Der Einsatz im Innern ist für die Streitkräfte eines demokratischen Staates meist aus gutem Grund strikt geregelt. Dabei geht es nicht so sehr um Hilfeleistung bei Naturkatastrophen und anderen schweren Schadensereignissen. So können in Deutschland nach Artikel 35 Grundgesetz die Bundesländer in solchen Fällen nicht nur Kräfte der Bundes- und anderer Landespolizeien, sondern auch der Bundeswehr anfordern. Die Bundesregierung kann die Länder auch dazu anweisen, muss diese Maßnahmen aber auf Verlangen des Bundesrates – also der Vertretung der Bundesländer – umgehend einstellen.
Deutlich höher sind die Hürden für einen bewaffneten Einsatz im Innern. Nach Artikel 87 a Grundgesetz stellt der Bund bekanntlich Streitkräfte „zur Verteidigung“ auf. Zwar können diese im Spannungs- und Verteidigungsfall auch zivile Objekte schützen. Im Kalten Krieg waren große Teile des Territorialheeres hierfür vorgesehen – eine Aufgabe, die im Rahmen der Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung künftig wieder den Heimatschutzkräften zufallen dürfte.
Einsatz im Innern auf deutsch und amerikanisch
Andernfalls darf die Bundeswehr nur zum Schutz vor und der Bekämpfung „organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer“ eingesetzt werden, von denen eine Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes ausgeht. Und dies auch nur, wenn die Polizeikräfte von Ländern und Bund hierzu nicht ausreichen und solange Bundestag oder Bundesrat nicht die Einstellung verlangen. Mit anderen Worten handelt es sich hier um ein ausgewachsenes Bürgerkriegsszenario.
Während in Deutschland besonders vor dem Hintergrund der gestiegenen Terrorbedrohung in den letzten beiden Jahrzehnten immer mal über die Erweiterung von Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr in Extremsituationen diskutiert wurde – etwa der Bekämpfung von Piraten oder den Abschuss entführter Flugzeuge in einem Szenario wie dem 11. September 2001 – besteht in den USA ein historisch recht stabiler Regelungsrahmen für den Einsatz im Innern. Aktuell steht dieser allerdings aufgrund der Entsendung von Truppen durch die Regierung Donald Trump wegen der Unruhen in Los Angeles wieder in der Debatte.
Die US-Nationalgarde als Instrument der Bundesstaaten
Erstes Instrument für den Einsatz im Innern von bewaffneten Streitkräften sind hier die Einheiten der US-Nationalgarde. Diese unterstehen normalerweise den Gouverneuren des jeweiligen Bundesstaates und können in diesem Verhältnis auch Polizeiaufgaben übernehmen. Das heißt, sie sind zur Gewaltanwendung gegen und Festnahme von Personen berechtigt, die gegen Gesetze und behördliche Anordnungen verstoßen. Bei Unruhen kommen dabei zunächst auch polizeiliche Mittel wie Schild und Schlagstock zum Einsatz.
Allerdings sind die Angehörigen der Nationalgarde in erster Linie für den Einsatz in militärischen Konflikten ausgebildet, und gelegentlich laufen Aktionen im Innern aus dem Ruder. Traurige Berühmtheit erlangte ein Einsatz gegen Studenten der Kent State University, die 1970 gegen den Vietnamkrieg protestierten. Die auf Befehl des Gouverneurs von Ohio entsandten Nationalgardisten waren von der Situation mit Tränengaseinsatz durch die Polizei und Steinwürfen aus der Menge überfordert und eröffneten das Feuer, wobei vier Studenten getötet und neun verwundet wurden.
Titel 10 und Total Force
Unter Titel 10 der US-Bundesgesetzgebung, der die Rolle der amerikanischen Streitkräfte regelt, kann der Präsident die Nationalgarde(n) einzelner oder aller Staaten auch unter Bundesbefehl stellen. Dies geschieht in der Regel für einen konventionellen Militäreinsatz im Ausland. So wurden in beiden Weltkriegen Verbände der Nationalgarde in die regulären Streitkräfte eingegliedert. Auch für den Koreakrieg wurde etwa ein Drittel der Garde mobilisiert. Im Vietnamkrieg war dies nicht der Fall, wodurch ihre Angehörigen den Ruf von Drückebergern erhielten, die sich durch die Meldung zur Nationalgarde ein sicheres Plätzchen gesucht hatten.
Ab 1970 stellte das „Total Force“-Konzept klar, dass die Garde integraler Teil der US-Streitkräfte sei, der auf demselben Niveau ausgebildet und eingesetzt werde. Politisch gewollt war außerdem, dass die Streitkräfte für größere Einsätze in entscheidendem Umfang von zu mobilisierenden Fähigkeiten der eigenen Reserve und der Nationalgarde abhängig waren. Da der Präsident solche Mobilisierungen ohne Zustimmung des Kongresses nur begrenzt anordnen kann, schränkt dies seine Möglichkeiten ein, einseitig Militäraktionen durchzuführen.

Im Einsatz für die Bürgerrechtsbewegung
Dennoch sind Verbände der Nationalgarde regelmäßig im Auslandseinsatz, so gegenwärtig im Rahmen der Operation Atlantic Resolve zur Rückversicherung der osteuropäischen NATO-Partner angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Allerdings kann der Präsident unter Titel 10 die Nationalgarde auch zum Einsatz im Innern unter Bundesbefehl stellen. Dies geschieht üblicherweise im Einvernehmen mit den Gouverneuren der entsprechenden Bundesstaaten.
Kontrovers bei der gegenwärtigen Entsendung nach Los Angeles ist nicht zuletzt, dass die Regierung Trump dies gegen den Willen des kalifornischen Gouverneurs befohlen hat. Jedoch gibt es hierfür drei berühmte Präzedenzfälle aus den 1950er und -60er Jahren im Rahmen der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. So setzte 1957 der Gouverneur von Arkansas die Nationalgarde ein, um schwarze Schüler trotz eines Urteils des Obersten Gerichtshofes der USA zur Integration des Schulsystems am Besuch weißer Schulen zu hindern.
Der Insurrection Act
Daraufhin stellte Präsident Dwight D. Eisenhower die Garde von Arkansas unter Bundesbefehl und entsandte die 101st Airborne Division in die Staatshauptstadt Little Rock, um den Zugang für neun schwarze Schüler zu erzwingen. Damit sowohl die Nationalgarde als auch die Fallschirmjäger der regulären Streitkräfte für die Bundesregierung Polizeiaufgaben wahrnehmen konnten, berief er sich auf den Insurrection Act von 1807.
Dieser bestimmt, dass Streitkräfte des Bundes mit oder ohne Anforderung durch einen Bundesstaat im Innern eingesetzt werden können, um Aufstände, Unruhen, Zusammenrottungen oder Verschwörungen gegen verfassungsmäßige Rechte zu bekämpfen. Er wurde in der amerikanischen Geschichte etwa 30-mal angewandt, unter anderem natürlich nach der Sezession der Südstaaten, die 1861 zum Bürgerkrieg führte – aber auch zur Unterdrückung von Streiks. Zuletzt berief sich George Bush sr. darauf, als er nach den Rodney-King-Unruhen 1992 ebenfalls die Nationalgarde nach Los Angeles entsandte.

Posse Comitatus
Auch John F. Kennedy stellte 1963 die Nationalgarde von Alabama gegen den Willen des Staates unter Bundesbefehl, um den Zugang schwarzer Schüler zu erzwingen. Bei dieser Gelegenheit musste der Kommandeur der Garde dem ihm normalerweise vorgesetzten Gouveneur, Kennedys demokratischem Parteifreund George Wallace, den Befehl geben, seine persönliche Blockade der Eingangstür zu beenden. Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson stellte 1965 erneut die Nationalgarde von Arkansas unter Bundesbefehl, um die von Martin Luther King geführten Bürgerrechtsmärsche von Selma nach Montgomery zu schützen.
In allen Fällen war die Berufung auf den Insurrection Act notwendig, da der 1878 erlassene Posse Comitatus Act den Einsatz der Bundesstreitkräfte für Polizeiaufgaben ansonsten verbietet. Der Name bezieht sich auf das lateinische „posse“ für „Macht“ und „comitatus“, was im mittelalterlichen Latein „Grafschaft“ bedeutete – englisch „county“, in den USA also der Landkreis. „Posse comitatus“ heißt demnach „die Macht des Landkreises“ und bezieht sich auf das Recht amerikanischer Gesetzeshüter, taugliche Zivilisten bei Bedarf als Hilfspolizisten zu vereidigen.
Begrenzte Polizeigewalt des Bundes
Zu „Posse“ verkürzt, tauchen diese Ad-hoc-Trupps zum Schutz vor und Jagd auf Verbrecher regelmäßig in Western auf, wobei das Wort mittlerweile auch zum Slang für Fan- und andere eng verbundene Gruppen geworden ist. Für US-Recht ist entscheidend, dass die Polizeigewalt in der Regel zunächst bei den Sheriff Departments der Counties oder den Stadtpolizeien liegt und die Bundesregierung nur begrenzte Rechte hat. Ursprünglich bezog sich der Posse Comitatus Act allerdings lediglich auf die U.S. Army und die aus ihr hervorgegangene Air Force, so dass andere Teilstreitkräfte wie die U.S. Marines technisch immer noch im Innern eingesetzt werden konnten.
Erst 2022 wurde die Wirkung auch auf die anderen Teilstreitkräfte mit Ausnahme der U.S. Coast Guard ausgedehnt, die ohnehin Polizeiaufgaben (vorwiegend auf See) wahrnimmt. Für die Nationalgarde änderte sich dadurch nichts. Entscheidend bleibt ihr Status unter dem Befehl des jeweiligen Bundesstaates oder der Bundesregierung. Im ersten Fall kann sie weiterhin Polizeiaufgaben wahrnehmen, während im zweiten die Anwendung des Insurrection Act dafür erforderlich ist.

„Nur schützen, nicht teilnehmen“
Interessanterweise hat die Regierung Trump dies, vermutlich aus politischen Gründen, bislang unterlassen. Die über 4.000 aktivierten Nationalgardisten und 700 Marines sollen demnach eben keine Polizeiaufgaben wahrnehmen, sondern lediglich Liegenschaften und Bedienstete des Bundes in Los Angeles schützen. Während auf den Liegenschaften Bundesrecht zur Anwendung kommen kann, steht vor allem der Schutz von Bediensteten außerhalb dieser in der Diskussion.
Nach einer Mitteilung des U.S. Northern Command vom Mittwoch begleiten die Truppen auch Mitglieder der Einwanderungsbehörde ICE bei den Razzien gegen illegale Einwanderer, die die Unruhen ausgelöst haben. Sie seien jedoch „nicht Teil der Operation“ und würden „nur schützen, nicht teilnehmen“. Dabei dürften sie Personen vorübergehend festhalten um Angriffe zu stoppen, Schaden von Dritten abzuwenden oder eine Störung von Bundesbediensteten bei ihrer Auftragserfüllung zu verhindern.
Am Ende entscheiden Gerichte
Diese Maßnahmen dauerten nur bis zur Übernahme der Festgehaltenen an zuständige Polizeikräfte an, so die Mitteilung weiter. Demnach würden die Truppen lediglich Jedermannsrechte wie Nothilfe und Bürgerfestnahmen ausüben. Rechtlich scheint das eine originelle Art des Einsatzes von Bundesstreitkräften, die auch entsprechend von Seiten des Staates Kalifornien und der Stadt Los Angeles kritisiert wird. Wie in solchen Fällen üblich gehen diese gerichtlich gegen die Entsendung vor.
Am Donnerstag entsprach ein Bundesrichter zunächst einer Klage des kalifornischen Gouverneurs Gavin Newsom und urteilte, dass die Unterstellung der Nationalgarde unter Bundesbefehl eine Kompetenzübertretung von Donald Trump gewesen sei und gegen den Zehnten Verfassungszusatz verstoße, der die Rechte der Bundesstaaten schützt. Am Freitag hob ein Berufungsgericht diese Entscheidung vorläufig auf und setzte für kommenden Dienstag eine Anhörung an. Der Ausgang ist ungewiss, könnte aber grundlegende Bedeutung für künftige Einsätze der US-Streitkräfte im Innern haben.
Stefan Axel Boes