Im Rüstungsprogramm Land 400 Phase 2 hat die australische Regierung vor sechs Jahren 211 Boxer Combat Reconnaissance Vehicles bestellt, die in fünf Versionen geliefert werden sollen. Neben den Hauptvarianten Aufklärung und Mehrzweck sowie den Varianten Führung und Joint Fires gehören zehn Fahrzeuge in der Instandsetzungs- und elf in der Bergevariante zum Ausstattungsumfang. Die erste Tranche (Boxer Block I) mit 25 Fahrzeugen ist in Deutschland produziert und 2021 ausgeliefert worden (Soldat & Technik berichtete). Die zweite Tranche (Block II) wird seit 2023 in Australien produziert. Die Berge- und die Instandsetzungsvariante sind noch in der Entwicklung.
Für die Bergevariante gelten drei Kernforderungen: Besatzungsstärke drei, Gesamtzugkraft der Windenanlage 62 Tonnen und ausreichend Stauraum für die Bergeausrüstung. Als Lösung hat Rheinmetall Defence Australia (RDA) ein Windensystem von Rotzler ausgewählt, das aus zwei hydraulisch angetriebenen Treibmatic-Winden Typ NG 15 mit je 150 Metern Seillänge, einem hydraulischen Erdanker und einer hydraulischen Energieversorgung besteht, die von dem neuen Rotzler APEX System gesteuert werden. Rotzler hat APEX auf der Eurosatory 2024 als Neuheit vorgestellt.
Mit APEX wird aus dem Trägerfahrzeug und der Bergeeinrichtung ein Bergesystem, das effektiv und sicher aus einer Hand bedient wird. Die Subsysteme der Bergeeinrichtung – z.B. Winden, Kräne, hydraulische oder elektrische Antriebssysteme – sind über einen CAN-Bus verbunden, der in Echtzeit Daten und Kommandos robust überträgt. Jeder Sensor, jeder Controller, jedes Stück Software ist wichtig und alles zusammen betrachtet Rotzler als das „Gehirn“ einer Maschine oder eines Systems. Eine Steuereinheit verbindet den CAN-Bus via Ethernet mit der Fernsteuerung. Damit hat der Bediener in der APEX-Steuerungseinheit alle Informationen verfügbar.
Je nach Anwendungsfall werden im Display die relevanten Informationen angezeigt. Bei jeder Aktion analysiert die Steuereinheit, dass die Systemgrenzen eingehalten sind. Dazu gehört, dass die Sicherheitseinrichtungen (z.B. Stützen oder Erdanker) in Funktion sind. Wenn die Aktion sicher ausgeführt werden kann, sendet das Steuergerät die entsprechenden Befehle an die betroffenen Teilsysteme. Der Bediener muss sich nicht darum kümmern, dass die Motordrehzahl ausreicht, um die für bestimmte Aufgaben erforderliche Leistung zu erzeugen, schreibt Rotzler. Er muss sich auch keine Sorgen machen, dass er versehentlich einen Stabilisator anhebt, wenn der Kran mit einer Last beladen ist. Die Steuereinheit verhindert solche gefährlichen Bewegungen.
Im Subsystem Bergung kontrolliert APEX die Last an den Winden mit elektronischen Sensoren. Im Hydrauliksystem werden Temperatur, Durchfluss und Flüssigkeitsstand überwacht. Hierzu gehört auch die Steuerung der Hydraulikölvorwärmung und -kühlung. Damit konnte das Berge-Subsystem optimiert werden hinsichtlich der Größe des Hydraulikantriebs (hydraulic power unit) sowie von Lärm, Abwärme und Verbrauch, u. a. zur Reduzierung der Signatur. APEX reduziert die Arbeitslast für den Bediener. Die übersichtliche und einfache Bedienoberfläche unterstützt die sichere und schnelle Durchführung von Bergeaufgaben, insbesondere in kritischen Situationen, bei Dunkelheit und Regen.
Bei dem australischen Berge-Boxer kommt APEX zum ersten Mal zum Einsatz. Es wird in die elektronische Architektur Combat Intelligence, Surveillance and Reconnaissance Subsystem (CISRS) des Trägerfahrzeugs integriert, die Informationen aus den verschiedenen Teilsystemen verarbeitet und diese in der einfachsten Form für die Besatzung über ihre Crew-Benutzeroberfläche präsentiert. Damit ist einerseits die Besatzung in die Bergevorgänge eingebunden. Anderseits kann APEX auf Fahrzeuginformationen zugreifen, die für die Arbeit mit den Winden benötigt werden.
Im Bergeeinsatz senkt der Bediener zuerst den Erdanker ab, der die von der Winde erzeugten Zugkräfte sicher in den Boden leitet. Beim Windensystem kann der Bediener entscheiden, ob er eine oder beide Winden nutzen will. Um die geforderte Zugkraft von 62 Tonnen zu erreichen, müssen beide Winden genutzt werden. Im sogenannten Dreifach-Zug werden die Windenseile über Umlenkrollen am Bergeobjekt befestigt. Beim Ziehen werden die beiden Winden gleichmäßig betrieben. Das macht APEX für den Bediener, der nur einen Hebel bewegen muss, unverzichtbar.
Rotzler liefert demnächst die Subsysteme für das Bergesystem für den Aufbau des ersten Demonstrators in den Werkstätten von RDA. Dann soll der Demonstrator für einen erneuten Test des Gesamtsystems und für die Abnahmeprüfung zur Verfügung stehen. Der Beginn der Lieferungen für die Serienproduktion ist rund drei Monate nach dem Abschluss der Tests geplant.
Gerhard Heiming