StartFührung & KommunikationMit agilen Methoden und digitaler Technologie bestehende Prozesse in der Gefechtsunterstützung beschleunigen

Mit agilen Methoden und digitaler Technologie bestehende Prozesse in der Gefechtsunterstützung beschleunigen

Oberst i.G. Eduard Schnabel und IBM Client Engineering Public Team

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Die Digitalisierung der Streitkräfte ist ein Topthema. Unter der Federführung des Referats Digitalisierung Landbasierter Operationen im Kommando Heer wurde innerhalb von sechs Wochen ein Impuls, bestehend aus IBM-Teilnehmern sowie Soldaten und Soldatinnen des Heeres, des Amtes für Heeresentwicklung, der Artillerieschule und des Artillerielehrbataillons 345, durchgeführt. Der Fokus des gemeinsamen Impulses war zweiteilig, zum einen ging es inhaltlich um das beschleunigte Wirken in der bestehenden und bewährten Streitkräftegemeinsamen Taktischen Feuerunterstützung (STF). Zusätzlich wurde geprüft, inwiefern eine Zusammenarbeit mit agilen Methoden zwischen Kommando Heer und der Industrie innerhalb kürzester Zeit mehrwertstiftend sein kann.

Die STF umfasst u.a. die unmittelbare Feuerunterstützung zur Unterstützung der Operationsführung der Kampftruppe. Im Verbund von Aufklärung, Führung und Wirkung werden die Wirkungsforderungen der Kampftruppe je nach Zielart und Bedrohung priorisiert, entschieden und die Bekämpfung eingeleitet. Die Feuerunterstützung wird dabei nicht nur von Land-, sondern auch von Luft- oder Seestreitkräften erbracht. Die aktuellen Verfahren und Prozesse der Feuerunterstützung sind komplex, sicherheitsrelevant und haben sich über Jahrzehnte bewährt. Allerdings, je nach Beteiligung von einer oder mehreren Führungs- und Entscheidungsebenen, insbesondere im Teilprozess der Entscheidungsfindung, sind diese zeitintensiv. Heute können, von Anforderung bis zur Wirkung im Ziel, bis zu fünf Minuten vergehen, Zeit, die man im Ernstfall oft nicht hat. Zudem konnten das Potenzial und die Entwicklungen aktueller digitaler Technologien noch nicht intergeriert werden.

Durch den Impuls wurde vor allem mit den Anwendern, also Soldatinnen und Soldaten, geprüft, wie die Abläufe in der Gefechtsunterstützung schneller, effektiver und effizienter gestaltet werden können. Ziel war es, die Zeit vom Eingang der Zielmeldung bis zum Feuerkommando durch moderne Technologie deutlich zu verkürzen.

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Um die Arbeit der Anwender zu beschleunigen und gleichzeitig zu erleichtern, verwendeten die Experten von IBM einen Optimierungsalgorithmus, der Faktoren des artilleristischen Feuerkampfes einbezieht und eine Empfehlung zur Priorisierung der Zielmeldungen ausgibt. Die Meldungen werden auf einer Lagekarte dargestellt, was den Überblick der Soldatinnen und Soldaten in stressigen Situationen erhöht. Des Weiteren werden passende Informationen zur Wirkmittelverfügbarkeit angezeigt. Als Resultat der Zusammenarbeit ist ein sogenanntes MVP (Minimum Viable Product) für ein Entscheidungsunterstützungssystem entstanden.

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Zu betonen gilt: Die tatsächlich letzte Entscheidung liegt immer bei den Soldatinnen und Soldaten (human in the loop). Der Optimierungsalgorithmus dient lediglich als Unterstützung.

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Visualisierung der IBM Garage Methode. (Graphik: IBM)

Vor Beginn einer MVP-Entwicklung (im Folgenden „Engagement“) nach der IBM Garage Methode ist vorgesehen, dass sich beide Seiten zu dem Impuls verpflichten und es eine verbindliche Zusage von beiden Seiten für diese Zusammenarbeit gibt. Verbindlichkeit von allen Mitgliedern des Engagements ist die zentrale Komponente, um in einem agilen Vorgehen schnell, zielgerichtet und erfolgversprechend zusammenzuarbeiten. Wenn sich alle Beteiligten verpflichtet fühlen und der Erfolg allen wichtig ist, wird gemeinsam daran gearbeitet, mit dem MVP die gestellten Herausforderungen zu meistern. Dabei verändert sich die Art der Zusammenarbeit. Statt wie bei einer klassischen Zusammenarbeit „Auftraggeber und Auftragnehmer“ entsteht eine Zusammenarbeit als „Team“.

Dieser IBM Garage Methodik folgend wurden im Rahmen des Engagements drei verschiedene Phasen durchlaufen.

Phase 1 – Design-Thinking

Phase 1 ist eine Design-Thinking-Phase, in der Workshops und Anwenderbeobachtungen durchgeführt werden, um ein gemeinsames Verständnis der Nutzer, ihrer Herausforderungen und Bedarfe zu entwickeln und zu vertiefen.

Nach Analyse der Bedürfnisse des aktuellen Prozesses wurde die zu beweisende Hypothese inklusive Kernfragen und Erfolgskriterien definiert.

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Workshop in Idar-Oberstein: Das Team bestand aus Mitarbeitern von IBM und Soldaten vom Kommando Heer, vom Amt für Heeresentwicklung, von der Artillerieschule und vom Artillerielehrbataillon 345. (Foto: Bundeswehr)

Phase 2 – Nutzerinterviews

Ein zentrales Element der Methodik ist kontinuierliches Nutzerfeedback, das maßgeblich für Phase 2 ist und in der angrenzenden Phase weiter parallel läuft.

Im Idealfall werden vier bis fünf Interviews mit unterschiedlichen Nutzern zu verschiedenen Zeitpunkten des Engagements durchgeführt.

Phase 3 – MVP-Implementierung

Um die Hypothese einer KI-gestützten Entscheidungsunterstützung zur Verbesserung des STF-Prozesses zu validieren, wurde in Phase 3 ein MVP entwickelt. Ein MVP ist eine erste minimal funktionsfähige Version eines Produktes.

Vorgehen und Zusammenarbeit

Die agile Arbeitsweise der IBM Garage Methodik beinhaltet ein Setup, das in einwöchige Iterationen gegliedert ist. Dabei gibt es am Anfang der Iteration ein Planungsmeeting für die anstehenden Aufgaben, wobei diese vom Team gemeinsam priorisiert werden. Am Ende der Iteration werden diese Ergebnisse dem erweiterten Stakeholderkreis gespiegelt und Verbesserungen aufgenommen. Begleitet wird die Woche von täglichen (optionalen) Statusmeetings zu Beginn des Tages. So bestand über die Gesamtdauer von Phase 3 ein täglicher Austausch zwischen den Industrie-Kollegen und den Kameraden der Bundeswehr.

Herzstück des MVPs – Optimierungslogik, Daten & Algorithmus

Um die Informationsflut für den Endanwender zu reduzieren, sollten Zielmeldungen priorisiert dargestellt werden. Dafür wurde auf ein Optimierungsmodell aus dem Bereich der mathematischen Programmierung zurückgegriffen.

Beim Aufbau des Optimierungsmodells mussten eine Vielzahl von verschiedenen Priorisierungsfaktoren und Nebenbedingungen berücksichtigt werden. Daraus wurde dann ein Modell der ganzzahligen linearen Optimierung erstellt, das mithilfe vom IBM CLPEX gelöst wurde und als Ergebnis eine priorisierte Liste zurückgab. Das Modell wurde mithilfe der Entwicklungsumgebung Watson Studio in der IBM Cloud erstellt, die ein einfaches Experimentieren und Entwickeln solcher Modelle ermöglicht.

In komplexen Einsätzen sind schnelle Entscheidungen auf Basis aller relevanten Informationen absolut notwendig. Aus diesem Grund sind die Rechenzeiten des verwendeten Modells von entscheidender Bedeutung. Für das Szenario, das in der Anwendung betrachtet wurde, konnte das Optimierungsmodell Ergebnisse innerhalb von 500 ms zurückgeben. Zusätzlich wurden größere Szenarien simuliert und auch in diesen Fällen waren die Ergebnisse mehr als zufriedenstellend. Dieses Ergebnis verdeutlicht die Einsatzfähigkeit solcher Technologien für die Praxis.

Schlusswort – Ein Tool, das trägt

Die sechs Wochen haben gezeigt, was möglich ist, wenn Endnutzer und Tech-Experten eng zusammenarbeiten, sowohl für den inhaltlichen als auch den methodischen Fokus. Durch den Einsatz von KI-Technologie wurde in der Zusammenarbeit ein Optimierungstool geschaffen, das die Priorisierung von Zielmeldungen um 20 bis 40 Prozent beschleunigen kann. Damit wäre der Prozess in einem Bereich von drei bis vier Minuten. Es zeigt auch, dass diese agile Art des Arbeitens weitergeführt werden muss. Eine Aufgabe, die für die Landstreitkräfte nur gemeinsam im Systemzentrum Digitalisierung Dimension Land zu leisten sein wird. Dort sollen alle Fäden der Digitalisierung für die Landstreitkräfte zusammengeführt werden. Die gemeinsame Arbeit hat auch einen guten Ausblick darauf gegeben, wie zukünftig die Test- und Versuchskräfte im Systemzentrum als Teil von Cross-Functional-Teams die Umsetzung der Digitalisierung der Landstreitkräfte unterstützen können.

Die Endanwender bewerteten die Nutzerfreundlichkeit des im Vorhaben entstandenen MVPs geschlossen mit einer 8,5 (Skala 1 bis 10). Auch qualitativ war das Feedback in den Nutzerinterviews positiv, wie beispielsweise: „Super, dann sprechen wir ja dieselbe Sprache, das ist im Prinzip alles, was ich brauche.“ oder auch: „Eine Entlastung ist durch so etwas auf jeden Fall schon mal gegeben!“

Das Fazit aller Beteiligten: Es sei wichtig, mit den Möglichkeiten immer neuerer und verfügbarer Systemlösungen Schritt zu halten. Das bedeutet, in der heutigen Entwicklung schon an morgen zu denken. Um das gesteckte Ziel in der zur Verfügung stehenden Zeit zu erreichen, lag der Fokus auf der Unterstützung einer ganz konkreten Aufgabe innerhalb des STF-Prozesses. Durch die enge und kontinuierliche Interaktion zwischen Entwicklern und Nutzern wurden darüber hinaus zahlreiche weitere Ansätze zur Verbesserung und Weiterentwicklung identifiziert: von Möglichkeiten und Methoden maschinellen Lernens in den einzelnen Gefechtsfahrzeugen (IT-Fachwort „edge“) verfügbar zu machen über die Realisierung eines vollständigen „digitalen Zwillings“ der Feuerunterstützung bis hin zum Einsatz zukünftiger Quantentechnologie. Um das entwickelte Momentum nicht zu verlieren, ist noch im Jahr 2022 geplant, die Ergebnisse bei den zuständigen Fachreferaten im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) vorzustellen. Das BAAINBw (Bedarfsdecker), ebenso wie das PlgABw (Bedarfsträger) wurden von Beginn an mitgenommen. Der Impuls liefert eine Lösung für Forderungen, die seit Jahren bestehen, aber nicht umgesetzt werden konnten. Es gilt, diesen Impuls gemeinsam für die Truppe umzusetzen. Die Truppe, wie die Artillerieschule und das Artillerielehrbataillon 345 begrüßen das.

Autorenteam: Oberst i.G. Eduard Schnabel (Kommando Heer) und IBM Client Engineering Public Team