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Ukraine-Krieg: Analyse des artilleristischen Feuerkampfes

Jan-Phillipp Weisswange

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Traditionell gilt beispielsweise in den russischen Streitkräften die Artillerie als der „Gott des Krieges“. Diese und ähnliche Einschätzungen über ihre Truppengattung teilen Artilleristen weltweit, und sie sind durchaus nicht nur durch den Waffenstolz der Barbara-Jünger begründet: Auswertungen der letzten großen bewaffneten Konflikte seit dem Ersten Weltkrieg zeigen, dass sich die Verlustraten zu 60 bis 80 Prozent auf die Wirkung der Artillerie als Trägerin des Feuerkampfes in der Tiefe zurückführen lassen.

In einer sehenswerten Folge des Bundeswehr-TV-Formats „Nachgefragt“ analysiert Oberst Dietmar Felber, der deutsche General der Artillerie, nun den artilleristischen Feuerkampf im Ukraine-Krieg. Als Kommandeur der Artillerieschule hat Oberst Felber Einblicke aus erster Hand. So bildete sein Institut ukrainische Artilleristen an der Panzerhaubitze 2000 aus, von denen Deutschland sieben und die Niederlande fünf Stück an die Ukraine lieferten bzw. noch liefern werden.

Grundsätzlich erfüllt die Artillerie in einem Near-Peer-Konflikt zwei Hauptaufträge:

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  • erstens die direkte Feuerunterstützung für die Kampfbrigaden, um deren Operationsführung zu unterstützen,
  • zweitens den Kampf in der Tiefe und Breite des Raumes – derzeit mit einer Reichweite von rund 80 Kilometern, wobei weltweit an Leistungssteigerungen gearbeitet wird.

Hinsichtlich des russischen Artillerieeinsatzes sieht Oberst Felber einen Wechsel der Kampfweise. So habe die russische Artillerie in einer ersten Phase des Feldzugs mit Schwerpunkt die Bataillonskampfgruppen (Bataillon Tactical Groups) direkt unterstützt.

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Da deren Einsatz verhältnismäßig geringen Erfolg zeitigte, setzen die russischen Streitkräfte in der zweiten Phase ihre Artillerie gemäß einer anderen Doktrin ein: Die Artillerie erobert das Gelände, welches die Infanterie dann besetzt. Dabei wirkt die artilleristische Feuerkraft unterschiedslos auf Soldaten und Zivilisten, die hohen Feuerdichte von 60.000 Granaten bzw. Raketen pro Tag verursacht nicht nur hohe militärische Verluste, ihr fallen auch zivile Infrastruktur, Kulturgüter und Zivilpersonen zum Opfer.

Die ukrainische Artillerie hingegen ist schon aufgrund ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit zu einer anderen Kampfweise gezwungen. Bei ihr kommt es auf eine gute Zielaufklärung und Zielpriorisierung an.

Hierzu hat sie ein eigenes System Artillerie entwickelt – unter Nutzung frei verfügbarer Hard- und Software wie „Starlink“ und einschließlich der Entwicklung einer eigenen App. Immerhin kann sie einige Erfolge erzielen, beispielsweise durch die Zerstörung gegnerischer Munitionsdepots und Führungseinrichtungen im Hinterland. In diesem Zusammenhang hebt beispielsweise auch der österreichische Militärexperte Oberst Dr. Reisner die Bedeutung der von den USA gelieferten Mehrfachraketenwerfer HIMARS hervor.

Im Hinblick auf die Ausbildung der ukrainischen Artilleristen an der Panzerhaubitze 2000 stellte Oberst Felber fest, dass man Soldaten einer im Krieg stehenden Nation ausbilden musste. Dies erforderte eine hohe Ausbildungsintensität, da nur verhältnismäßig wenig Zeit zur Verfügung stand. Zudem musste die Ausbildung mehrsprachig erfolgen, da die deutschen Panzerhaubitzen 2000 deutsche und die niederländischen Systeme englischsprachige Bedienmenüs nutzen.

Als eine große Herausforderung habe sich die „Schriftbarriere“ erwiesen. So verlange die Panzerhaubitze 2000 als interaktives System einige Eingaben, aber die ukrainischen Soldaten seien kyrillische und nicht lateinische Buchstaben gewohnt. Inzwischen sind die ukrainischen Panzerhaubitzen 2000 bereits im Einsatz und standen bereits im Feuerkampf. Dabei habe sich zum einen die endphasengelenkte SMART-Munition bewährt, umgekehrt aber auch der Schutz der Haubitzen.

Für Oberst Felber zeigen die Erfahrungen aus dem Ukraine-Krieg, dass die Ausbildung der deutschen Artillerie grundsätzlich gut sei. Gleichwohl gelte es, weiterhin Erfahrungen auszuwerten und umzusetzen. Ein Aspekt sei etwa die Nutzung von Smartphones durch Soldaten. Diese mobilen Endgeräte lassen sich aufklären und können Hinweise auf Hochwertziele liefern.

Jan-Phillipp Weisswange