StartMobilitätLuftbeweglichkeit: Der Ritt der elektronischen Walküren

Luftbeweglichkeit: Der Ritt der elektronischen Walküren

Vor der Osterpause befasst sich die Serie unseres Schwestermagazins Hardthöhenkurier zu Defiziten der NATO-Partner im Falle eines US-Rückzugs noch mit dem Thema Luftbeweglichkeit. Wenngleich hier keine großen technologischen Lücken bestehen, stellten die USA doch rein quantitativ stets den größten Anteil der Lufttransportfähigkeiten im Bündnis. Das lag nicht zuletzt an ihren weltweiten Verpflichtungen, die auch ehemalige europäische Groß- und Kolonialmächte weder im gleichen Umfang beibehielten noch bezahlen konnten.

In den USA soll das Kipprotorflugzeug Bell V-280 Valor den UH-60 Black Hawk ablösen.
In den USA soll das Kipprotorflugzeug Bell V-280 Valor den UH-60 Black Hawk ablösen. (Foto: Bell)

Für die Zwecke der Bündnisverteidigung waren die Europäer weniger auf eigene strategische Verlegefähigkeiten angewiesen denn auf transatlantische Verstärkungen und Nachschub per Luft- und Seeweg. Auf der taktischen und operativen Ebene blieb Luftbeweglichkeit dennoch bedeutsam: zur raschen Verlegung von Truppen und Material zwischen Nordkap und Mittelmeer, aber auch zur unmittelbaren Unterstützung auf dem Gefechtsfeld. Insbesondere bei den Drehflüglern trugen trotzdem die US-Streitkräfte spätestens mit dem Anwachsen der amerikanischen Heeresflieger zur zweitstärksten „Luftwaffe“ der Welt während des Vietnamkrieges die weitaus größten Kapazitäten im Bündnis bei.

Luftbeweglichkeit gestern, heute und morgen

Zwar ging angesichts der Bedrohung durch die tiefgestaffelten, weitgehend mobilen Flugabwehrsysteme des Warschauer Pakts auf einem potenziellen europäischen Schlachtfeld niemand von raumgreifenden hubschraubergestützten Angriffsoperationen zu den Klängen von Wagners Walkürenritt aus wie in „Apocalypse Now“. Das Prinzip der schnellen Schwerpunktbildung blieb aber angesichts quantitativ überlegener gegnerischer Bodenkräfte wichtig. Nicht nur zum schnellen Heranführen von Reserven, sondern auch zur unmittelbaren Luftnahunterstützung am vorderen Rand der Verteidigung durch Kampfhubschrauber, die dafür im Tiefstflug die Deckung des Geländes nutzten.

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Selbst im Vergleich zur relativ hubschrauberstarken Bundeswehr des Kalten Krieges war dieser Gedanke in der U.S. Army mit eigenen Heeresfliegerbrigaden nicht nur auf der Korps-, sondern auch der Divisionsebene erheblich umfassender verwirklicht. Seine Erprobung im Ernstfall blieb glücklicherweise aus. Der isolierte Einsatz von Hubschrauberverbänden zu Operationen in der Tiefe des gegnerischen Raums erwies sich später sowohl durch die USA im Irak als auch durch Russland in der Ukraine als verlustanfällig.

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Bemannte Plattformen bleiben Rückgrat

Der Ukraine-Krieg demonstrierte natürlich auch den Paradigmenwechsel zum zunehmenden Einsatz von Drohnen für Aufklärungs- und Angriffszwecke im bisherigen bodennahen Lebensraum des bemannten Drehflüglers. Nicht zuletzt strichen die USA bereits 2022 die bemannte Aufklärungskomponente aus ihrem Future Vertical Lift (FVL)-Programm, mit dem die gegenwärtige Hubschraubergeneration abgelöst werden soll. Da sich allerdings auch die Fähigkeiten zur Drohnenabwehr rasant entwickeln, bleiben bemannte Plattformen als Rückgrat im Verbund mit Drohnen Teil der Planungen.

Bei der Bundeswehr soll zunächst der Leichte Kampfhubschrauber H145M die Fähigkeit zum Manned-Unmanned Teaming abbilden.
Bei der Bundeswehr soll zunächst der Leichte Kampfhubschrauber H145M die Fähigkeit zum Manned-Unmanned Teaming abbilden. (Grafik: Airbus)

Tatsächlich hat die NATO nach Berichten vom vergangenen Jahr die geforderte Zahl von Hubschrauberverbänden im Bündnis von 90 auf 104 erhöht. Als „Verband“ gilt dabei ein Bataillon amerikanischen Typs mit zwei bis drei Dutzend Maschinen, die in Brigaden mit Kampf- und Transporthubschraubern organisiert sind. Derzeit gibt es anderthalb solcher US-Brigaden in Europa. Diese umfassen insgesamt drei Kampf-, zwei schwere und ein leichtes Transporthubschrauberbataillon. Im Bündnisfall wäre mit insgesamt mindestens vier Brigaden zu rechnen.

Neue Lösungen für künftige Bedarfe

Gemäß der an dieser Stelle schon einmal aufgemachten Rechnung müssten bei einem Ausfall der USA die übrigen Verbündeten ihre Beiträge um etwa 20 Prozent über die neuen Minimum Capability Requirements erhöhen. Deutschlands noch zuvor geplanter Bestand sollte am Ende des Jahrzehnts neben 60 CH-47 (ohne Marine-, aber mit Trainingshubschraubern) 82 NH90 und 168 H145M in verschiedenen Versionen betragen – nach NATO-Zählweise also etwa zehn bis zwölf Bataillone. Mit den neuen Forderungen und Ersatz für den US-Beitrag würde sich dies auf 14 bis 17 steigern, jeweils zur Hälfte für Kampf- und Transportzwecke.

Momentan ist beim Deutschen Heer der NH90 und bei der Luftwaffe die CH-53 Hauptträger der Luftbeweglichkeit. Letztere soll durch die CH-47F ersetzt werden.
Momentan ist beim Deutschen Heer der NH90 und bei der Luftwaffe die CH-53 Hauptträger der Luftbeweglichkeit. Letztere soll durch die CH-47F ersetzt werden. (Foto: Bundeswehr)

Je nach Zeithorizont müsste der zusätzliche Bedarf noch mit Hubschraubern der gegenwärtigen Generation gedeckt werden. Wollte man dabei auf amerikanische Modelle verzichten, würde sich im schweren Transportsegment vermutlich eine Kapazitätslücke ergeben. Allerdings könnte diese wohl mit einer Mischung aus leichteren Drehflüglern sowie Starrflüglern weitgehend überbrückt werden. Und die gute Nachricht lautet: Im Bereich des Starrflügel-Transports hat Europa keine relevanten Fähigkeitslücken.

Die vorhandenen Typen einschließlich des Airbus A400M decken die Anforderungen der Landes- und Bündnisverteidigung bis in den strategischen Bereich hinein ab. Auszubauen wären vielleicht noch Spezialfähigkeiten wie zur Luftbetankung. Doch ist neben den nationalen Tankerflotten die in Eindhoven und Köln/Bonn stationierte Multinational MRTT Unit der NATO mit bislang zehn Airbus A330 MRTT durchaus erweiterungsfähig.

Stefan Axel Boes