StartStreitkräfteBündnisverteidigung – Bundeswehr muss beim Thema Personal massiv umsteuern

Bündnisverteidigung – Bundeswehr muss beim Thema Personal massiv umsteuern

Waldemar Geiger

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Soldaten sind zum Kämpfen da. Was sich eigentlich nach einer Binsenweisheit anhört, ist in Zeiten von „Vereinbarkeit Familie und Dienst“ leider nicht mal in der Truppe selbstverständlich. Mit den nun beschlossenen Plänen der NATO, die Bündnisverteidigungsfähigkeit auszubauen, kommen auf die Truppe nie dagewesene Belastungen zu. Darauf muss diese durch Politik, Gesellschaft und militärische Führung vorbereitet werden, wenn die Bundeswehr die Fähigkeit zur Bündnisverteidigung nicht nur ankündigen, sondern auch leben soll.

Es sind bereits einige Tage seit Kriegsausbruch in der Ukraine vergangen, als sich die folgende Situation in einer Bundeswehrkaserne tatsächlich zugetragen hat: In einem Gesprächskreis unter mehreren Kameradinnen und Kameraden – darunter ein Soldatenpaar – kommt die Frage auf, wann die Bundeswehr denn nun endlich die Entscheidung treffen wird, welcher Teil des Soldatenpaares im Falle einer Alarmierung ausrücken und welcher zu Hause bleiben soll, um auf den gemeinsamen Nachwuchs aufpassen zu können. Auf die Antwort eines Soldaten, dass im hypothetischen Kriegsfall selbstverständlich beide ausrücken müssten und die Kinderbetreuung anders – im Zweifelsfall staatlich, beispielsweise in Form eines Internats – organisiert werden müsste, kamen nur unverständliche und staunende Blicke. Es könne doch nicht sein, dass die eigenen Kinder in fremde Hände gegeben werden müssten, wenn eine Betreuung durch enge Verwandte – aus welchen Gründen auch immer – nicht sichergestellt werden könne.

Den einen oder anderen Leser mag die Geschichte amüsieren oder auch schockieren. Die betroffenen Soldaten stellt ein solches Szenario aber tatsächlich vor teils unüberwindbare innerliche Konflikte. Denn die letzten 30 Jahre, in denen Soldaten eher als Katastrophenhelfer in Uniform und nicht Kämpfer wahrgenommen wurden, hat nicht nur in der deutschen Gesellschaft und den technischen Bereich der Kasernen Spuren hinterlassen, sondern auch den Köpfen der Soldaten Einzug gehalten. Eine Kaltstartfähigkeit der Streitkräfte, die aus dem Stehgreif in nahezu voller Stärke in den Einsatz verlegen, ist mit den aktuellen Strukturen unrealistisch.

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Eine Armee in Friedenszeiten

Über Jahre wurden junge Menschen mit dem Versprechen der „Vereinbarkeit von Familie und Dienst“ in die Truppe gelockt. Dabei müsste jedem Schulkind klar sein, dass der Dienst an der Waffe in letzter Konsequenz nicht mit dem breiten Verständnis eines modernen Familienlebens vereinbar ist. Denn welche Familie hat schon Verständnis dafür, dass der Vater oder die Mutter das eigene Leben in Afghanistan, Mali oder im Baltikum aufs Spiel setzt.

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Dieser Aspekt des Dienstes an der Waffe wurde lange Zeit mit Absicht durch die Politik aber auch durch große Teile der Truppe ausgeklammert und ignoriert. Der Militärhistoriker Sönke Neitzel erklärt diesen Umstand damit, dass ein militärischer Einsatz der Bundeswehr in einem konventionellen Krieg im politischen Berlin schlicht unvorstellbar war. Da man nicht die Absicht hatte, die Bundeswehr als Armee – abseits von den Friedensmissionen wie in Afghanistan und Mali – einzusetzen, hat man diese auch nicht für einen solchen Auftrag ausgerüstet und mental vorbereitet.

Selbst als die deutsche Demokratie am Hindukusch verteidigt wurde, wurden alle möglichen Anstrengungen unternommen, um das zwangsweise Abordnen von Soldaten in den Einsatz so gut wie möglich auszuschließen. Nachdem sich Soldaten aufgrund der langen Einsatzdauer beschwert hatten, wurde die reguläre Kontingentdauer verkürzt und sogar die Möglichkeit eines so genannten Einsatzsplittings – dabei können sich mehrere Soldaten einen Kontingentplatz teilen – geschaffen. Was militärisch vollkommener Unfug war – schließlich muss ein Soldat erstmal vor Ort ankommen und sich mit den vorherrschenden Bedingungen vertraut machen, bevor er sich dort sein Auftrag adäquat ausführen kann, sollte die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. In Afghanistan, Mali oder im Kosovo konnte man sich diese militärischen Nachteile leisten, da es politisch niemals beabsichtigt war, die Truppe dort in längerfristige und hochintensive Gefechte gegen einen vergleichbar ausgerüsteten und ausgebildeten Gegner zu schicken.

Erfordernisse der Bündnisverteidigung

Die Lage an der NATO-Ostflanke stellt sich dagegen vollkommen anders dar. Es kann und darf heute nicht mehr ausgeschlossen werden, dass dort eingesetzte Soldaten das Bündnis im scharfen Schuss verteidigen müssen. Damit dies erfolgreich möglich ist und den Sicherheitsansprüchen der Truppe und der Verbündeten Rechnung getragen werden kann, darf es keinen solchen „Gefechtsfeldtourismus“ mehr geben.

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