StartStreitkräfteKommentar: Wie Bürokratie und lokaler Widerstand nationale Interessen in der Ukraine-Hilfe konterkarieren

Kommentar: Wie Bürokratie und lokaler Widerstand nationale Interessen in der Ukraine-Hilfe konterkarieren

Waldemar Geiger

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Dass lokale Interessen und Bürokratie große Vorhaben von nationaler oder teilweise sogar internationaler Tragweite hemmen oder gar gänzlich verhindern können, kennen wir Deutsche nicht nur im Zusammenhang mit dem Ausbau von Stromleitungen. Auch Streitkräfte und die Organisatoren der aktuell besonders hoch priorisierten Ukrainehilfe sind täglich mit dieser Herausforderung konfrontiert. Wie man anhand folgender Beispiele sehen kann, ist dies aber kein rein deutsches Phänomen.

Da wäre zum einen der jüngst medial im Fokus geratene Fall von Katzenvideos, die den Ausbau von Produktionskapazitäten für Artilleriegranaten verhindern. Der Chef des norwegischen Munitionsspezialisten Nammo hatte öffentlich gemacht, dass er seine Munitionsproduktion nicht nach oben skalieren kann, obwohl die Ukraine einen besonders hohen Bedarf an Artilleriemunition hat. Grund dafür ist ein in der Nähe des Unternehmens angesiedeltes Datenzentrum von TikTok, welches sich die lokale Überkapazität an Energie vollständig gesichert hat. Für die energieintensive Steigerung der Produktion bei Nammo ist nicht mehr genug Strom da. Dieser Umstand sorgt für viele Fragezeichen in Norwegen und darüber hinaus. Wie kann es sein, dass solche Probleme überhaupt existieren? Gibt es niemanden der die Befugnis hat eine Prioritätenabwägung zwischen dem Strombedarf der beiden Unternehmen zu treffen?

Ähnlich scheint es sich bei einem heute publik gewordenen Fall aus Schweden zu handeln. Wie Sveriges Radio berichtet, darf das Testzentrum der Firma Bofors seit Mitte letzten Jahres das großflächige Testareal – welches im Übrigen auch durch die Bundeswehr immer wieder für Versuchszwecke weitreichender Munitionstypen genutzt wird – nicht mehr am Wochenende nutzen. Geänderte Umweltrichtlinien (Lärmbelastung) führen dazu, dass am Wochenende nur noch aus „besonderen Gründen“ geschossen werden darf. Der steigende Munitionsbedarf der Ukraine – jedes produzierte Munitionslos muss mittels des Beschusses einer Testlosgröße qualitätsgesichert werden – resultiert in einer höheren Auslastung des Testzentrums. Weitere Beschusskapazitäten können dem Vernehmen nach nur noch mittels Auslagerung der Tests aufs Wochenende aufgebaut werden. Die lokalen Entscheidungsträger lassen den Krieg in der Ukraine und die sich daraus ergebenden höheren Munitionsmengen aber den Bericht zufolge nicht als „besonderen Grund“ gelten.

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Solche Auflagen sind auch den deutschen Streitkräften und Rüstungsunternehmen nicht unbekannt. Auch hier reduzieren Lärmschutzverordnungen den Übungs- und Testbetrieb erheblich. Dies geht sogar so weit, dass Wetterlagen und Windrichtung maßgeblich für die Anzahl der an einem Tag zu verschießenden Munition beeinflussen.

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Ähnliches kleingeistiges Verhalten und bürokratische Bremsklötze sorgen zudem dafür, dass die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland nicht so effektiv organisiert werden kann, wie es eigentlich möglich wäre. So berichtete jüngst ein hochrangiger Bundeswehrgeneral im Rahmen eines Vortrages bei einem parlamentarischen Abend in Berlin von einem Beispiel, der heftiges Kopfschütteln im Publikum – zu dem auch mehrere Abgeordnete des Bundestages zählten – verursachte: Für die Ausbildung in Deutschland müssen die ukrainischen Soldaten auch in der Nutzung deutscher Ausrüstung und Handwaffen eingewiesen werden, weil andere Waffen für das Training bislang nicht zur Verfügung standen. Um einen Teil dieser kostbaren Ausbildungszeit zu sparen – die Ukrainer kämpfen im Heimatland ohnehin mit anderen Waffen – wurden von einem Verbündeten Kalaschnikow-Sturmgewehre beschafft, in deren Nutzung die Ukrainer bereits eingewiesen sind. Das Problem: Bürokratische Vorgaben verhindern den Einsatz dieser Waffen auf deutschen Schießanlagen, da diese Gewehre und Munitionssorten nicht in den jeweiligen Vorschriften hinterlegt sind.

Diese Beispiele verdeutlichen, dass eine Zeitenwende eben nicht nur mittels zusätzlichen Geldes für die Streitkräfte umgesetzt werden kann. In diesem Zusammenhang reicht auch ein „Mindchange“ in den Köpfen der Truppe nicht aus. Die komplette Gesellschaft muss den Ernst der Lage und die sicherheitspolitische Notwendigkeiten begreifen und am selben Strang in dieselbe Richtung ziehen. Andernfalls werden einzelne Personen oder Vorschriften weiterhin die Umsetzung nationaler Interessen bremsen oder komplett verhindern.

Damit dies gelingt, reicht eine einzige Zeitenwendenrede des Bundeskanzlers nicht aus, es muss öfter, deutlicher und handfester zu diesem Thema kommuniziert werden. Zudem wären im Rahmen dieser Kommunikation handfeste Beispiele hilfreich, die plakativ beschreiben, wie jeder Einzelne im Rahmen seiner Möglichkeiten helfen kann, um im Sinne des großen Ganzen zu handeln. Da wo es keine Entscheidungsspielräume gibt, müssen Gesetze und Vorschriften zügig geändert oder zeitweise außer Kraft gesetzt werden, wenn sie dem nationalen Interesse im Weg stehen.

Waldemar Geiger