StartAusrüstung & BekleidungKommentar: Der unterschätzte Wert von Bekleidung und persönlicher Ausrüstung

Kommentar: Der unterschätzte Wert von Bekleidung und persönlicher Ausrüstung

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Die deutschen Streitkräfte geben viel Geld dafür aus, um sich vor allem in den sozialen Medien nach außen als moderner Arbeitgeber zu präsentieren. Die Truppe dagegen hadert mit ganz banalen Dingen wie Bekleidung und persönlicher Ausrüstung. Ein unverständlicher Umstand, denn gerade Bekleidung und persönliche Ausrüstung erleichtern das Ausüben des Dienstes bei jeglichem Wetter – oder eben nicht. Daher haben sie einen erheblichen Einfluss auf die Dienstzufriedenheit der Soldatinnen und Soldaten.

Nach Aussetzung der Wehrpflicht musste auch die Bundeswehr intensiver in den Kampf um die Nachwuchsgewinnung einsteigen. Mittlerweile werden jährlich zweistellige Millionenbeträge für die Personalwerbung ausgegeben, 2020 waren es 33,6 Millionen Euro. Nicht eingerechnet sind dabei Personalausgaben für den Sold der Soldaten die sich täglich dieser Aufgabe widmen und die dazugehörigen Infrastrukturausgaben. Der Gesamtaufwand der Kostenstelle Personalgewinnung ist unbekannt, wird sich aber sicherlich im dreistelligen Millionenbereich bewegen.

Seit Kurzem ist mit karrierekaserne.de ein weiterer Internetauftritt der Personalwerber für die deutschen Streitkräfte online gegangen, optisch äußerst ansprechend, funktional und sicherlich gut geeignet, sich der Zielgruppe als moderner Arbeitgeber darstellen zu können. Das Problem an der Sache ist, es ist mehr Schein als Sein. Die Bundeswehr hat große Probleme, das gewonnene Personal in der Truppe zu halten, denn der dortige Alltag entspricht bei weitem nicht der Darstellung der Streitkräfte im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit.

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Zu einem modernen „Arbeitgeber“ zählen eben nicht nur Versprechungen, sondern auch die konkrete Fähigkeit, einen modernen Arbeitsplatz zu bieten. Die Soldaten wollen und brauchen eine moderne und funktionstüchtige Ausrüstung. Öffentlichkeitswirksam wird dabei immer wieder die unzureichende Einsatzfähigkeit von Großwaffensystemen beklagt. Zu kurz und oftmals unterschätzt wird aber die Bedeutung von Bekleidung und persönlicher Ausrüstung

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Dabei sind diese Ausrüstungsgegenstände die ersten, mit denen ein Zivilist in Berührung kommt, wenn er sich für eine Karriere in der Bundeswehr entscheidet, egal ob als U-Bootfahrer, IT-Spezialist oder Fallschirmjäger. Den Rekruten wird also unmittelbar nach Einkleidung vor Augen gehalten, dass die Realität der Truppe nicht den gezeichneten Hochglanzbildern entspricht. Auf dem Poster sehen sie Soldaten mit modernen Einsatzuniformen und Kampfmittelwesten, im eigenen Spind hängt jedoch „Bekleidungstechnologie“ aus dem Kalten Krieg bzw. der 90er Jahre. Dieser Umstand stellt oftmals den Tropfen dar, der das Fass zum Überlaufen bringt und schlussendlich dazu führt, dass die jungen Soldatinnen und Soldaten den Streitkräften in der Probezeit den Rücken kehren oder sich gegen eine Verlängerung der Dienstzeit entscheiden. Der Autor hat dies in seinen zwölf Jahren Infanterie unzählige Male im eigenen Bereich erlebt. Dem Soldaten oder der Soldatin ist die Jacke sprichwörtlich näher als die Hose.

Es ist irritierend, wie stiefmütterlich dieses Thema behandelt wurde und bis heute noch unzureichend umgesetzt wird – und das, obwohl die Bedeutung des Themas auf höchster politischer Ebene erkannt wurde. Gerne wird dann in Sonntagsreden betont, dass die Streitkräfte eine moderne persönliche Ausrüstung brauchen, die Realität der Truppe im Jahr 2021 ist aber, dass man seit Monaten über keine ausreichende Anzahl an Helmen für die Fallschirmjägertruppe verfügt seit Monaten über keine ausreichende Anzahl an Helmen für die Fallschirmjägertruppe verfügt, die Streitkräfte sich dafür aber über den Abschluss eines neuen Rahmenvertrages für die Lieferung von Klappspatentaschen freuen dürfen. Das muss sich für die ganze Truppe umgehend und nicht erst Anfang der 2030er Jahre ändern, wenn die Masse der jüngst neu eingestellten Offiziere und Unteroffiziere wieder aus der Bundeswehr ausscheiden.

Die Bundeswehr muss die Beschaffung der Bekleidung und der persönlichen Ausrüstung neu denken, als Blaupause kann hier der Umgang der Streitkräfte mit moderner IT-Ausstattung dienen. Mittlerweile verfügt die Truppe querschnittlich über modernere Rechner und IT-Systeme, als viele privatwirtschaftliche Unternehmen. Hier haben die Rahmenverträge der BWI dazu geführt, dass die IT-Ausrüstung der Streitkräfte periodisch gegen neue Systeme ausgetauscht wird. Dabei erhält die Truppe aber keine Rechner, die dem technischen Stand von vor zehn Jahren entsprechen, sondern modernste Technik, die die gleiche Funktion erfüllt, aber eben dem Stand der Technik entspricht. Genau so muss es bei Nässeschutz oder der Trageausrüstung gemacht werden. Wenn eine neue Wasserschutzmembran auf den Markt kommt, dann wird keine Jacke mit alter Membran mehr beschafft, sondern nur noch mit neuer. Wenn die Taktik und Technik sich weiterentwickeln, Koppeltragegestelle nicht mehr den Ansprüchen an eine moderne Trageausstattung erfüllen, muss die Beschaffung moderner Schutz- und Trageausstattung (z.B. Plattenträger) die Folge sein.

Kritiker werden einwenden, dass die Bundeswehr sich so eine Art des Umganges mit Bekleidung und persönlicher Ausrüstung mit den aktuell zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln nicht leisten kann. Diese Kritiker seien zunächst daran erinnert, dass Bekleidung und persönliche Ausrüstung im Vergleich zu anderen Beschaffungen „Peanuts“ darstellen. Zudem sollten die sich folgende Frage  stellen: Wie viele Haushaltsmittel werden derzeit für Rekrutierung und Ausbildung von Personal ausgeben, welches an irgendeinem Punkt seiner Dienstzeit frustriert die Streitkräfte verlässt?

Wenn eine bessere Situation hinsichtlich der persönlichen Ausrüstung in diesem Bereich nur einen Bruchteil der Soldatinnen und Soldaten umstimmen könnte, wäre allen geholfen. Es gebe auch die Möglichkeit, diese These anhand von Pilotversuchen zu überprüfen. Die Bundeswehr könnte einen Verband mit moderner Bekleidung und persönlicher Ausrüstung ausstatten und evaluieren, welchen Einfluss dies auf die Dienstzufriedenheit der Truppe, von der Grundausbildung bis zum gestandenen Soldaten mit Kampferfahrung, hat. Der dafür notwendige finanzielle Aufwand wäre beherrschbar, der Erkenntnisgewinn wäre enorm.

Waldemar Geiger