Seit Beginn der Corona-Pandemie ist in den vergangenen Monaten der Informationsfluss aus den Unternehmen z.B. über Neuheiten und Produktverbesserungen schwerfällig bis unmöglich gewesen. Mittlerweile habe sich digitale Pressekonferenzen durchgesetzt, so auch jetzt bei MBDA Deutschland.
TLVS
Eines der wichtigsten Themen in der Bundeswehr ist das Taktische Luftverteidigungssystem (TLVS). Es trägt, so Peter Heilmeier, Leiter Vertrieb und Geschäftsentwicklung sowie Mitglied der Geschäftsleitung, signifikant zur NATO-Raketenabwehr bei. Er beruft sich dabei auch auf den Rüstungsbericht 2020 des Verteidigungsministeriums. Heilmeier wies darauf hin, dass im Laufe des Sommers erneut ein aktualisiertes Angebot abgegeben werden muss. Ziel sei es, innerhalb der aktuellen Legislaturperiode noch zu einem Vertrag zu kommen. Die Ablehnung des letzten Angebotes habe vor allem an Vertragsdetails gelegen. Heilmeier sieht sein Unternehmen gut im Rennen, man sei beim eigentlichen Angebot schon sehr nahe an den Wünschen des Kunden gewesen.
Abwehr von Hyperschallbedrohungen
In Europa gibt es einen Bedarf nach einem zukünftigen endo-atmosphärischen Interceptor gegen Hyperschallbedrohungen. Die Hauptbedrohung wird durch Entwicklungen in Russland gesehen. Hier muss sich Europa schützen und gemeinsam wirksame Lösungen finden. Neben dem „Future Interceptor“ geht es bei der Entwicklung aber auch um rechtzeitiges Erkennen und Verfolgen von Flugobjekten als Voraussetzung des Abfangens. Hier sieht sich MBDA gut aufgestellt. Nach der Auffassung der Firma könne sie mit Ramjet ein wichtiges Angebot machen. Deutschland besitze derzeit nur einen Beobachterstatus im PESCO (Permanente Strukturierte Zusammenarbeit in der EU) Projekt Twister. Das Projekt Twister sei eines der 13 neuen PESCO-Vorhaben, die der Ministerrat der EU am 12. November 2019 bekannt gegeben habe. Twister steht für „Timely Warning and Interception with Space-based Theater surveillance“ und bezeichnet die rechtzeitige Warnung und Abwehr von Flugkörpern mit raumgestützter Überwachung.
Laser
Die Laserentwicklung im Systemhaus MBDA findet in Deutschland statt. Daher ist das Thema Laser für den Standort Schrobenhausen von herausragender Wichtigkeit. Zunächst sei die Integration eines Laserdemonstrators auf der Fregatte F124 für Ende 2021 geplant, mit anschließend einjähriger Erprobung (in ARGE mit RWM), meinte Heilmeier. Neben der maritimen Anwendung würden aber auch Einsatzmöglichkeiten auf Landfahrzeugen geprüft. Hier stellt MBDA z.B. Schlüsselelemente am Laserdemonstrator auf Boxer bereit. Langfristig böten Laser ein hohes Potential für vielseitige Anwendungen bis hin zum Projekt Main Ground Combat System (MGCS). Heilmeier betont aber auch: „Der Laser wird für MGCS noch nicht ausreichen, um eine Kanonenbewaffnung zu ersetzen. Er wird eine Zusatzbewaffnung, z.B. als Counter-UAV System.“ Bis 2040 würden die Leistungen der Laser nicht ausreichen, um gegen gegnerische Kampfpanzer agieren zu können. Mit einem ersten Demonstrator sei 2028 zu rechnen. Bei MGCS könnten Laser die Rolle „Very Short Range Air Defense“ (VSHORAD), Counter-UAS, Line-of-Sight Targets sowie zu einem späteren Zeitpunkt Anti-Tank übernehmen.
Future Combat Air System (FCAS)
FCAS ist eines der größten und wichtigsten Projekte im europäischen Raum. Dabei handelt es sich um eine Europäische Kooperation zwischen Deutschland, Frankreich und Spanien. MBDA als europäischer Konzern sieht sich hier gut aufgestellt, vor allem im Bereich Bewaffnung und Remote Carrier (RC). Dazu wurde eigens ein RC Plateau in Schrobenhausen eingerichtet – dies ist ein Arbeitsbereich mit modernsten Geräten, in dem MBDA-Mitarbeiter zusammen mit Anteilen von Airbus agieren können.
FCAS ist ein Systems of Systems Ansatz mit sehr vielen unterschiedlichen Teilnehmern, die alle miteinander vernetzt sind und gemeinsam agieren. Bemannte Kampf- und Aufklärungsflugzeuge werden von unbemannten Systemen unterstützt. Die RCs sollen als Schwarm und als beitragende Elemente eingesetzt werden. Sie werden durch Transportflugzeuge wie den Airbus A400M oder andere Luftfahrzeuge abgesetzt und ggf. auch wieder aufgenommen. MBDA stellte mit dem RC100 und RC200 in Le Bourget 2019 bereits Konzepte vor. Es handelt sich um modulare Flugkörper, die schnelle Innovationszyklen zulassen. Alle RCs werden intelligent teamen, untereinander und mit den bemannten Plattformen. Ihnen fallen die Rollen Sense (Aufklärung), Survive (Durchsetzungsfähigkeit, Elektronische Gegenmaßnahmen zum Stören und Täuschen, etc.) und Effect (letale und nicht-letale Wirkmittel) zu. Derzeit befinde man sich noch in der Definitionsphase. Davon hänge dann auch ab, ob es nur zwei oder doch mehr RC-Größen geben wird.
Die kleineren RC100 sollen als Selbstschutzmaßnahme auch durch das eigentliche Kampfflugzeug mitgeführt werden können. Der RC100 ist ca. 2,8 Meter lang, 250 kg schwer und verfügt über eine verminderte Radarsignatur. In der Spitze ließen sich multiple Nutzladungen einfach integrieren.
Mit den RCs erfolgt die Umsetzung von Manned-Unmanned Teaming (MUM-T) sowie Unmanned-Unmanned Teaming (UUT), wobei der Mensch – in Echtzeit – als letzte Instanz immer noch die Kontrolle innehabe. Bei der Planung gehe man aktuell von einem zentrischen Ansatz aus. Zudem würden die Anteile der Planung und Durchführung immer mehr miteinander verschmelzen. Dazu bedürfe es einer extrem robusten und störresistenten Architektur. Die Kommunikationsverbindungen über LINK (military tactical data link network) müssten breitbandig, störsicher und gleichzeitig nicht aufklärbar sein.
Die robuste Systemarchitektur ermögliche eine flexible Operationsführung, selbst wenn einige Anteile durch den Gegner bereits aus dem Spiel genommen wurden. Diese sogenannte „Air Combat Cloud“ bildet damit das Herzstück. In ihr werden die Kampfflugzeuge – unter anderem der Next Generation Fighter – die Remote Carrier, Unterstützungsflugzeuge (z.B. AWACS), Transportflugzeuge, Drohnen, Satelliten, etc. vernetzt. Die Transportflugzeuge, wie beispielsweise der A400M, dienen unter anderem zum Absetzen und Aufnehmen bestimmter RCs mit Rückholoption.
Die Remote Carrier können dabei eine Vielzahl von Aufgaben übernehmen:
- Aufklärung
- Unterdrückung
- Jammer
- Täuscher
- Electronic Warfare (EW)
- Effektor
Enforcer – Wirkmittel 1800+
Im Dezember 2019 schloss die Bundeswehr mit MBDA den entsprechenden Vertrag. Die jetzt bestellten Systeme seien für das Kommando Spezialkräfte (KSK) vorgesehen. MBDA erhofft sich aber, dass mit einer erfolgreichen Nutzung bei den Spezialkräften auch das Interesse bei der Infanterie steigt. Heilmeier nannte daher den Enforcer „das Wirkmittel der Bundeswehr für die Zukunft“.
Erste vertragliche Liefermeilensteine seien bereits erfüllt, u.a. durch die Lieferung erster Komponenten an die Wehrtechnische Dienststelle zu Testzwecken.
Doch MBDA hat mit dem System noch viel vor. Da wäre zum einen der Exportmarkt. Erste Vertriebskampagnen u.a. in Polen und Australien wurden gestartet. Außerdem solle die Grundversion in eine ganze Produktfamilie überführt werden. Vorgesehen sei die Integration oder Adaption auf unterschiedlichsten Plattformen, „zu Land, in der Luft oder zu Wasser“. Der Enforcer könne z.B. auf leichtere Waffenstationen als MELLS (Mehrrollenfähiges Leichtes Lenkflugkörper-System) integriert werden.
Guido Brendler, Leiter Vertrieb und Marketing und Jochen Dehner, Vertrieb und Marketing Landsysteme, betonten: „MELLS ist für Hochwertziele wie Kampfpanzer, der Enforcer für Ziele unterhalb davon, z.B. Pick-Ups, leichtgeschützte Fahrzeuge, etc.“. Zunächst sei eine Integration auf dem GTK Boxer vorgesehen. Es kämen aber auch Einsätze auf Unmanned Ground Vehicle (UGV) oder in Remote Controlled Post (ReCoP) in Frage.
Schon länger angedacht und u.a. auf dem Symposium in Bückeburg schon vorgestellt worden sei ein Enforcer AIR. Dieser werde erheblich höhere Reichweiten haben, bis zu 20 km+, da er auch gleitfähig sei und eine stabile Flugbahn habe. In bodennahen Anwendungen liege die Reichweite wohl bei drei bis acht km. So soll der Enforcer von Unmanned Aerial Vehicle (UAV) oder Light Utility Helicopter (LUH) eingesetzt werden können. Bei den UAVs sei u.a. der Euro Male sowie eine Reihe anderer kleinerer UAVs angedacht. MBDA kann sich zu einem späteren Zeitpunkt auch Einsätze im maritimen Umfeld sowie als Panzerabwehr vorstellen.
André Forkert