StartBewaffnungSpike LR2: Bundeswehr will Panzerabwehrlenkflugkörpersystem MELLS kampfwertsteigern

Spike LR2: Bundeswehr will Panzerabwehrlenkflugkörpersystem MELLS kampfwertsteigern

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Die Bundeswehr beabsichtigt ihre Fähigkeiten im Bereich der Panzerabwehr zu steigern und hat dazu Anfang der Woche die im fränkischen Röthenbach ansässige Eurospike GmbH mit der Lieferung von Qualifikationshardware zur Qualifizierung des Lenkflugkörper MELLS LR2 beauftragt. MELLS steht für das Mehrrollenfähige Leichte Lenkflugkörper-System und basiert auf dem marktverfügbaren Produkt Spike Long Range des israelischen Rüstungskonzerns Rafael Advanced Defence. Damit sollen sowohl die Reichweite als auch die optische Leistungsfähigkeit des Systems gesteigert werden. Die neue Lenkflugkörpergeneration könnte aus den Waffenanlagen der Bundeswehr (Integrated Command and Launch Unit, CLU) verschossen werden.

Eine erfolgreiche Qualifizierung der neuen Version würde dazu führen, dass zukünftig aus dem bestehenden Rahmenvertrag abgerufene Lenkflugkörper bereits in der neuen Variante geliefert werden können. Eine Änderung des Vertrages wäre nicht notwendig. In einem 2019 zwischen der Bundeswehr und Eurospike geschlossenen Rahmenvertrag ist eine Höchstmenge von 11.500 Lenkflugkörpern und 214 Waffenanlagen vereinbart worden. Es wurden bereits alle Waffenanlagen und etwas mehr als 2.000 Lenkflugkörper abgerufen. Es verbleibt somit ein Volumen von etwa 9.000 Lenkflugkörpern.

Gegenüber der Version LR1 verfügt der LR2-Lenkflugkörper unter anderem über folgende Vorteile:

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  • Reichweitensteigerung von 4.000 Meter auf bis zu 5.500 Meter.
  • Verbesserte Steuerung und die Möglichkeit einer höheren Flugbahn, die einen steileren Endanflugwinkel von bis zu 70 Grad erlaubt. Dies ermöglicht eine bessere Wirkung hinter Deckungen sowie die Ausnutzung von Schwachstellen in der Panzerung des Zieles.
  • Verbesserte Optronik des Flugkörpers mit einer besseren Auflösung für den Schützen und der Möglichkeit, den Suchkopfsensor auch im Flug in den Modi Visual/Infrarot zu wechseln.
  • Nutzung eines ungekühlten IR-Suchers. In der Version LR1 muss der IR-Sucher mittels einer Gaspatrone gekühlt werden. Einmal aktiviert stand die Funktion für eine weitere Aktivierung nicht mehr zur Verfügung bis die Gaspatrone getauscht wurde. Der Lenkflugkörper konnte somit nur noch im Visual-Modus genutzt werden, bis eine neue Patrone eingesetzt wurde.

Damit die Bundeswehr die neuen Systeme verschießen kann, ist eine Qualifizierung des neuen Flugkörpers zwingend erforderlich. „Um diese Qualifizierung zu erreichen, bedarf es der Auswertung und Bewertung der Nachweisdokumente sowie der Durchführung dafür erforderlicher wehrtechnischer Versuche“, heißt es dazu in einer auf der europäischen Vergabeplattform TED veröffentlichten Meldung des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw). Dafür sollen unter anderem zwölf Lenkflugkörper MELLS LR2 sowie weitere Hardwareteile und Dokumente geliefert werden.

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Technisch bedingte Notwendigkeit der Modernisierung

In der Mitteilung zur Beauftragung der Eurospike GmbH mit der Lieferung von Qualifikationshardware zur Qualifizierung des Lenkflugkörpers MELLS LR2 hat das BAAINBw den Entschluss zur Modernisierung des Systems wie folgt begründet:

„Der Hersteller des Lenklenkflugkörpersystems SPIKE LR/MELLS, Fa. Rafael Advanced Defence (Originalgerätehersteller), hat mit Schreiben vom 29.04. bzw. 29.05.2021 über den Generalunternehmer EuroSpike GmbH, Röthenbach, Obsoleszenzen bei 22 Komponenten und 9 Unterbaugruppen aufgezeigt, die technische Änderungen am LFK LR und damit eine Umrüstung auf die Version LR2 bedingen. Die im Lenkflugkörper MELLS verwendete Technologie ist größtenteils älter als 20 Jahre. Die isolierte Beseitigung jeder einzelnen Obsoleszenz an dem LFK MELLS LR ist zwar technisch möglich, jedoch in technischer Hinsicht und aus Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten nicht sinnvoll. Zum einen würden sich durch die Obsoleszenzbeseitigung an dem LFK MELLS LR exklusive K-Stände ergeben. Darüber hinaus nähmen die Engpässe der Bauteilverfügbarkeit bei obsoleten Baugruppen auf Grund des Fortschreitens der Technologie kontinuierlich zu. Es würden unter Umständen Nachqualifikationen von Unterbaugruppen, Baugruppen oder des Gesamtsystems notwendig. Vor dem Hintergrund dieser technischen und wirtschaftlichen Unwägbarkeiten einer Obsoleszenzbeseitigung am Lenkflugkörper MELLS LR wird die Lieferung des am Markt verfügbaren Lenkflugkörpers LR2 favorisiert und damit die Substitution des Lenkflugkörpers MELLS LR.“

MELLS in der Bundeswehr

Nach Angaben der deutschen Streitkräfte wird MELLS hauptsächlich im deutschen Heer (Infanterie, Panzergrenadiertruppe und Pioniertruppe), dem Kommando Spezialkräfte sowie Kräften der deutschen Marine genutzt. Das System ist darüber hinaus auf den Schützenpanzern Marder sowie Puma (Konstruktionsstand VJTF 2023) integriert worden.

In der derzeitigen Version LR1 eignet sich MELLS zum Kampf gegen ein breites Zielspektrum am Boden in einem Entfernungsbereich von 200 bis 4.000 m. Zum Zielspektrum zählen der Bundeswehr zufolge „Kampfpanzer, gepanzerte Waffensysteme und gehärtete Stellungen, Ziele im Schutzstand (d.h. Ziele hinter Deckungen) und so genannte Technicals (allgemeine technische Ziele, bspw. umgebaute und provisorisch gehärtete landwirtschaftliche Maschinen und Fahr- zeuge oder gar Baumaschinen). Weiterhin wird MELLS gegen langsam fliegende und sich im Standschwebeflug befindliche Hubschrauber im bodennahen Luftraum auf mittlere Entfernung eingesetzt.“

Für MELLS haben der Hersteller Rafael Advanced Defense Systems (20 Prozent), Diehl Defence (40 Prozent) und Rheinmetall Electronics (40 Prozent) das Joint Venture Eurospike gegründet, das heute neben der Bundeswehr die Streitkräfte einiger weiterer europäischer Staaten beliefert. Ein großer Teil der Fertigung des Waffensystems erfolgt bei den deutschen Trägern des Joint Ventures mit Unterstützung von Zulieferern aus Europa.

Waldemar Geiger