnahme der Diensthunde wäre möglich, wurde aber noch nicht durchgeführt.
„Das ist Sicherheitstraining“, erklärt Stabsfeldwebel Michael U., seit fünf Jahren Freifallbeauftragter der DSK. „Diese Notverfahren müssen ins Blut übergehen. Wir müssen reagieren, ohne nachzudenken. Jede Sekunde kann entscheidend sein!“ Deshalb wird hier im Turm auch teilweise drillmäßig geübt, jeder Handgriff muss sitzen. Was sich einfach anhört und natürlich auch Freude erzeugt, ist dennoch harte Arbeit. Der Auszubildende muss während der Notfallsequenzen seine stabile Fluglage beibehalten oder in der Lage sein, in der Luft Kontakt zum Kameraden aufzunehmen, damit dieser im Fall der Fälle lebensrettend „zupacken“ kann. Ungeübte Springer können nach einem Trainingstag im Turm schon einmal mit Muskelkater nach Hause gehen.
Außerdem lässt sich hier auch trainieren, wenn das Wetter und die Jahreszeit es in Deutschland eigentlich nicht erlaubt. Daher trainiert die Bundeswehr hier mit vielen Einheiten über das Jahr verteilt, neben den Angehörigen der Division Schnelle Kräfte und ihren unterstellten Verbänden, kommt auch das Kommando Spezialkräfte (KSK), die Spezialkräfte der Marine (KSM) oder die GSG9 der Bundespolizei hier regelmäßig vorbei. Ein Freifaller muss je nach Ausbildungshöhe zwischen 8 und 20 Pflichtsprünge zum Scheinerhalt machen, angestrebt sind aber mindestens 60 Sprünge pro Jahr. Das Training im Windkanal soll aber die realen Sprünge nicht ersetzen, sondern nur ergänzen und eine optimale Aus- und Vorbereitung ermöglichen. So kann eine 30-minütige Flugzeit im Turm von bis zu sechs Springern genutzt werden, die sich minütlich nacheinander abwechseln. Allein die DSK hat rund 500 Dienstposten, die an eine Freifalllizenz gekoppelt sind. Die Springer der DSK hatten diesmal vier Einheiten à einer Stunde gebucht, jeweils unterbrochen von einer Stunde Pause. Die Pausen können dank festverbauter Kamera- und Filmtechnik auch zur Nachbesprechung in einem der Schulungsräume genutzt werden. Somit finden die Fallschirmjäger hier ganzjährig optimale Trainingsbedingungen vor. Auch werden hier kurze Vorausbildungen durchgeführt, bevor es dann auf den eigentliche Freifalllehrgang geht. So wird versucht, eine steilere Lernkurve auf dem Lehrgang zu ermöglichen. Der Betreiber bietet zivil z.B. auch einen AAF-Vorbereitungskurs an, dieser dauert dann einen Tag.
Realsprünge vs. Windkanal?
Laut Betreiber ersetzt eine Trainingsstunde im Windkanal rund 100 reale Trainingssprünge. Eine Stunde ist auch für Anfänger an drei Tagen schnell zu schaffen. Der reale Sprung soll aber nicht ersetzt werden, denn er ist noch einmal anders. Vor allem die Phase, bei der das Flugzeug verlassen wird. Der Einstieg mit Gepäck in den Turm ist ruhig und gleichmäßig, aus dem Flieger bei ca. 160 km/h eher hart und plötzlich. Da wirken dann noch einmal ganz andere Kräfte. Gerade in dieser Phase können Fehler durch die Springer gemacht werden, die zum Abbruch oder Gefährdung der Mission führen können. Der Turm lässt an Feinheiten arbeiten und kann von den Schülern viel Druck nehmen, der z.B. durch Angst beim Realsprung noch einmal hinzukommt.
Auch aus Kostensicht ist die Nutzung solcher Anlagen sinnvoll. Eine Flugstunde kann je nach Luftfahrzeug, z.B. C-160 TRANSALL, schon einmal rund € 3.500 betragen. In der Zeit sind dann oft nur ein oder zwei Sprünge möglich. Dafür kann in so einem Windkanal viel Sprungzeit gebucht werden. Und die Abhängigkeit vom Wetter, der Verfügbarkeit der Luftfahrzeuge oder der Piloten entfällt ebenfalls. Schon seit 2015 gibt es in der Bundeswehr Überlegungen einen eigenen Windtunnel am Ausbildungsstützpunkt Luftlande/Lufttransport (AusbStp LL/LT) in Altenstadt (Oberbayern) zu bauen. Kostenpunkt, vier bis sechs Millionen Euro.
Wer mehr von der Ausbildung sehen will, der Westdeutsche Rundfunk (WDR) begleitetet den Tag im Turm und plant die Berichterstattung im Fernsehen auf WDR Essen in der Lokalzeit Ruhr für Freitag den 3. Mai zwischen 19.30 und 20.00 Uhr.
André Forkert
(Video: DSK/Andre Forkert)