In den letzten Jahren hat sich in vielen Streitkräften die Erkenntnis durchgesetzt, der Kurzwaffe deutlich mehr Beachtung zu schenken. Als Zweit- oder Backup-Waffe gehört die Pistole insbesondere in Einsätzen zu den ständigen Begleitern vieler Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und anderer Streitkräfte.
Grundvoraussetzung für den erfolgreichen Pistoleneinsatz ist eine gründliche Ausbildung. Die Motorik des Einsatzes der Waffe – beginnend mit dem Ziehen der Pistole aus dem Holster, über das korrekte in den Anschlag bringen sowie das schnelle Erfassen des Ziels, bis hin zum richtigen Abkrümm- und wenn nötig Nachladevorgang – muss intensiv geübt werden. Jeder Handgriff muss in Fleisch und Blut übergehen. Erfahrene Ausbilder wissen, dass die Pistole trotz ihrer weniger Baugruppen und Teile im Hinblick auf das Schießen als die mit am schwersten zu erlernende Handwaffe im Repertoire von Streitkräften überhaupt gilt. Insbesondere das schnelle und genaue Zielen stellt viele Soldatinnen und Soldaten vor große Herausforderung. Dies wird durch den Umstand verstärkt, dass sie das Zielen mit Kimme und Korn nicht mehr gewohnt sind, seitdem praktisch alle anderen Handwaffen mit optischen Visieren ausgestattet sind.
Im Streitkräfte- und Behördensektor gehören sogenannte Rotpunkt- oder Reflexvisiere spätestens seit Mitte der 1990er Jahre zum Standard auf Langwaffen. Demgegenüber sind sie auf dienstlichen Kurzwaffen zumindest querschnittlich noch eher selten zu finden. Dabei können sie die Schießergebnisse verbessern. Der größte taktische Nutzen von Rotpunktoptiken besteht darin, dass sie eine deutlich bessere Lagewahrnehmung („situational awareness“) ermöglichen, da die Schützin oder der Schütze auf das Ziel und nicht auf die Visierung fokussiert. Weiterhin bleiben dabei beide Augen offen, wodurch sich ein größeres Sichtfeld ergibt. Das praktizieren geübte Pistolenschützen freilich auch beim taktischen Pistoleneinsatz mit Kimme und Korn – aber mit dem Rotpunkt gestaltet sich das Ganze intuitiver. Gerade im behördlichen Bereich bieten Rotpunkt- und Reflexvisiere große Vorteile – vor allem wenn es um die Entscheidung geht, ob man schießen oder nicht schießen sollte. Erfahrene Schützen schätzen zudem den Aspekt der Schnelligkeit. Eine korrekte Justierung und die richtige Handhabung vorausgesetzt, lässt sich der Rotpunkt schneller erfassen und ein Ziel bekämpfen, als dies mit einer Eisenvisierung der Fall ist. Dies verstärkt sich noch mit zunehmendem Alter, wenn die Sehkraft nachlässt. Weiterhin lässt sich eine Kurzwaffe mit Reflexvisier auf größere Entfernungen einsetzen als eine solche mit Eisenvisierung. Zudem gestatten Rotpunktvisiere, die Kurzwaffe in Verbindung mit Nachtsichtgeräten zu nutzen.
Erfahrene, an die starre Visierung gewohnte Kurzwaffenschützen – zu denen sich der Verfasser zählt – stehen Reflexvisieren auf Kurzwaffen mitunter skeptisch gegenüber. Oftmals benötigen sie etwas Zeit, bis sie den eingespiegelten roten Punkt finden und auf das Ziel bringen. Doch das schnelle Herstellen des Visierbildes ist der Dreh- und Angelpunkt beim Schießen von Kurzwaffen mit Rotpunktvisieren.
Die Lernkurve in dem Kurs war für den Verfasser jedenfalls hoch. Unter erfahrener Anleitung können auch eingefleischte Kimme- und Korn-Schützen sich an die neuen Abläufe gewöhnen und diese innerhalb kurzer Zeit ins Muskelgedächtnis überführen.
Beherrscht man den Bewegungsablauf vom Greifen der Pistole und Ziehen aus dem Holster über das Zusammenführen mit der Unterstützungshand vor dem Oberkörper bis hin zum beidhändigen Stoßen der Kurzwaffe Richtung Ziel, dann bewegt sich der Rotpunkt von oben in das Ziel. Schon im Laufe des Kurses gewöhnte man sich an diesen Ablauf und erzielte schnelle Treffer. Den Abschluss des Trainings bildeten Zeitserien aus dem Holster.
Als Holster kamen bei dem Kurs Modelle aus der neuen Blackhawk T-Serie zum Einsatz. Blackhawk-Urgestein Chuck Buis, aus den USA dazugeschaltet, stellte das modulare Holstersystem nochmals vor. Das neue, mit dem Daumen der Schusshand beim Ziehen entriegelte Sicherungssystem ist intuitiv bedienbar und ermöglicht ein schnelles Ziehen der Waffe.
Ein Fazit des Tages lautete, dass Rotpunktvisierungen auf dienstlichen Kurzwaffen weniger eine Frage des Ob, sondern eher des Wann sein dürften. Die technologischen Weichen dafür sind gelegt. Allerdings muss der Schütze auch weiterhin nicht nur die Grundfertigkeiten mit der Kurzwaffe beherrschen – korrekten Griff, Abzugsmanagement, Nachhalten, Trigger Reset etc. – sondern auch die Eisenvisierung – alleine schon für den Fall, dass die Optik ausfallen sollte. Eine weitere Grundvoraussetzung ist, dass auch entsprechende „optical ready-Kurzwaffen“ – also Pistolen, die in der Lage sind optische Visiere aufzunehmen – eingeführt werden.
Nicht nur das Angebot an „optical ready-Kurzwaffen“, sondern auch das an Rotpunktvisieren hat sich in den letzten Jahren bereits deutlich ausgeweitet. Neben allgemeinen Merkmalen wie Robustheit oder Wasserfestigkeit gelten die optische Qualität, ein gutes Absehen oder die Bedienerfreundlichkeit als Entscheidungskriterien. Hierzu zählen ein ohne Demontage des Gerätes erreichbares Batteriefach oder eine gute Klickverstellung. Für die Verwendung mit Nachtsichtgeräten bieten sich Visiere mit größeren Einblickfenstern oder Tubus-Durchmessern an.