StartMobilitätEigenbeweglichkeit von Mittleren Kräften – ein Rechenbeispiel

Eigenbeweglichkeit von Mittleren Kräften – ein Rechenbeispiel

Waldemar Geiger und Ole Henckel

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Mit der am ersten April 2023 beginnenden Umgliederung der Großverbände beabsichtigt das Heer, unter anderem die Voraussetzung für die Aufstellung einer neuen Kräftekategorie, den sogenannten Mittleren Kräften, zu schaffen. Zukünftig soll das Heer in drei Kräftekategorien (jeweils auf Brigadeebene) organisiert werden – die Leichten (luftbeweglich), die Mittleren (eigenbeweglich auf Rad) und die Schweren Kräfte (mechanisiert).

Die neu aufzustellenden Mittleren Kräfte, die im Kern aus der Jägertruppe gebildet werden, sollen ausschließlich radbeweglich sein, um die eigenständige Verlegefähigkeit sicherstellen zu können. Dies macht sie mobiler als kettenbasierte Kräfte, die für die strategische Verlegung auf Lkws oder das Schienennetz angewiesen sind. Eine zukünftige Ausstattung, unter anderem mit schweren Waffenträgern, Radschützenpanzern, Radhaubitzen, radbasierten Mörsersystemen sowie radbeweglichen Pionierfähigkeiten, soll die Mittleren Kräfte deutlich robuster und durchsetzungsfähiger machen, im Vergleich zu den Leichten Kräften.

Demzufolge sind strategische und operative Verlegefähigkeit, taktische Mobilität, Durchsetzungs- und Durchhaltefähigkeit sowie die Symmetrie der Plattformen strukturbestimmende Kernfaktoren für die radbasierten Mittleren Kräfte. Diese sind notwendig, um die Aufgaben erfüllen zu können, die das Heer der neuen Kräftekategorie zugedacht hat:

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  • Strategisch- und operativ eigenbeweglich im Landmarsch zu verlegen.
  • Raumverantwortung in Stabilisierungsoperationen, auch in hybriden Lagen, zu übernehmen.
  • Räume zu überwachen und rückwärtige Räume zu schützen.
  • Als Brigade Operationen verbundener Kräfte selbstständig führen zu können.
  • Als robuste Kräfte der ersten Stunde mit einem starken Aufklärungs- und Wirkverbund überdehnte Räume zeitlich begrenzt auch gegen überlegende Feindkräfte halten zu können.
  • Erkannte Lücken in der Verteidigung sowie Angriffserfolge durch den schnellen Stoß in die Tiefe zu nutzen und gewonnenen Raum zeitlich begrenzt zu verteidigen.
  • Als taktische und operative (oder strategische) Reserve eingesetzt zu werden.

Die tatsächliche Fähigkeit der Mittleren Kräfte, sich in hochintensiven Gefechten durchsetzen zu können, ist derzeit noch reine Zukunftsmusik – erst müssen hier Einsatzgrundsätze angepasst und entsprechende Fähigkeiten der Feuer- und Kampfunterstützung definiert und beschafft werden. Die Fähigkeit eines solchen Großverbandes, eigenbeweglich über große Distanzen verlegen und der Bundeswehr dadurch neue Handlungsspielräume ermöglichen zu können, lässt sich hingegen schon heute diskutieren.

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Mobilität auf Rad

Fahrzeuge mit Kettenantrieb sind aufgrund des hohen Materialverschleißes bei Verlegungen über längere Strecken auf fremde Unterstützung angewiesen. Für Truppenverlegungen wäre man entweder auf Bahn- oder Schwerlasttransport angewiesen, was die strategische Mobilität deutlich einschränkt. Dies gilt nicht für Gefechtsfahrzeuge mit Radantrieb, die somit eine hohe strategische Mobilität bieten. Radfahrzeuge spielen ihre Überlegenheit auf Straßen und befestigten Wegen aus.

Mittels Radmobilität befähigte Kräftekategorien tragen somit zu einer Kaltstartfähigkeit der Streitkräfte bei und erlauben eine schnellere Truppenprojektion in einen weit entfernten Einsatzraum. Konkret lässt sich dies an einem Rechenbeispiel darstellen, welchen die Streitkräfte selbst im Rahmen einer Ausstellung am Tag der Bundeswehr 2022 öffentlich gemacht haben.

Dem Beispiel zufolge sind selbstverlegefähige Kräfte auf Rad – wenn auch mittels Inkaufnahme von einer gewissen Belastung für das Material – in der Lage, ein rund 600 Kilometer entferntes Ziel im Straßenmarsch in 10,5 Stunden zu erreichen. In der gleichen Zeit kämen Kettenfahrzeuge nur 195 Kilometer weit, was rund einem Drittel der Radstrecke entsprechen würde. Für das Zurücklegen der kompletten 600 Kilometer auf Kette wäre mehr als 30 Stunden notwendig, wobei unklar ist, ob Schlafzeiten der Fahrer in dieser Rechnung berücksichtig sind. Unabhängig von der Zeit, bringt diese Art der Verlegung eine noch höhere Beanspruchung für Material und Personal mit sich. Selbst mit Hilfe einer Verladung der Kettenfahrzeuge auf Schwerlasttransporter wären rund 20 Stunden notwendig, da Auf- und Abladen und die Sicherung der Fahrzeuge für den Straßentransport sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Zudem wäre die Truppe auf externe Hilfe (Transportfahrzeuge) angewiesen, der in entsprechender Art und Anzahl vorzuhalten wäre. Für den Transport der Fahrzeuge auf der Schiene wird gar keine Zeitangabe gemacht, da dies die unflexibelste, unberechenbarste und zeitaufwendigste Transportart darstellt. So müssen die Kettenfahrzeuge erst zum Verladebahnhof gebracht werden, dies kann selbstständig oder per Schwerlasttransport erfolgen. Dann müssen die Panzer verladen werden, was wiederum sehr zeitaufwendig ist. Daraufhin würde der Bahntransport im einsatznahen Raum enden und die Fahrzeuge müssten dann entsprechend der jeweiligen Entfernung zum tatsächlichen Einsatzraum wiederum selbständig oder per Schwerlasttransporter in das Operationsgebiet verlegen. Das ganze unter der Prämisse, dass der Transport auf Schiene überhaupt möglich ist, was wiederum von der Verfügbarkeit entsprechender Waggons, der bruchfreien Befahrbarkeit der Strecke (Schäden, Spurbreiten) sowie Auslastung des Schienennetzes abhängt.

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Rechenbeispiel für Verlegezeiten von Mittleren Kräften. (Foto: Bundeswehr)

Für die Radmobilität sprechen überdies logistische Überlegungen, da Kettenantriebe eine erhöhte Materialbeanspruchung (Straßenbelag und Kette) aufweisen. Typischerweise müssen die Ketten nach wenigen tausend Kilometern Fahrstrecke ausgetauscht werden. Daneben haben Kettenfahrzeuge eine deutlich höhere Geräuschsignatur und Schwingungsbelastung für die Besatzung.

Als grobe Faustregel der Radmobilität gilt, dass mit zunehmender Anzahl der Achsen auch die Geländegängigkeit und die zulässige Nutz-/Traglast zunehmen. Abseits von Wegen kommen aber selbst 8×8-Fahrzeuge mit modernsten Antriebssystemen nicht an die Geländegängigkeit von Kettenfahrzeugen heran.

Die hohen, auf allen Rädern ungleichen Radlasten erfordern im Gelände einen technisch aufwändigen Radlastausgleich, um die Traktion sicherzustellen. Wegen der Bauform der Achsen liegt der Boden des Nutzraums hoch. Daraus ergeben sich Einschränkungen in der Innenraumhöhe, da die Gesamthöhe begrenzt ist. Der höhere Schwerpunkt kann neben einer geringeren Geländegängigkeit auch zu Einschränkungen beim Einsatz von Waffensystemen führen. Dies kann zur Folge haben, dass die Fahrzeuge ab einer gewissen Schräglage nicht in bestimmte Richtungen wirken können.

Andererseits ist ein weiterer Vorteil von Rad- gegenüber Kettenfahrzeugen, insbesondere mit einem 8×8 Antrieb, die eingebaute Redundanz. Selbst, wenn eines der Räder nicht mehr für den Antrieb zur Verfügung steht, kann der restliche Antriebsstrang genutzt werden.

Geplante Umgliederung des Heeres

Betroffen von den Unterstellungswechseln sind die folgenden Verbände:

  • Die Gebirgsjägerbrigade 23 wechselt von der 10. Panzerdivision zur Division Schnelle Kräfte.
  • Das Panzerbataillon 363 wechselt von der Panzergrenadierbrigade 37 in die Panzerbrigade 12.
  • Das Panzergrenadierbataillon 212 wechselt von der Panzerbrigade 21 in die Panzergrenadierbrigade 37.
  • Das Jägerbataillon 91 wechselt von der Panzerlehrbrigade 9 zur Panzerbrigade 21
  • Das Jägerbataillon 413 wechselt von der Panzergrenadierbrigade 41 zur Panzerbrigade 21

Mit diesen Unterstellungswechseln werden die Schweren Kampftruppenbataillone auf die zukünftigen Schweren Brigaden, sprich die Panzerbrigade 12, die Panzerlehrbrigade 9 und die Panzergrenadierbrigade 37, aufgeteilt. Zudem werden die Jägerkräfte der 1. Panzerdivision in der Panzerbrigade 21 gebündelt, die dann über keine Kampf- und Schützenpanzer auf Kette mehr verfügen wird. Sie soll die erste Brigade der Mittleren Kräfte bilden.

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Das Zielbild Heer (Grafik: Heer)

Zukünftig wird die 1. Panzerdivision über eine Schwere und zwei Mittlere deutsche Brigaden verfügen, während der 10. Panzerdivision zwei Schwere und eine Mittlere zugeordnet werden. Darüber hinaus werden alle zukünftigen Leichten Kräfte, sprich die Fallschirmjägertruppe, das KSK sowie die Gebirgsjägerbrigade 23, in der Division Schnelle Kräfte zusammengefasst.

Das Ziel der Umstrukturierung des Heeres, zu der unter anderem auch die Wiedereinführung von Divisionstruppen gehört, sowie die Gliederung in Leichte luftbewegliche, Mittlere radbewegliche und Schwere kettengestützte Kräfte soll laut Bundeswehr dazu dienen, „das Heer kriegstauglich zu machen und dazu zu befähigen, bestmöglich die Aufgaben sowohl in der Landes- und Bündnisverteidigung als auch im internationalen Krisen- und Konfliktmanagement wahrnehmen zu können“.

Waldemar Geiger und Ole Henckel