StartBewaffnungJoint Venture Protective Carbine – Das indische PDW-Programm

Joint Venture Protective Carbine – Das indische PDW-Programm

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Es scheint, als stünden indische Schützenwaffenentwicklungen, oder auch nur Beschaffungen seit Jahrzehnten unter keinem guten Stern. Über das unglückliche INSAS-Gewehr-Programm, welches auch ein leichtes MG beinhaltete, wurde bereits viel publiziert. Weniger bekannt ist jedoch, dass das in den 1990er Jahre begonnene Vorhaben auch eine dritte Komponente in Form eines kurzen und kompakten Gewehres hatte, welches sich im Laufe der Zeit zu einer Personal Defense Weapon (PDW) entwickelte. Dieses vormals als Modern Sub Machine Carbine bezeichnete und nun unter dem Kürzel JVPC, welches für Joint Venture Protective Carbine steht, bekannte System hat als letztes Überbleibsel des INSAS-Programmes zum Ende 2020 einen Meilenstein der indischen Streitkräfte erreicht und diesen Pressemitteilungen zufolge erfolgreich abgeschlossen.

Bereits 2002 erkannte das für Handwaffenentwicklungen zuständige und in Punjab beheimatete Armament Research & Development Establishment (ARDE), dass eine kompakte Version des INSAS-Gewehres im Kaliber 5,56 mm x 45 ungeeignet war, um querschnittlich die Maschinenpistole als Waffe für Sicherheitskräfte, sowie in den indischen Streitkräften abzulösen. Den internationalen Trend folgend entstand in der Folgezeit unter Federführung des Ordnance Factory Board (OFB) eine 5,56 mm x 30 Patrone, welche dem PDW-Kaliber zuzuordnen ist. Betrachtet man die zeitliche Abfolge und die Dimensionen, so ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die Ingenieure bei OFB stark von der Patrone des Colt MARS (Mini Assault Rifle System) inspirieren ließen.

Als 5,56 mm ×30 MINSAS von der Munitionsfabrik im westindischen Khadki in Produktion genommen, stand somit ein Kaliber zur Verfügung, welches Kontrollierbarkeit durch einen geringen Rückstoßimpuls bei flacher Flugbahn lieferte und trotzdem eine Energie ins Ziel brachte, die am oberen Rand dessen rangiert, was mit 9 mm x 19 möglich ist. Dies ist insbesondere deswegen von Bedeutung, da immer wieder betont wird, dass die Systeme des weitverbreiteten Pistolen- und Maschinenpistolenkalibers durch die Neuentwicklung ersetzt werden sollen. Die ersten Versuche, bestehend aus Plattformen wie das aus dem Excalibur-Programm entstandene „Minsas/ Amogh“-System, konnten in Bezug auf Zuverlässigkeit und Leistung nicht überzeugen. Die indischen Streitkräfte erwarteten zudem eine deutlich kompaktere Waffe um Fahrzeugbesatzungen sowie Kampfunterstützer ausrüsten zu können. Bei der Funktionsweise behielt man die von der AK stammende Anordnung als aufschießender Gasdrucklader mit Drehkopfverschluss bei. Lediglich der Abzug wurde verlagert. Somit entstand ein Semibullpup, wie von der UZI oder der HK MP7 bekannt, mit einem Magazinschacht im Griffstück.

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Der als Modern Sub Machine Carbine bezeichnete Entwurf erhielt ein größtenteils aus Kunststoff gefertigtes Gehäuseunterteil mit Griffstück und Vorderschaft. Darauf befindet sich das Gehäuseoberteil aus Metall, sowie die einschiebbare Schulterstütze. Neben einer offenen Visierung steht zudem eine PicatinnySchiene auf der Gehäuseoberseite für die Montage von Optiken zur Verfügung. Bereits in einem frühen Konstruktionsstadium wurden zwei verschiedene Abzugsbügel entwickelt. Ein konventioneller und ein deutlich vergrößerter, welcher auch mit stark gefütterten Handschuhen nutzbar ist. Ob Letzteres weiterverfolgt wird, ist unklar, da diese Modifikation seit geraumer Zeit nicht mehr öffentlich gezeigt wurde. Ein weiteres, unübliches Merkmal ist die Bajonettaufnahme. Das indische Militär verlangte dies explizit. Als Tragehilfe dient ein Dreipunktriemen aus synthetischem Material. In dieser Version stand die Waffe ab 2007 zur Verfügung und wurde 2010 der Öffentlichkeit präsentiert.

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Die nun folgenden Schritte der Erprobung waren bis heute gekennzeichnet von Verzögerungen und langen Pausen. Versuche den Bedarf durch Import oder Lizenz-Fertigungen zu decken, wie im Falle der IWI Tavor, misslangen. Es folgten zahlreiche Modifikationen der Waffe, welche auch den zuweilen amorph gestalteten und sich ändernden Anforderungen Rechnung trug. Die wirkliche Erprobung begann mit einer Vorserie von 50 Waffen ab 2016, seit 2017 auch durch das Innenministerium. Es folgten zahlreiche Testkampagnen, auch unter Einbeziehung militärischer und polizeilicher Spezialkräfte. Seit 2018 war es still um die zwischenzeitlich auch als „Ghatak“ bezeichnete PDW.

Was die nun im Dezember durchgeführte Versuchsserie und die an die Presse kommunizierten Ergebnisse bedeutet ist schwer zu interpretieren. Die bereits erwähnte Defence Research and Development Organisation als auftraggebende Behörde bezeichnet die JVPC reif für die Einführung. Ob und wann diese tatsächlich erfolgt, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Kristóf Nagy