Die Bundeswehr versucht seit einer geraumen Zeit mit dem Projekt Schwerer Transporthubschrauber (STH) einen Nachfolger für die CH-53G Flotte zu beschaffen. Nachdem die Angebote der Hersteller als zu unwirtschaftlich bewertet wurden, läuft derzeit ein erneuter Anlauf, die Beschaffung über einen sogenannten Foreign Military Sales (FMS) abzuwickeln. Dabei würde die Bundesrepublik Deutschland die Hubschrauber praktisch direkt über die US-Regierung einkaufen. Nach derzeitigem Stand soll dies in der nächsten Legislaturperiode erfolgen.
Was das für die angebotene CH-53K von Lockheed Martin Sikorsky und ihr deutsches Industrieteam bedeutet, fragte Soldat & Technik Alex Walford, Geschäftsführer Lockheed Martin in Deutschland, und Christian Albrecht, Leiter Geschäftsentwicklung bei Sikorsky in Deutschland.
S&T: Nach dem direkten Angebot der Industrieseite versucht die Bundeswehr jetzt die Beschaffung über FMS. Was bedeutet das für den Prozess aber vor allem auch für die „Germanisierung“? Wird jetzt nur noch die CH-53K in der Variante des U.S. Marine Corps (USMC) angeboten oder besteht die Möglichkeit für Ergänzungen?
Walford: Das FMS Verfahren ermöglicht prinzipiell die Beschaffung der Luftfahrzeuge in den Versionen der US-Streitkräfte – auch Military-Off-The-Shelf (MOTS) genannt. Dabei können Änderungen an der Konfiguration angefragt werden. Allerdings birgt jede Abweichung vom MOTS Hubschrauber über den zusätzlichen Integrationsanteil Kosten-, Entwicklungs- sowie Zulassungsrisiken. Durch die hohe Übereinstimmung der CH-53K MOTS-Konfiguration mit den grundlegenden Anforderungen der FMS Anfrage der Bundeswehr hält sich dieser Anteil im Vergleich zum Wettbewerber stark in Grenzen. Konkret könnte man also notwendige Modifikationen wie Kommunikationsanlagen, elektronische Abwehrmaßnahmen sowie zulassungsrelevante Sicherheitssysteme durchführen, aber den Großteil des Hubschraubers in der MOTS-Konfiguration belassen. Die CH-53K wäre aus finanzieller Sicht und im Rahmen der Anforderungen somit die risikoärmste Lösung.
Albrecht: Die große Schnittmenge zwischen Ausgangskonfiguration und STH-Anforderungen im FMS-Verfahren bietet auch eine günstige Ausgangslage für die deutsche Zulassung. Es kann weitgehend auf die breite Zulassungsbasis des USMC/NAVAIR aufgebaut werden, da die genannten Konfigurationsänderungen wie erwähnt überschaubar wären. Die CH-53K ist dort bereits nach aktuellen Standards zertifiziert und als neues Luftfahrzeug zugelassen. Die Systeme werden in einem gemeinsamen Team bestehend aus Militär und Industrie in unzähligen Extremsituationen getestet. Davon profitieren letztlich alle künftigen Nutzer wie z.B. Israel oder Deutschland, sollte es sich hier für diesen Hubschrauber entscheiden.
S&T: In Deutschland schien es am Anfang vor allem um das Thema Fähigkeiten und Fähigkeitszuwachs zu gehen, jetzt scheint es nur noch um die Beschaffungskosten zu gehen, wie bewerten Sie die Entwicklung?
Walford: Die Auswirkungen der Pandemie auch auf den Haushalt der kommenden Jahre führen verständlicherweise dazu, sich auf die zentralen Fähigkeiten zu fokussieren. Ich halte es aber nicht für empfehlenswert, zu stark vom Einsatzprofil der Luftwaffe abzuweichen – das täte man jedoch aus meiner Sicht klar mit der CH-47 in der MOTS Version. Niedrigere Anschaffungskosten zum Preis von Zukunftssicherheit und Kernfähigkeiten wie Luftbetankung oder entsprechende Nutzlast/Reichweite zum Transport von geschützten Fahrzeugen des Heeres würde man auf längere Sicht teuer bezahlen. Spätere Nachrüstungen und Modifikationen können zur Hypothek bei Kosten und Zertifizierung werden. Der Fokus sollte darauf gerichtet sein, möglichst viele Fähigkeiten bereits über die MOTS Konfiguration bei gleichzeitig niedrigeren Lebenszykluskosten abzudecken.
S&T: Das USMC führt gerade die Einsatzprüfung (Initial Operational Test and Evaluation – IOT&E) durch und will 2023/24 erstmals mit vier Maschinen dauerhaft in einen scharfen Einsatz. Wie ist der Sachstand der CH-53K bei Fähigkeiten und Zertifizierungen? Kann sie schon 100 Prozent der geforderten Fähigkeiten?
Albrecht: Die CH-53K wird auf Basis des vorgegebenen Missionsspektrums der Einsatzprüfung unterzogen (siehe Diagramm des USMC) und ist im Zeitplan, um die vom USMC geforderten Fähigkeiten beim Ersatz der Vorgängerversion CH-53E zu 100 Prozent zu erfüllen. Mit einem höheren Leistungsumfang und verbesserter Besatzungssicherheit sowie deutlich gesteigerter Verfügbarkeit des Luftfahrzeuges. Die CH-53K ist nicht nur für den taktischen Transport von Truppen und Material ausgelegt, sondern explizit auch für die Missionsanteile militärischer Evakuierungs- MedEvac-Operationen sowie für den Bereich Personnel Recovery (PR)/Combat Search and Rescue (CSAR) und die Unterstützung von Spezialkräften (SOF Air). Die Zertifizierung der Luftfahrzeuge erfolgt üblicherweise direkt über die entsprechende Teilstreitkraft, im Fall der CH-53K über das Naval Air Systems Command (NAVAIR), welches vom Luftfahrtamt der Bundeswehr (LufABw) anerkannt ist.
S&T: Die CH-53 in Deutschland soll durch ein Modell mit Wachstumsfähigkeiten ersetzt werden, schließlich wird eine Nutzung von 30 Jahren betrachtet. Wo bringt die „K“ Vorteile mit?
Walford: Sie baut auf den umfangreichen Erfahrungen der CH-53 Hubschrauber im weltweiten Einsatz auf, zu denen auch Deutschland und Israel jahrzehntelang wichtige Erkenntnisse beigetragen haben. Da diese nun am Ende ihrer Nutzungsdauer und Leistungsmöglichkeiten angelangt sind, hat man sich mit der CH-53K bewusst für ein neues Luftfahrzeug entschieden, welches bereits heute in allen Bereichen über die nötigen Leistungsreserven für die nächsten 40-50 Jahre verfügt. Das gilt auch für die aktive Produktionslinie, welche in den kommenden Jahren neben den 200 CH-53K für das USMC auch für Israel und weitere internationale Kunden fertigen wird. Übrigens kann nur bei der CH-53K die bereits existierende Infrastruktur an den Standorten der Bundeswehr ohne große Anpassungen weiter genutzt werden.
S&T: Die U.S. Army führte gerade eine Studie durch, bei der die CH-47 von den General Electric GE38-1B, dem Triebwerk der CH-53K, angetrieben wird. Verliert damit Ihr Technologievorsprung nicht an Relevanz?
Albrecht: Nein, es handelt sich dabei um eine Risikostudie ohne Konsequenz für eine mögliche Zulassung oder flottenweite Einführung. Mit einer Nachrüstung alter Luftfahrzeug-Designs sind die Leistungs-Anteile und damit der Technologievorsprung der CH-53K nicht ansatzweise zu erreichen, insbesondere nicht für Triebwerke in dieser Leistungskategorie. Ganz zu schweigen vom Entwicklungs- und Zulassungsrisiko sowie den entstehenden Kosten.
S&T: Beide STH-Konkurrenten haben zugesagt, dass die Maschinen dauerhaft in Deutschland betrieben und gewartet werden können. Was bedeutet das für Ihr Angebot?
Walford: Durch die bestehende Kooperation zwischen General Electric und MTU Aero Engines beim CH-53K Triebwerksprogramm trägt schon heute jede produzierte CH-53K unabhängig vom Nutzer zur Wertschöpfung in Deutschland bei. Damit könnten auch Wartung und Instandhaltung problemlos hierzulande erfolgen. Ich möchte zudem unterstreichen: Wir haben dieses Jahr unser Teaming Agreement trotz offener Beschaffungsfrage mit dem deutschen CH-53K Industrieteam erneuert, damit die Unterstützung durch die deutsche Industrie gewährleistet bleibt. Rheinmetall, die über ein sehr ausgereiftes Logistik-Konzept für den Standort Leipzig verfügen, führt dieses Team und hat mit Reiser Simulation und Training sogar ein weiteres Unternehmen an Bord geholt. Mir persönlich erscheinen diese Pläne wesentlich konkreter als beim Konkurrenten.
S&T: Was bedeutet der FMS-Weg für die Zusammenstellung des deutschen CH-53K Industrieteams?
Albrecht: Das bleibt in unserer Planung zentrales Element für Wartung, Instandhaltung sowie logistische Versorgung der CH-53K Flotte in Deutschland. Dreh- und Angelpunkt soll dabei das geplante Logistikzentrum am Flughafen Leipzig sein, welches den Fliegerhorst in Holzdorf sowie den Hauptstandort des Geschwaders in Laupheim logistisch problemlos versorgen könnte. Außerdem baut das Team auf seine Erfahrung mit der aktuellen CH-53G Flotte der Bundeswehr: Bodengeräte durch Hydro, die Einrüstung von crashsicheren Sitzen und Kabinenequipment durch Autoflug, die Instandhaltung des Triebwerks durch MTU, die gesamte technische Dokumentation und Instandsetzung der CH-53G am Standort Diepholz durch Rheinmetall. Die direkte logistische Unterstützung erfolgt seit letztem Jahr durch Sikorsky über die noch verbleibende Nutzungsdauer bis 2030.
S&T: Israel hat sich gerade für die CH-53K entschieden und ersetzt damit die 24 CH-53D´s. Besonders auffällig ist, dass das Thema Kosten in Israel und Deutschland völlig unterschiedlich bewertet werden. Israel sagt, die CH-53K ist auf einer betrachteten Nutzungsdauer von 25 Jahre das preiseffektivere Angebot, die Bundeswehr bewertet die K als deutlich teurer. Wie kann das sein?
Walford: Israel hat nach etwa zwei Jahren intensiver Evaluation entschieden, dass die CH-53K mehr Leistung und Zukunftssicherheit bietet. Offizielle Stimmen der israelischen Streitkräfte haben unlängst öffentlich geäußert, dass ihre Auswertung neben niedrigerer Lebenszykluskosten auch ergeben hätte, dass die CH-53K bei reduzierter Flottengröße dieselbe operationelle Leistung bringt wie eine vollständige CH-47 Flotte. Finanzielle Disziplin war aufgrund der Pandemie auch hier ein zentraler Faktor, was das Argument einer Entscheidung für die angeblich „teure Neuentwicklung“ widerlegt. Die Missionsprofile der israelischen Luftwaffe liegen eng an denen der deutschen Luftwaffe. Übrigens hat sich der israelische Beschaffungsvorgang an der MOTS Konfiguration orientiert, verbunden mit relativ wenigen Änderungen.
S&T: Wie sieht der israelische Way-ahead in Bezug auf Vertrag, Produktion und Auslieferung aus? Und natürlich in Bezug auf Produktionskapazitäten für andere Interessenten, zum Beispiel Deutschland?
Albrecht: Die israelische und die US-Regierung befinden sich in den finalen Abstimmungsgesprächen. Der Zeitrahmen von 36-48 Monaten ab Vertragsschluss bis zur ersten Auslieferung für MOTS Luftfahrzeuge gilt dabei als Industriestandard. Zuvor werden bereits israelische Besatzungen und Techniker in den USA ihre Erstausbildung durchlaufen haben. Während der Fertigung können die nötigen Zulassungsschritte umgesetzt und parallel bereits das erforderliche Personal für die anschließende Truppeneinführung ausgebildet werden. Auch die Produktionskapazitäten im Sikorsky Werk sind auf die zusätzliche Fertigung von weiteren internationalen Bestellungen ausgerichtet. Ähnlich könnte man den Prozess also auch in Deutschland handhaben.
S&T: Können Sie noch weitere Interessenten für die K nennen? Wo sehen Sie die Vorteile der K im Hinblick auf multinationale Kooperationen und Interoperabilität? Die Nutzer Israel und das USMC sind schließlich keine „direkten Nachbarn“ von Deutschland. Und die Konkurrenz hat Nutzer immerhin in acht NATO-Staaten.
Walford: Wichtig ist doch, dass es sich bei unseren Nutzern um extrem anspruchsvolle und kampferprobte Streitkräfte handelt, welche die CH-53K im vergleichbaren Fähigkeitsprofil nutzen wollen und mit denen Deutschland eine enge und vertrauensvolle Partnerschaft auf vielen Ebenen verbindet. Als prominente Beispiele seien hier die gemeinsamen Manöver im Rahmen von Blue Flag 2019 in Israel oder Blue Wings 2020 in Deutschland genannt, außerdem die intensiven Ausbildungskooperationen zwischen der deutschen und israelischen Luftwaffe für die CH-53D/G Besatzungen. Zudem kann Bündnisverteidigung überall auf der Welt stattfinden, dort ist letztlich die Zusammenarbeit im Einsatz entscheidend. Richtig ist, dass die CH-53K ihren Erstflug nicht schon vor 60 Jahren hatte, sondern ein neuer state-of-the-art Hubschrauber ist, der sich einen wachsenden internationalen Kundenkreis erschließen wird, während wir auf der Wettbewerbsseite vermutlich das Gegenteil beobachten werden.
Christian: Für diese Trendumkehr spricht, dass wir Anfragen aus mehreren Ländern erhalten haben, die traditionell noch die CH-47 nutzen. Deutschland ist ein Land auf das hier andere Nationen schauen werden. Nicht zuletzt sollte es als Rahmennation im NATO bzw. EU-Framework-Nation-Concept der Bündnisverteidigung auch darum gehen, Fähigkeiten bereitzustellen, über die andere Nationen gerade nicht verfügen. Zur Interoperabilität: Modelle in unterschiedlichen Versionen und abweichenden nationalen Konfigurationen garantieren bei weitem noch keine Interoperabilität. Relevant ist die gemeinsame Missionsdurchführung. Dafür sind interoperable Führungs- Kommunikations- und Informationssysteme entscheidend sowie standardisierte Verfahren und gemeinsames Training. Konkrete Interoperabilität entstünde mit der CH-53K übrigens auch bundeswehr-intern beim Ladungsaustausch von Luftfrachtpalletten mit C-130J oder A-400M oder der Luftbetankung mit den künftigen KC-130J Tankflugzeugen der Luftwaffe.
Die Fragen stellte André Forkert.