StartStreitkräfteHybrider Sichelschnitt 2.0: Von Close Operations zu Deep Operations

Hybrider Sichelschnitt 2.0: Von Close Operations zu Deep Operations

Oberstleutnant i.G. Andreas Nichting und Oberstleutnant i.G. Kai Schlegel

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Nach dem ersten Beitrag – Hybrider Sichelschnitt: Täuschung auf den Flügeln – Entscheidung im Zentrum – werden in diesem Aufsatz aktuelle russische Handlungsmöglichkeiten in der Ukraine diskutiert. Dabei geht es um die Frage, wie Russland die seit Herbst 2022 verloren gegangene Initiative durch hybride Operationen in der Tiefe wiederherstellen kann. Die Autoren beschreiben auf der Grundlage der Hybriden-Sichelschnitt-Theorie eine Möglichkeit, durch die Verlagerung hybrider Effekte in die Tiefe des Raumes die Unterstützung des Westens für die Ukraine zu unterbinden. Neben der Wirtschaft gerät zunehmend die politische Meinungsbildung im Westen in den Vordergrund. Der Aufsatz enthält im Ergebnis einige Gedanken zu möglichen Gegenmaßnahmen.

Von Close Operations zu Deep Operations

Der vorangegangene Aufsatz beschreibt einen Hybriden Sichelschnitt als einen durch Täuschung überraschenden, kombinierten Einsatz entscheidender militärischer Kräfte in der vom Gegner als unwahrscheinlichsten angenommenen Möglichkeit des Handelns. Ergänzend wurde die Idee (oder ist es vielmehr eine Feststellung?) aufgeworfen, dass Russland solange unkonventionelle, verdeckte militärische, nicht-militärische, paramilitärische und hybride Aktivitäten kombiniert einsetzt bis ein ausreichend hoher Grad an Täuschung beim Gegner erzeugt werden konnte. Grundsätzlich und weil bisher der Einsatz von Nuklearwaffen nicht vollständig ausgeschlossen wurde, könnte Russland die im Herbst 2022 verloren gegangene militärische Initiative durch den Einsatz taktischer Nuklearwaffen an der größtenteils erstarrten Frontlinie (close operations) – durch die „nukleare Schockwirkung“ – zurückgewinnen. Berücksichtigt man die zentralen Auswirkungen kann diese militärische Eskalation als äußerstes Mittel bewertet werden und aufgrund noch ausreichend vorhandener Ressourcen Russlands spielt diese Option wahrscheinlich erst in einer späteren Phase des Krieges eine Rolle. Im vorherigen Aufsatz wurde auf die zeitliche Abfolge russischer Aktivitäten und deren Auswirkung auf die globale und europäische Sicherheitsarchitektur, insbesondere in den Jahren 2001 und 2022, hingewiesen. Lässt man die russischen Aktivitäten in der Zwischenzeit außer Acht, kann man zu der Schlussfolgerung gelangen, dass Präsident Putin auf strategischer Ebene in zeitlichen Schritten aller sechs bis acht Jahre agiert.

Dieser Aufsatz fokussiert auf die Frage, wie Russland zukünftige Aktivitäten ausrichten könnte, um zunächst das Überraschungsmoment durch Täuschung herbeizuführen, um anschließend mittels einer als unwahrscheinlich angenommenen Handlungsmöglichkeit eine entscheidende militärische Operation im Jahr 2030, 2028 oder gar früher auszuführen. Es liegt nahe, dass der Ukrainekrieg als Auftakt bzw. Meilenstein einer größeren Kampagne betrachtet werden kann.

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Der hybride Sichelschnitt

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Der Aufsatz „Hybrider Sichelschnitt: Täuschung auf den Flügeln – Entscheidung im Zentrum“ (2022) kombinierte den Gedanken des Sichelschnittplans von 1940 mit russischen hybriden Aktivitäten im Kontext des völkerrechts-widrigen Angriffskrieges auf die Ukraine. Die daraus entwickelte Theorie beschreibt einen Hybriden Sichelschnitt als einen durch Täuschung überraschenden, kombinierten Einsatz entscheidender militärischer Kräfte in der vom Gegner als unwahrscheinlichsten angenommenen Möglichkeit des Handelns.

Im Aufsatz wird die These aufgestellt, dass die russischen Aktivitäten einem Hybriden-Sichelschnitt-Ansatz folgen, bestehend aus verdeckten (u.a. Krim 2014) und offenen Schritten (Einmarsch 2022) im Rahmen einer Gesamtoperation. Daraus folgten mehrere Fragestellungen:

– nach möglichen Folgeschritten,

– nach der zukünftig als am unwahrscheinlichsten anzunehmenden Möglichkeit des Handelns und

– möglichen Zeitlinien.

In der Folge wurde die These eines weiterentwickelten Hybriden Sichelschnitts aufgeworfen: Hybrider Sichelschnitt 2.0.

Seitdem Russland im Februar 2022 seine verdeckte Vorgehensweise mit einem konventionellen Angriff auf die Ukraine aufgab, trat seine hybride Kriegsführung (und die anderer Akteure) zunehmend in den Hintergrund. Nichtsdestotrotz ist Russland weiterhin in der Lage, mit hybriden Aktivitäten seine konventionelle Kriegsführung entscheidend zu unterstützen. Westliche Demokratien sollten sich daher die konventionellen und hybriden Aktivitäten und Möglichkeiten gleichrangig und in Relation bewusst sein. Unter diesen Gesichtspunkten, kann man Russlands strategische Vorgehensweise mit der offensichtlichen Notwendigkeit erklären, einerseits an den Fronten effektiver zu werden und andererseits die geschlossene Solidarität des Westens (und vieler anderer Staaten weltweit) mit der Ukraine entscheidend zu stören, bestenfalls zu unterbinden. Das bedeutet, dass Russland gezwungen ist, seine hybriden Aktivitäten in die strategisch-operative Tiefe zu verlegen (Zentral- und Westeuropa, sowie Nordamerika), um die Unterstützung für die Ukraine „abzuschneiden“.

Seitdem sich der Westen vorrangig auf die russischen Aktivitäten auf dem Schlachtfeld konzentriert, ist es für Russland deutlich schwieriger geworden, ein Überraschungsmoment zu erzeugen, das für den Ansatz des Hybriden Sichelschnitts allerdings notwendig wäre. Jedoch lässt sich aus der Vergangenheit ableiten, dass dieses Überraschungsmoment auch erneut geschaffen werden kann, indem zum Beispiel die verbreitete westliche Auffassung der abnehmenden russischen Stärke in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Militär und sozialer Zusammenhalt entgegen der tatsächlichen Stärke genährt wird. So hat Sun Tzu bereits gesagt: „Erscheine schwach, wenn Du stark bist und stark, wenn Du schwach bist“. In diesem Sinne mag es als gesunder Menschenverstand erscheinen, dass der Westen an die russische Schwäche und an seine eigene Stärke glauben will. Dies kann eine solide Grundlage für potenzielle russische hybride Aktivitäten sein.

Russland hat eine lange Tradition im Bereich der verdeckten Kriegsführung und nutzt die Verschleierung in einem weitaus umfassenderen Verständnis als der Westen kennt. Unter dem Begriff „Maskirovka“ verfolgt Russland seit jeher die Idee, entscheidende Voraussetzungen für Schlachten zu schaffen. Dafür gibt es in der Geschichte viele Beispiele, sowohl in Kriegs- als auch in Friedenszeiten, z. B. während der Schlacht von Kursk (1943) oder bei der illegalen Annexion der Krim (2014). Darüber hinaus könnte diese Art der verdeckten Kriegsführung eine Maßnahme zur Verbesserung der schwachen russischen Operationsführung auf operativer und taktischer Ebene sein. Daraus folgt, dass die Ukraine und der Westen diesen Aspekt ernsthaft in Betracht ziehen und Folgerungen ableiten müssen. Operationen in der Tiefe, die sich auf die Gestaltung des operativen Umfelds und ihre eindeutigen Auswirkungen auf Operationen an der Frontlinie konzentrieren, sind der am besten geeignete Ansatz, den Russland heute hat.

Ähnlich wie beim Sichelschnitt-Plan im Jahr 1940 hat Russland seine operativen Pläne gegen die Ukraine zwischen 2014 und 2021 bis zum Schluss verschleiert, u.a. bei der Positionierung seiner Truppen entlang der russisch-ukrainischen Grenze in der zweiten Hälfte des Jahres 2021. Da die Bewegung größerer militärischer Formationen nicht völlig verdeckt erfolgen kann, war dies der Wendepunkt von eher verdeckten zu offeneren Operationen. Dies könnte gemäß den Leitfragen dieses Aufsatzes bedeuten, dass Russlands Operationen und Aktivitäten zur Erreichung seiner strategischen Ziele zu gegebener Zeit zumindest teilweise zu einem eher verdeckten Charakter zurückkehren werden, während es auf dem ukrainischen Schlachtfeld voraussichtlich konventionell bleibt. Russland hat mehrfach im Zuge des Krieges bewiesen, dass es in der Lage und willens ist, seine Pläne kontinuierlich den Grenzen und Möglichkeiten anzupassen. Hybride Aktivitäten sind für Russland geeignet, eine solche Anpassung einzuleiten und Schwachstellen in der Gesamtaufstellung des Gegners auszunutzen.

Wann wird dieser Umschwung von offenen Aktivitäten zurück zu mehr Verdeckten eintreten? Oder ist er bereits eingetreten?

Derzeit sind mehrere Vorgänge zu beobachten: Wirkung gegen den Zusammenhalt der westlichen Demokratien durch Sabotageakte auf z.B. die North Stream 1 und 2 Pipelines, gefährdete Energieinfrastruktur (LNG-Terminals in NOR, NLD, DEU), kritische öffentliche Verkehrsinfrastruktur in Deutschland sowie der mutmaßliche Versuch des Herbeiführens eines weit verbreiteten Black-Outs. Begleitet werden diese Entwicklungen von eher unsichtbaren Aktionen im sozioökonomischen Bereich, wie dem Beeinflussen von Minderheiten innerhalb der europäischen Gesellschaft oder Desinformationskampagnen gegen den Westen, die auch in der europäischen Medienlandschaft verbreitet werden. Dies erzeugt einen kognitiven Langzeiteffekt, der von Russland (und anderen) bei verschiedenen zukünftigen Gelegenheiten genutzt werden könnte, um strategische Ziele zu erreichen.

Als Zwischenergebnis könnte man die Schlussfolgerung ziehen, dass der Wendepunkt von eher offenen und konventionellen Aktivitäten (Operationen) zu eher verdeckten, unkonventionellen und hybriden Operationen bereits überschritten ist. Das bedeutet, dass Russland seinen strategischen Schwerpunkt von der Blitzkrieg-artigen Erreichung militärischer Ziele in der Ukraine (die offensichtlich gescheitert ist) auf die Untergrabung der politischen, finanziellen, wirtschaftlichen und militärischen Unterstützung des Westens für die Ukraine verlagert haben könnte, um günstige Bedingungen für einen langfristigen Erfolg auf dem Schlachtfeld zu schaffen.

Mehrere Umstände könnten für diese Ansicht sprechen: Russlands Militäroperation in der Ukraine, der Krieg, ist nicht so erfolgreich und schnell verlaufen wie vorhergesagt. Die wirtschaftlichen und diplomatischen Sanktionen des Westens waren hart, schnell und anhaltend in ihrer Entschlossenheit. Der internationale politische Druck nimmt zu, da Russland eine weltweite Finanz-, Energie- und Nahrungsmittelkrise verursacht hat. Russland kann die benötigten militärischen Ressourcen nicht schnell genug qualitativ ersetzen und es versucht sie durch eine Teilmobilisierung zu mildern. Darüber hinaus (aber nicht nur) sieht sich Präsident Putin gezwungen, die öffentliche Einheit durch Unterdrückung der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Folglich könnte Russland gezwungen sein, wieder auf Aktivitäten zurückzugreifen, die in der Vergangenheit erfolgreich waren: Hybride Sichelschnitt-Aktivitäten.

Sobald die Gemeinschaft der westlichen Demokratien die potenzielle Bedrohung durch hybride Sichelschnitt-Aktivitäten anerkennt, könnte sie versuchen zu antizipieren, welche Faktoren bei der Untergrabung der westlichen Kohäsion als Voraussetzung für einen militärischen Erfolg in der Ukraine eine Rolle spielen.

Wie bereits beschrieben, könnte eine hybride Sichelschnitt-Aktivität als eine Kombination aus dem Einsatz entscheidender militärischer Gewalt, Täuschung, Überraschung und Operationalisierung der unwahrscheinlichsten Vorgehensweise definiert werden.

  1. Entscheidende militärische Kräfte: Offenen Quellen zufolge hat Russland schätzungsweise 60-80 Prozent seiner konventionellen Landstreitkräfte in der Ukraine zum Einsatz gebracht. Die Luft- und Seestreitkräfte dienen den Landstreitkräften zur Unterstützung. Die weißrussische Regierung zeigt bislang keine große Bereitschaft, sich am Krieg aktiv zu beteiligen, auch wenn es jüngst gegenteilige Anzeichen gab. Folglich könnte man davon ausgehen, dass Russland frühestens 6-8 Jahre nach Beendigung des Krieges in der Ukraine erneut über entscheidende militärische Kräfte (mit ausreichend ausgebildeten und ausgerüsteten militärischen Großverbänden) verfügen kann. Angesichts dieser Tatsache könnte Präsident Putin andere militärische Mittel als konventionelle Streitkräfte als entscheidende militärische Kräfte ansehen. Entscheidende militärische Kräfte bedeuten nicht zwingend große Verbände, sondern könnten auch militärische Fähigkeiten bedeuten, die den Kriegsverlauf auf dem Schlachtfeld entscheidend beeinflussen können. Da Russland im Besitz taktischer Atomwaffen oder anderer biologischer oder chemischer Waffen oder Wirkstoffe ist, könnte es diese Waffen in einer ungünstigen Zukunft als „game changers“ auf dem Schlachtfeld betrachten. Unter Berücksichtigung der vernetzten Operationsführung könnten auch offensive Cyber-Operationen in diese Reihe militärischer Fähigkeiten aufgenommen werden. Die bereits nachgewiesene Präsenz russischer Cyberbedrohungen und deren Einflussnahme auf westliche Demokratien untermauern dies.
  2. Täuschung: Bei der Täuschung im Sinne eines hybriden Sichelschnitts, wie er in diesem Aufsatz beschrieben wird, stellt sich nicht die Frage, wie die Täuschung erreicht werden könnte. Die Frage ist eher, ob die begünstigenden Faktoren für eine Täuschung des Westens bereits vorhanden sind. Während sich der Westen auf die Aktivitäten in und um die Ukraine, auf unterstützende Maßnahmen zur Stärkung der ukrainischen Regierung und der ukrainischen Streitkräfte, auf Maßnahmen der Rückversicherung, Verstärkung der Wachsamkeit und Präsenz im Osten der NATO konzentriert, scheinen innenpolitische Schwachstellen und deren Wechselwirkung nur sehr langsam oder gar nicht ins Blickfeld zu geraten. Durch die Verlagerung verdeckter russischer Aktivitäten vom eigentlichen Kriegsgebiet (Ukraine und Umgebung) in die strategisch-operative Tiefe (Kontinentaleuropa mit Schwerpunkt Frankreich und noch wichtiger Deutschland oder Polen, mit „überzeugenden“ Nebeneffekten, die auf Afrika und die arabische Halbinsel abzielen) wäre Russland in der Lage, den Zusammenhalt westlicher Demokratien zu untergraben, indem es Gesellschaften und politische Entscheidungsprozesse infiltriert und entscheidend beeinflusst. Die Ausnutzung von Schwachstellen beim Schutz kritischer Infrastruktur könnte diese Unterminierung unterstützen. Diese könnten u.a. sein: die Verursachung von flächendeckenden Stromausfällen, die (teilweise) Unterbrechung des öffentlichen Verkehrs oder des Gütertransports, hauptsächlich durch digitale Angriffe, die Unterbrechung des digitalen Geldflusses einschließlich öffentlicher Geldautomaten, die Unterbrechung des öffentlichen Gesundheitswesens durch digitale Angriffe, der Anstieg der Inflationsrate durch erhöhte Öl- und Gaspreise oder verstärkte Migrationsströme, kurz: Destabilisierung. Sobald diese potenziellen Unterstützungsmaßnahmen vorhanden sind und die westlichen Gesellschaften zu stören beginnen, hat sich die Täuschung als erfolgreich erwiesen. Das Hauptziel Russlands wird darin bestehen, die politischen Kräfte innerhalb und zwischen den Bündnispartnern und denen, die sich diesen annähern, entscheidend zu stören, was die Voraussetzung für eine überraschende Folgeoperation ist.
  3. Überraschung: Während der Zeit, die der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine bereits andauert, haben sich westliche Gesellschaften mehr und mehr daran gewöhnt und damit als Teil ihres Lebens akzeptiert – zwar als einen brutalen, abscheulichen und menschlich sehr berührenden Teil, aber dennoch als ein Teil. Die Tatsache, dass eine militärische Konfrontation in der Nachbarschaft die Aufmerksamkeit auf die eigene Fähigkeit zur Verteidigung und zum Schutz von Schwachstellen lenkt, hat sich bereits auf die alltäglichen Probleme des Lebens aller Menschen verlagert: steigende Energiepreise, Pandemien, die Verfügbarkeit von Gütern des täglichen Bedarfs. Nach alledem scheint es, dass die günstigen Umstände für eine Überraschung bereits eingetreten sind. Vor allem, wenn man die begrenzte Einsatzbereitschaft der staatlichen Reaktionssysteme (Polizei, technische Unterstützung, Cyberabwehr oder sogar Streitkräfte) in Betracht zieht. Die Frage ist, wie diese Umstände schnell und langfristig abgemildert und umgebaut werden können, zumindest bis zum Jahr 2028, dem bereits dargestellten potenziellen nächsten Zeitschritt in der russischen strategischen Zäsur, der übrigens auch von einer dritten Partei durchgeführt werden kann.
  4. Die unwahrscheinlichste Möglichkeit des Handelns: Unter Berücksichtigung aller oben genannten Punkte könnte die unwahrscheinlichste Handlungsweise für Russland darin bestehen:
  • Den Status quo zu erhalten, indem es das offizielle Ende der „Sonderoperation in der Ukraine“ erklärt, mögliche offizielle Verhandlungen untergräbt und verzögert, um von Stellvertretern und Dritten durchgeführte russisch gelenkte und hybride Effekte zu erzeugen und im Verborgenen militärische Masse für den nächsten konventionellen Schritt der Kampagne vorzubereiten. Dies würde sehr gut zu den westlichen Überzeugungen von der Schwäche Russlands passen und die „Back-to-Business“-Mentalität nähren. Gleichzeitig sollte das bereits gewonnene ukrainische Territorium durch konventionelle Kräfte verteidigt und gehalten werden.
  • Zerschlagen der ukrainischen Streitkräfte durch den Einsatz taktischer Atomwaffen (entscheidend, schnell und in begrenzter Menge), vorbereitet durch verdeckte Operationen gegen Deutschland und Polen (Schwerpunkt) durch Störung ausgewählter öffentlicher Dienste, Energie- und Finanzsysteme.
  • Eine angepasste Kombination beider Vorgehensweisen.

Man könnte sich fragen, warum diese Vorgehensweise 1. unwahrscheinlich und 2. am unwahrscheinlichsten ist. Die Antwort liegt in den westlichen Gesellschaften selbst: Weil sie glauben wollen, dass der Einsatz von Atomwaffen unwahrscheinlich ist und dass eine massive Unterbrechung der öffentlichen Dienste nicht wirklich eine Gefahr darstellt. Präsident Putin ist sich dieser Tatsache vermutlich bewusst und wird sie nutzen, sobald er sich davon einen Mehrwert verspricht.

Was wären nun die besten Maßnahmen, um das Risiko des oben beschriebenen hybriden Sichelschnitts zu mindern?

  1. Sofortiger Ausbau des Schutzes kritischer Infrastruktur,
  2. Entwicklung von Fähigkeiten für offensive Cyberoperationen, damit verbundener STRATCOM als Beitrag zur Cyberabschreckung, um die Kosten für russische offensive Cyberoperationen zu erhöhen,
  3. Identifizierung hochwertiger Ziele für ausländische Eingriffe im Inland bzw. in den Bündnissen und Festlegung von Prioritäten bei verstärkten Schutzmaßnahmen,
  4. Konzentration auf Maßnahmen zur digitalen Resilienz, um Flexibilität für den Einsatz physischer Fähigkeiten zu schaffen, wenn diese benötigt werden (digital agil bleiben, um im Bedarfsfall physisch handeln zu können),
  5. Stärkung des politischen Willens zur Verbesserung der Fähigkeiten staatlicher Stellen zur Katastrophenhilfe (Polizei, Feuerwehr, technische Hilfsdienste, Geheimdienste, Streitkräfte (Schwerpunkt)),
  6. Entwicklung von Notfallsystemen, um anfällige öffentliche Systeme zu ersetzen, sobald diese betroffen sind,
  7. Erörterung künftiger russischer Handlungsoptionen in der Öffentlichkeit, um eine Mentalität der Resilienz in der Bevölkerung zu schaffen,
  8. Aufbau eines Portfolios bewährter Praktiken für Maßnahmen zur Bekämpfung des hybriden Sichelschnitts,
  9. Reflektion des Hybriden Sichelschnitts – Entwicklung eines Hybriden Sichelschnitts 3.0 (einschließlich Gegenmaßnahmen).

Autoren: Oberstleutnant i.G. Andreas Nichting und Oberstleutnant i.G. Kai Schlegel sind deutsche Generalstabsoffiziere, die bereits verschiedene Führungspositionen in der leichten und luftbeweglichen Infanterie innehatten. Als Operationsplaner und Konzeptionäre arbeiteten sie unter anderem gemeinsam in der Division Schnelle Kräfte und vertieften dort ihre Leidenschaft für Militärgeschichte mit aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen in regelmäßigen Gesprächen und Analysen. Triebfeder ihres Handelns ist die Erkenntnis, dass es der deutschen Gesellschaft an einer operativen und strategischen Kultur fehlt, die Streitkräfte als Machtmittel in den Dienst eines übergeordneten gesamtgesellschaftlich zu erreichenden Ziels stellt.

Derzeit ist Kai Schlegel im EU-Militärstab in Brüssel (Belgien) primär für die EU-Kräfteplanung zuständig. Andreas Nichting ist als Referent im Verteidigungsministerium in Berlin vor allem für EU-Verteidigungsinitiativen eingesetzt. Beide verfügen über langjährige Erfahrungen in den Streitkräften und verfügen über ein Diplom bzw. Magister der Universität der Bundeswehr und Einsatzerfahrung in Afghanistan, Irak und Kosovo. Der Beitrag gibt ihre persönliche Meinung wieder.