Die ungarischen Streitkräfte haben bei dem deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall Loitering Munition der Hero Wirkmittelfamilie bestellt. Dies geht aus einer Pressemitteilung des Unternehmens vom 20. Juli 2023 hervor. Die Mitteilung ist jedoch recht offen gehalten, was Typ, Menge und Auftragswert angeht. Zudem sind über unterschiedliche Kanäle zwei Versionen der Pressemitteilung verbreitet worden, die geringe und trotzdem bedeutsame Abweichungen beinhalten.
Laut deutschsprachiger Mitteilung hat der Düsseldorfer Konzern einen Auftrag über die Lieferung von Loitering Munition aus der Hero Wirkmittelfamilie seitens der ungarischen Streitkräfte erhalten. Der Auftragswert des bereits unterschriebenen Vertrages liege im niedrigen dreistelligen Mio. Euro Bereich. Zudem soll die Auslieferung 2023 oder laut zweiter Version der Mitteilungen 2024 beginnen und bis 2025 abgeschlossen werden. Wie viele Exemplare Teil des Vertrages sind und welche Typen der insgesamt fünf Versionen umfassenden Hero Familie zur Auslieferung kommen, wurde nicht bekannt. Eine diesbezügliche Anfrage an die Vertragsparteien blieb unbeantwortet. Interessant ist jedoch, dass in einer zweiten Version der Mitteilungen, die über den LinkedIn Channel des Rheinmetall-Partners UVision verbreitet wurde, eine lokale Fertigung von etwa 750 Systemen in Ungarn erwähnt wird, was den Aufbau einer Fertigungsstraße und einen Technologietransfer aus Italien, wo die eigentliche Fertigung der Hero-Wirkmittelfamilie für den europäischen Markt angesiedelt ist, erfordern würde. Als Standort würde sich hier die im Westungarischen Várpalota auf 150 Hektar entstehende Munitionsfabrik der Rheinmetall Zrt. anbieten.
Bezüglich der zu liefernden Mengen kann daher nur gemutmaßt werden. Insbesondere, da weder der genaue Typ der Loitering Munition noch der Auftragswert bekannt ist. Bezüglich der von Ungarn beschafften Varianten kommen vermutlich nur die Hero 30 und 120 direkt infrage, da dem Vernehmen nach die anderen Typen der Familie noch nicht die vollständige Produktionsreife erreicht haben. So hatten die italienischen Spezialkräfte als First Adopter im September 2022 die Hero 30 als kleinste Version der Typenreihe beschafft. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass im Laufe des Projektes noch eine weitere Version-Bestandteil der Auslieferung wird.
In Bezug auf den Auftragswert gibt es höchstens ein Indiz in Form des Rheinmetall Quartalsberichtes vom Mai 2022. Damals wurde das Potenzial für Loitering Munition Verkäufe an Ungarn mit etwa 250 Millionen Euro beziffert. Ob dies ein Jahr später noch in dem gleichen Volumen erfolgte, ist jedoch ungewiss.
Hero Loitering Munition
Als Loitering Munition wird ferngesteuerte Präzisionsmunition bezeichnet, die auch ohne Zielkoordinaten gestartet werden und dann längere Zeit über einem Zielgebiet kreisen kann, bis ein lohnendes Ziel entdeckt und bekämpft wird. Neben der Zielbekämpfung kann Loitering Munition auch für Aufklärungszwecke eingesetzt werden.
Mitte Oktober 2021 hat der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall eine Kooperation mit UVision Air Ltd., einem israelischen Hersteller von Loitering Munition, vereinbart. Die strategische Partnerschaft der Rheinmetall-Tochter RWM Italia SpA mit UVision hat zum Ziel, den Markt für diese Präzisionsmunition in Europa und der NATO zu erschließen. Dies schließt die Adaption der EU- und NATO-Standards mit ein. Beide Unternehmen wollen die jeweiligen Fähigkeiten bündeln und so präzise und kampferprobte Waffensysteme für den Markt bereitstellen. Die Kooperation sieht vor, dass UVision marktreife und einsatzbewährte Technologien und Produkte einbringt, die dann gemeinsam mit Rheinmetall weiterentwickelt werden sollen. Rheinmetall stellt seine industrielle Basis zur Verfügung und ist neben dem Europavertrieb für Qualifizierungsthemen gemäß europäischen und NATO-Standards zuständig. Auch eine Integration der Wirkmittel in Rheinmetalls bemannte und unbemannte Gefechtsfahrzeuge ist vorgesehen.
Bei seiner Hero-Loitering-Munition-Familie hat sich UVision ein an Lenkflugkörper anmutende Designprinzip zu Nutze gemacht. Die Hero-Serie ferngesteuerter Präzisionsmunition wurde für unterschiedliche Einsatzzwecke mit kurzen, mittleren und langen Reichweiten und Flugzeiten unter Verwendung verschiedener Gefechtsköpfe entwickelt.
Der Einsatz der Systeme kann plattformunabhängig oder plattformgestützt erfolgen. Ein Hero-System umfasst den jeweiligen Launcher, die Munition und Bedieneinheit sowie ein Ground-Data-Link-Terminal für die Funkanbindung. Die Systeme bieten den Nutzern kombinierte Fähigkeiten zur Aufklärung, Überwachung, Erkennung (ISR) und zum Angriff. Dies ermöglicht es, zeitkritische Ziele mit niedriger Signatur zu lokalisieren, zu verfolgen und zu bekämpfen. UVisions Hero-LM-Familie umfasst mehrere Modelle, beginnend mit der Hero-30 (etwa 10 km Reichweite = maximale Flugstrecke, 3 kg Gewicht und 500 g Sprengkopf) bis hin zur Hero-1250 (etwa 200 km Reichweite, 125 kg Gewicht und 50 kg Sprengkopf). Fertig entwickelt, eingeführt und teilweise im Gefecht eingesetzt sind die Hero-30, Hero-120 und Hero-400 EC.
Die Konzeption zeichne sich durch eine einfache und unter Stress sicher durchführbare Systembedienung sowie einen erschwinglichen Preis aus. Einer früheren Aussage eines UVision Vertreters zufolge, liegt dieser bei vergleichbarer Wirkleistung (Hero-120) bei rund 60 Prozent des Preises von modernen in der NATO verbreiteten Panzerabwehrlenkflugkörpern – diese Angaben bezogen sich auf eine nicht „europäisierte“ Version des Wirkmittels. Mit einer Startmasse von 12,5 kg und einer Reichweite von 40 km ist die Hero-120 laut Hersteller in der Lage, einen Sprengkopf von 4,5 kg mit hoher Präzision gegen unterschiedliche Ziele wie etwa Kampfpanzer einzusetzen. Durch die geringe optische und akustische Signatur ist die Waffe schwer aufzuklären und zu bekämpfen.
Um Ziele detektieren und verfolgen zu können, verfügt die Hero Loitering Munition über eine kombinierte Tagsicht- und Wärmebildkamera, welche innerhalb der maximalen Flugzeit nicht nur die Zielbekämpfung, sondern auch die Zuweisung für andere Wirkmittel erlaubt.
Darüber hinaus soll die Hero-Systemfamilie den Angaben des Herstellers zufolge mehrere weitere Vorteile aufweisen:
- Der pneumatische Start, mittels Druckluft, erzeugt keine Rauch- und Akustiksignatur. Es entsteht auch kein aufklärbarer Rauchschweif.
- Möglichkeit der Wiederverwendbarkeit, indem die Hero mittels Fallschirm landet. Für die Wiederverwendung muss dann aber der Akku ausgetauscht werden und der Fallschirm durch ein entsprechend qualifiziertes Personal inspiziert und wieder gepackt werden.
- Einfache und intuitive Bedienung
- Fähigkeit, auch als Aufklärungsmittel zu fungieren
Die Steuerungsreichweite des Systems, also die maximale Entfernung zwischen der Hero und dem Steuerer, wird mit fünf Kilometern angegeben. Durch Zuhilfenahme von unterschiedlichen Antennen könne diese auf bis zu 60 Kilometer gesteigert werden.