Die U.S. Army hat dem Kipprotorflugzeug Bell V-280 Valor die Bezeichnung MV-75 verliehen. Der bisher offiziell nur als Future Long-Range Assault Aircraft (FLRAA) bezeichnete Typ soll künftig den Mehrzweckhubschrauber Sikorsky UH-60 Black Hawk ersetzen. Als erster Großverband soll die 101st Airborne (Air Assault) Division „Screaming Eagles“ in Fort Campbell, Kentucky die MV-75 erhalten.
Die erste Lieferung wird bislang für 2030 erwartet. Jedoch hofft die Army, den Prozess durch enge Zusammenarbeit mit den Entwicklern um zwei Jahre zu beschleunigen. Das Design des vom Valor-Demonstrator abgeleiteten Serienmodells soll bis Ende des Jahres finalisiert werden und der erste von sechs Prototypen 2026 fliegen. Die Einsatzerprobung soll frühestens 2027 beginnen.
MV-75 tanzt aus der Reihe
Die Bezeichnung MV-75 folgt dem bereits für die MV-22 Osprey verwendeten Designator für „Multi-Mission, Vertical Take-off and Landing“. Die Nummer 75 ist wie häufig bei jüngeren Projekten außerhalb der bisherigen Reihenfolge und bezieht sich auf das Geburtsjahr 1775 der U.S. Army. So soll auch die Bezeichnung B-21 für den Nachfolger des Stealth-Bombers B-2 ein „Flugzeug für das 21. Jahrhundert“ bewerben, während das künftige Kampfflugzeug F-47 offenbar das Wohlgefallen von Donald Trump als 47. Präsident der USA erwecken soll.
Ein offizieller Name für den Typ wurde bislang nicht genannt. Traditionell benennt die U.S. Army ihre Hubschrauber nach Indianerstämmen, wie den UH-1 Iroquois, CH-47 Chinook, OH-58 Kiowa und AH-64 Apache. Der Black Hawk bezieht sich auf den englischen Namen für einen Kriegshäuptling der Sauk aus dem frühen 19. Jahrhundert, kam mit seiner Marineversion Sea Hawk aber auch der Neigung von U.S. Navy und Marines entgegen, ihre Drehflügler wie beim CH-53 Stallion (Hengst) und der Osprey (Fischadler) nach Tieren zu benennnen.
Future Vertical Lift-Programm soll gegenwärtige Hubschrauber ablösen
Die MV-75 geht voraussichtlich als erster Teil des amerikanischen Future Vertical Lift (FVL)-Programms in Dienst, mit dem die gegenwärtige Hubschraubergeneration abgelöst werden soll. 2022 war angesichts der rasanten Entwicklung bei Drohnen die bemannte Aufklärungskomponente gestrichen worden, die den OH-58 ersetzen sollte. Daneben gibt es noch FVL-Programmanteile für leichtere und schwerere Typen.
So sehen Bell und Boeing die schon die V-22 gemeinsam entwickelt haben, die Entwicklung eines viermotorigen Tandemflügel-Kipprotorflugzeugs auf Grundlage der V-22 bis etwa 2060 vor. Dieses soll Zuladung, Geschwindigkeit und Reichweite der C-130 Hercules mit Senkrechtstartfähigkeit verbinden. Bei der MV-75 setzt Bell auf ein modifiziertes Kipprotorsystem, bei dem für den Übergang zwischen Vertikal- und Horizontalflug statt der ganzen Triebwerksgondeln nur noch die Proprotor-Achsen geschwenkt werden.
101st Airborne führend bei neuer Ausstattung
Innerhalb der NATO existiert parallel das Projekt Next-Generation Rotorcraft Capability (NGRC) zur Ablösung der gegenwärtigen mittleren Hubschrauber – Black Hawk, NH90, Super Puma und der AW101 von Leonardo – ab etwa 2035. Insgesamt soll die nächste Drehflüglergeneration höhere Geschwindigkeiten und Reichweiten aufweisen als konventionelle Hubschraubertypen. Der Valor-Demonstrator erreicht etwa gegenüber dem Black Hawk 280 statt 160 Knoten (519 statt 296 km/h) und fliegt im Einsatz bis zu 1.480 statt 590 Kilometer weit.
Die 101st Airborne Division ist aufgrund ihrer Spezialisierung auf die hubschraubergestützte „Air Assault“-Mission der logische Pilotverband bei der Einführung des MV-75. Die „Screaming Eagles“ mit dem markanten Adlerkopf im Divisionswappen erhielten zuletzt auch andere Ausstattung als erste Nutzer. So das Modular Handgun System M17 und das System Next Generation Squad Weapon mit dem Sturmgewehr XM7 und dem leichte Maschinengewehr XM250 im neuen Kaliber 6,8 mm x 51, alle produziert von SIG.
Stefan Axel Boes