StartTaktik & AusbildungBundeswehr digitalisiert die Schießausbildung

Bundeswehr digitalisiert die Schießausbildung

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Unter der Leitung des Kommandos Territoriale Aufgaben hat sich die Bundeswehr ein ehrgeiziges Ziel gesetzt, bis 2028 sollen die Übungsplätze Munster und Bergen als erste voll digitalisiert und miteinander verbunden werden. Damit soll ein geschlossenes und trotzdem ortsunabhängiges Beüben einer ganzen Brigade ermöglicht werden, wie Brigadegeneral Andreas Henne, stellvertretender Kommandeur Territoriale Aufgaben und Projektbeauftragte für die Digitalisierung der Truppenübungsplätze, unlängst in einem Interview mit der Bundeswehrredaktion äußerte. Insgesamt soll die Maßnahme 13 Übungsplätze betreffen. Henne hielt zudem fest, dass im Rahmen dieser Ertüchtigung auch auf die Schießausbildung eine deutliche Neuerung zukommen wird, welche das bisherige Gefechtsschießen verändern wird und von dem sich die Bundeswehr einen signifikanten Beitrag zur Steigerung der Letalität erhofft.

Mit Einführung des aktuellen Schießausbildungskonzeptes hat die Bundeswehr das Schulschießen, welches in seiner ursprünglichen Form durch die Komponenten Grundlagenausbildung Nahbereichsschießen usw. abgelöst wurde, sowohl methodisch als auch in Bezug auf das praktische Handwerkszeug des Ausbilders modernisiert. Die Ausbildung hat an Dynamik gewonnen, zeitgemäße Lehrelemente im Verbund mit einem realistischeren Munitionsansatz haben Einzug erhalten. Mit Nichten wurde der Schwerpunkt ausschließlich auf den Nahbereich gelegt. Schließlich soll moderne Schießausbildung neben einem hohen Grad an Eigenverantwortung für die Administration von Waffe, Munition und Ausrüstung im Schwerpunkt das sichere Treffen aus unterschiedlichen Anschlägen und unter der Nutzung von Deckung im gesamten Wirkungsbereich der jeweiligen Handwaffe abbilden.

Der Übergang zum Gefechtsschießen stellt aber immer noch eine methodische Herausforderung dar. So sieht das neue Schießausbildungskonzept einige Übergangselemente wie den taktischen Ablauf vor. Auch das Üben mit Manövermunition erlaubt die Grundlagen des Bewegens im Gelände, auch im Verbund mit anderen Soldaten, die Wahl der Stellung und des Anschlages sowie den geleiteten und selbstständig geführten Feuerkampf. Das im Anschluss erfolgende Gefechtsschießen wird jedoch als Rückschritt wahrgenommen. Die klassische Klappfallscheibe in ihrer Zweidimensionalität ist nicht nur von ihrer flachen Silhouette bedingt einsatzrealistisch und verhält sich im Gegensatz zu einem Soldaten in darstellender Funktion auch überaus statisch und wenig lebensnah. Der Soldat übt gleichsam unter Laborbedingungen. Diesen Konflikt will der neue Ansatz aufbrechen und nachhaltig beseitigen. Das methodische Fundament für diese Entwicklung liefert das seit über einem Jahrzehnt eingeführte Schießausbildungskonzept.

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Als Grundvoraussetzungen müssen die Übungsplätze mit ihren Schießbahnen eine digitale Infrastruktur erhalten, um das Gerüst für den Betrieb und die Auswertung der modernen Übungsszenare zu ermöglichen. Durch einen konsequenten 5G Ausbau, die Ausstattung mit teil- bis vollautonomen Zielen und einem digitalen Steuerungs- und Auswertesystem wird so die Grundlage für eine zeitgemäße Ausbildung geschaffen. Um die erwähnte starre und nicht realitätsnahe Form der Feindarstellung bei Gefechtsschießen abzulösen reicht die reine Digitalisierung jedoch nicht aus. Daher erprobt die Wehrtechnischen Dienststelle (WTD) 91 in Meppen bereits unterschiedliche bewegliche Ziele des australischen Herstellers Marathon Targets, welche im Verbund mit künstlicher Intelligenz die gewünschte Feinddarstellung leisten können sollen.

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Frank Jaspers (l.) und René Kargus leiten in der WTD 91 das Projekt zur Weiterentwicklung der Truppenübungsplätze. (Foto: Bundeswehr / Carsten Borgmeier)

Der Projektverantwortliche Frank Jaspers leitet dort mit einem Kollegen das Projekt „Weiterentwicklung Truppenübungsplatz“ und betont in einem Gespräch mit der Redaktion der Bundeswehr, dass es darum geht für die Truppe nutzbare und umsetzbare Lösungen zu finden. Der Schwerpunkt liegt laut Jasper eindeutig bei der Erprobung sogenannter Smart Targets. Diese sind in der Lage sich im Gelände zu bewegen und können in Bezug auf Verhalten und Route im Vorfeld programmiert werden. Neben Einzelschützen stehen auch Fahrzeuge, in Form von Pickups mit integrierter Besatzung, zur Verfügung. Ein Sensorik-Paket im Inneren der Ziele detektiert zudem die Trefferzone bei jedem Einschlag. Die aus sich selbst verschließendem Kunststoff gefertigten Ziele haben eine hohe Lebensdauer und das im Bereich der Handwaffen kaliberübergreifend. Der Vorteil liegt in Relation zu einfachen reaktiven Zielen auf der Hand. Das smarte Ziel klappt nicht beim ersten Streifschuss oder durch aufspritzendes Erdreich ab, sondern setzt seine Mission weiter fort, wahlweise auch schneller und mit zusätzlichen akustischen Effekten wie Schreien oder Schusslärm. Dem Ausbilder steht so die Möglichkeit offen die zielballistische Realität wie Körperschutz und unterschiedlich Wirkung von ungeschützten Trefferzonen in die Schießausbildung Einzug halten zu lassen. Durch die genaue digitale Vermessung der Bahn ist der Ausbilder zudem in der Lage die Ziele durch eine verdeckte Annäherung unbemerkt an die Schützen heranzuführen. Die Freiheit bei der Gestaltung der Szenarien erlaubt somit unterschiedlich komplexe Durchgänge und die Gestaltung von an den Ausbildungsstand angepassten Übungen.

Mit der angestrebten Digitalisierung der Schießausbildung als Teil der deutlichen Modernisierung der Übungsplätze versucht die Bundeswehr eine möglichst realistische Ausbildung zu generieren und damit die Letalität vom Einzelschützen bis zur Ebene Gefecht der verbundenen Waffen auf Brigadeebene zu erhöhen. In Bezug auf die Schießausbildung wird dies aber auch in Zukunft nur durch eine gute und robuste Schulschießausbildung gelingen. Wird diese vernachlässigt, so geht der Wert eines aufwändigen Gefechtsschießens gegen null. Jetzt gilt es moderne Maßnahmen wie z.B. auch das Training mit Force on Force Mitteln methodisch zu integrieren. Ein Beispiel dafür ist die geplante Übertragung bestimmter Teilelemente des neuen Zielbaukonzeptes auf die Standortschießanlagen. Dort sollen in Zukunft ebenfalls analog zu den Smart Targets dreidimensionale Ziele die gewohnten Scheiben ergänzen und so früh die Ausbildung und Bedeutung unterschiedlicher Trefferzonen und deren Positionierung ermöglichen.

Kristóf Nagy