Mit dem am Montag dieser Woche vorgestellten Strategic Defence Review (SDR) formalisiert auch die britische Regierung von Premierminister Keith Starmer die Rückkehr zur Landes- und Bündnisverteidigung. Zwar hatten schon die konservativen Vorgängerregierungen auf die veränderte Sicherheitslage seit der russischen Vollinvasion der Ukraine im Februar 2022 reagiert. Das letzte strategische Dokument war jedoch der Integrated Defence Review aus dem Vorjahr 2021, vorgestellt noch unter Premier Boris Johnson.
Der SDR wurde im Auftrag der Regierung unter Führung des ehemaligen NATO-Generalsekretärs Lord Robertson verfasst. Er enthält 62 Empfehlungen, die von der Regierung vollständig akzeptiert wurden. Angesichts der weltweiten Interessen und Verpflichtungen der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien ist die Fokusverschiebung dabei nicht so umfassend wie etwa in Deutschland. Dies gilt etwa für den Marinebereich, wo der Bericht im Rahmen des australisch-britisch-amerikanischen AUKUS-Programms die Beschaffung von zwölf nukleargetriebenen Jagd-U-Booten der nächsten Generation fordert.
SDR setzt „NATO first“
Für die Inselnation Großbritannien ist allerdings Seemacht auch immer Landes- und Bündnisverteidigung. Ein weiteres ausdrücklich erwähntes internationales Programm ist das Global Combat Air Programme (GCAP) für ein Kampfflugzeug der 5. Generation in Zusammenarbeit mit Italien und Japan. Die USA werden trotz Irritationen seit dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump weiterhin als engster Verbündeter in Verteidigung und Sicherheit genannt, jedoch auch Deutschland, Frankreich, Norwegen, Polen und die Türkei als wichtige Partner erwähnt.
Vor allem aber gilt der Ansatz „NATO first“: stärkere politische und militärische Führung der europäischen Verbündeten innerhalb der Allianz sei der beste Weg, um der Herausforderung durch Russland zu begegnen. Letzteres stelle eine „unmittelbare und drängende Bedrohung“ dar. Daneben sei China eine hochentwickelte und dauerhafte Herausforderung, während der Iran und Nordkorea „regionale Disruptoren“ seien. Allerdings entwickelten auch diese zunehmend weiter reichende Raketentechnologie und stellten im Cyberspace eine direkte Bedrohung dar.
Erhöhung der Verteidigungsausgaben
Als Konsequenz sollten die Verteidigungsausgaben wie bereits früher angekündigt bis 2027 auf 2,5 und in der kommenden Legislaturperiode auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht werden. Mindestens sechs neue Munitions- und Sprengstofffabriken sollten für Investitionen von 1,5 Milliarden Pfund (1,8 Milliarden Euro) entstehen und dauerhaft produzieren. Ebenso viel solle in neue Unterkünfte für Soldaten investiert werden, eine weitere Milliarde Pfund in ein digitales Gefechtsfeldnetzwerk.
15 Milliarden Pfund sind allein für die Entwicklung eines neuen nuklearen Gefechtskopfes vorgesehen, der auf den amerikanischen Trident-Raketen für die künftigen strategischen U-Boote der Dreadnought-Klasse in Dienst gehen soll. Im konventionellen Bereich sollen bis zu 7.000 Langstreckenflugkörper beschafft werden. Die Stärke des Heeres soll dagegen mit einem Gesamtumfang von mindestens 100.000 Mann, davon mindestens 73.000 aktiv, nur leicht wachsen, indem vor allem die Zahl der Reservisten um etwa 20 Prozent erhöht wird.
Modernisierung des Heeres
Die beiden bestehenden Divisionen sowie das Hauptquartier für das britisch geführte Allied Rapid Reaction Corps (ARRC) als eines der beiden strategischen Reservekorps der NATO sollen modernisiert werden. Dabei solle die 1. Division ein voll verlegefähiges Hauptquartier, drei gepanzerte beziehungsweise mechanisierte Brigaden, eine Unterstützungsbrigade und weitere Divisionstruppen umfassen. Auch sollten Pläne für die Integration der Royal Marine Commando Force in das ARRC gemacht werden.
Internationale Krisenreaktionseinsätze sollten weiterhin zuerst von der 16 Air Assault Brigade übernommen werden. Insgesamt könne die British Army durch die Nutzung moderner Technologien eine zehnfache Erhöhung ihrer Wirksamkeit erreichen. Der SDR schlägt eine Ausstattung nach der Formel „20-40-40“ vor: 20 Prozent bemannte Plattformen, die 40 Prozent wiederverwendbare unbemannte Plattformen sowie 40 Prozent Munition und Kampfdrohnen kontrollieren.
Der SDR zeigt nicht zuletzt erneut die Kosten, die der Unterhalt eines nationalen Nukleararsenals – selbst unter Verwendung amerikanischer Trägerraketen – zulasten der konventionellen Verteidigung bedeutet. Zwar bekräftigt Großbritannien seine Ambition als Führungsmacht in der Sicherheit Europas, kann dafür aber vergleichsweise wenig Mittel für die Landstreitkräfte aufwenden. Insgesamt scheint auch das Ziel von drei Prozent Verteidigungsausgaben der Wirtschaftsleistung im Vergleich zu den gegenwärtig in der NATO diskutierten 3,5 bis fünf Prozent noch bescheiden, ist angesichts der britischen Kassenlage aber wohl das höchste vorstellbare.
Stefan Axel Boes