StartFührung & KommunikationMultifunktions-Datenbrille IVAS: Verzögerungen im 22-Milliarden-Dollar-Projekt

Multifunktions-Datenbrille IVAS: Verzögerungen im 22-Milliarden-Dollar-Projekt

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Die U.S. Army hat beschlossen, die für September 2021 vorgesehene Einsatzprüfung der Multifunktions-Datenbrille des Typs Integrated Visual Augmentation System (IVAS) in den Mai 2022 zu verschieben, wie das Team IVAS des Program Executive Office Soldier (PEO Soldier) in einer nach der AUSA 2021 veröffentlichten Erklärung mitgeteilt hat. Die Ausstattung des ersten Verbandes mit der IVAS ist der Erklärung zufolge nun für September 2022 vorgesehen. PEO Soldier ist die für die Entwicklung und Einsatzprüfung zuständige Abteilung der US-Landstreitkräfte.

Am 26. März hatte das US-Heer mit Microsoft einen Fünfjahresvertrag, mit einer Verlängerungsoption von weiteren fünf Jahren, geschlossen für die Herstellung und Lieferung der neuartigen Multifunktions-Datenbrillen im Wert von bis zu 21,9 Milliarden Dollar geschlossen, S&T berichtete.

Eine Erklärung für die Verzögerung war nicht Gegenstand der PEO Soldiers-Erklärung. Die Army hat jedoch angekündigt, weiter am Projekt festhalten zu wollen. Die US-Fachpresse berichtet jedoch um Schwierigkeiten mit Feuchtigkeitseintritt in die Brille sowie einem begrenzten Sichtbereich von etwa 40 Grad. Dies entspricht in etwa dem Sichtfeld einer Nachsichtbrille, bei der IVAS wurde ursprünglich ein Sichtfeld von mindestens 80 Grad gefordert. Offenbar geht die Army davon aus, dass die Probleme bis Mai 2022 behoben werden können, aus den Medienberichten geht hervor, dass das US-Heer nun nur noch einen Sichtbereich von 70 Grad fordere. Der zuständige Programmleiter bleibt weiter optimistisch.

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Integrated Visual Augmentation System

Bei der Integrated Visual Augmentation System handelt es sich um eine vor der U.S. Army in Zusammenarbeit mit Microsoft entwickelten digitalen Datenbrille, die an einen kleinen Computer und ein taktisches Funkgerät angeschlossen wird.

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Das Gesamtsystem besteht aus einer Datenbrille mit integriertem Heads-Up-Display, einem kompakten Rechner, Funkgeräten für Datenübertragungen, einem konformen Akkupack, einem Ladegerät und einem taktischen Cloud-Server. Nur die Brille, das Funkgerät und die Akkus werden am Mann getragen, das Paket hat ein Gesamtgewicht von etwa 1,1 kg, welches sich sowohl auf den Kopf als auch Körper verteilt; der Server wird auf einem Fahrzeug der Kompanie integriert. Die Brille kann sich dann mit einer Cloud auf Kompanieebene synchronisieren, dem sogenannten Bloodhound. Diese Cloud verarbeitet die Daten und aktualisiert die Informationen. Bloodhound verbindet sich dann mit einem größeren Netzwerk oder einer Cloud, wenn diese zugänglich sind, so kann ein Datenaustausch von der Ebene des Einzelschützen bis zur Ebene der Heeresführung sichergestellt werden. Die IVAS ist aber auch in der Lage, ohne eine Verbindung zu arbeiten.

Die IVAS verfügt sowohl über einen digitalen Nachtsichtkanal als auch thermographische Sensoren und kann somit sowohl bei Tageslicht als auch bei eingeschränkter Sicht genutzt werden. Die Brille verbessert die Wahrnehmung sowie das Situationsbewusstsein der Soldaten, unterstützt deren Entscheidungsfindung und hilft bei der Zielerfassung bzw. Zielbekämpfung. Das Sichtfeld der Brille sollte ursprünglich 80 Grad in der Breite und 40 Grad in der Höhe betragen.

Die Datenbrille kann dem Soldaten auf dem Gefechtsfeld Informationen darüber liefern, wo sich der Feind und wo sich die eigenen Kameraden und verbündete Soldaten befinden. Sie  verwendet Gesichtserkennungssoftware, die dem Soldaten sagen kann, wer eine Person ist, soweit diese in einer Datenbank hinterlegt wurde. Darüber hinaus kann die Datenbrille verschiedene Sprachen ins Englische übersetzen; und sie ermöglicht den Soldaten einen digitalen, kabellosen Datenaustausch zwischen den unterschiedlichen Gruppen-, Zug- und Kompanieebenen, darunter Koordinaten und Aufnahmen des Geschehens auf dem Gefechtsfeld.

So müssen beispielsweise bestimmte Gefahrenpunkte im urbanen Kampf nicht umständlich mittels Sprache beschrieben werden. Ein Blick in die Richtung des Punktes genügt und das aufgenommene Bild kann an alle Folgekräfte weitergeleitet werden. Diese können sich dann bereits über die Lage orientieren, bevor sie an Ort und Stelle angekommen sind und müssen dann nicht das angesprochene Ziel erst umständlich suchen.

Die U.S. Army plant, alle zur Close Combat Force zählenden Truppenteile der 58 Brigade Combat Teams des US-Heeres und der U.S. Army National Guard mit der IVAS auszurüsten. Die Close Combat Forces setzen sich aus Einheiten der Infanterie, Aufklärungstruppe, Pionierkräften, Beobachtern und der an vorderster Front eingesetzten Sanitätstruppe zusammen.

Entwicklung und Tests

Die Entwicklung der IVAS begann vor etwa dreieinhalb Jahren und basiert auf der HoloLens-2-Datenbrille von Microsoft. In den vergangenen Jahren wurde die neuartige Brille mehrfach überarbeitet und in tausenden Stunden durch Soldaten der U.S. Army, dem U.S. Marine Corps und US-Spezialkräfte getestet. In dieser Zeitspanne wurden Dutzende Designänderungen an der Hardware und tausende Änderungen an der Software vorgenommen.

  • Bei der IVAS CS 1 (das CS steht für Capability Set) handelt es sich um die handelsübliche HoloLens 2 von Microsoft mit integriertem handelsüblichen Wärmebildsensor und der TAK-Software (Tactical Assault Kit) sowie Kartenmaterial. Diese Prototypen werden mit einer internen Batterie betrieben und benötigen ein Wi-Fi-Netzwerk. Die Army erhielt im März 2019 insgesamt 50 dieser Systeme.
  • Die IVAS CS 2 beinhaltet die Integration von zwei Low-Light-Kameras, einem Wärmebildsensor, taktischem Funk, TAK-Software und Karten, der Möglichkeit einer schnellen Zielerfassung (Verknüpfung der Waffenzieloptik mit der Datenbrille und Einblendung des Waffenhaltepunktes in das Sichtfeld des Soldaten unabhängig vom Anschlag), einem handelsüblichen GPS-Empfänger und einer angepassten Batterie mit der handelsüblichen HoloLens 2 von Microsoft. Im Oktober 2019 wurden 300 dieser Systeme an die Army übergeben.
  • Die IVAS CS 3 verfügt über ein an militärische Ansprüche angepasstes Gehäuse mit integrierter Low-Light- und Wärmebildsensorik, TAK-Software und Karten sowie der Möglichkeit einer schnellen Zielerfassung. Im September 2020 wurde 600 dieser Systeme zu Testzwecken an die U.S. Army übergeben.
  • Die IVAS CS 4 entspricht der Serienkonfiguration. 1.600 dieser Systeme wurden im April an die Army geliefert, mit denen dann im Sommer die ersten Einsatztests und im September Cybersecurity- sowie EloKa-Tests durchgeführt wurden.

Bis dato wurden detaillierte Testergebnisse nur der CS-2-Version der Brille veröffentlicht. Nach Aussagen des im Januar 2021 veröffentlichten „Director, Operational Test and Evaluation – FY 2020 Annual Report“, reagierten insbesondere an den Tests beteiligte Soldaten der U.S. Army sowie Marines positiv auf die Zweckmäßigkeit der CS 2. Angehörige der US-Spezialkräfte bewerteten die Funktionen zur Identifizierung von gesuchten Personen, die Möglichkeit der Textübersetzung sowie die Fähigkeit, Aufklärungsergebnisse auf Trupp- bzw. Gruppenebene teilen zu können als nützlich. Die meisten anderen Funktionen der CS 2 wurden gegenüber der derzeitigen Ausrüstung der Spezialkräfte nicht als Verbesserung empfunden, dazu gehören Nachtsichtfähigkeit und Navigationsfunktionen.

Dem Bericht zufolge sind insbesondere der Nachtsichtfähigkeit Grenzen gesetzt. Die Low-Light-Kamera liefert nur bei ausgeprägtem Mondlicht die Möglichkeit, Personen auf offenen Flächen zu detektieren. Die Nutzung eines fusionierten Bildes mittels der thermalen Sensorik verbesserte zwar die Ergebnisse, jedoch nur im stationären Einsatz. „Die Wärmebildsensoren wiesen eine Latenz auf, was eine Bewegung schwierig machte“, so der Bericht. „Am wenigsten nützlich war IVAS in Innenräumen, bei Nacht und bei Feindkontakt auf kurze Entfernungen“, so der Bericht weiter. Die derzeitige im Test befindliche CS 4-Version ist jedoch deutlich weiterentwickelter, sodass wohl deutlich höhere Leistungen zu erwarten sind.

Waldemar Geiger