StartMobilitätSachstand und Perspektiven für das Geschützte Transportkraftfahrzeug GTK Boxer

Sachstand und Perspektiven für das Geschützte Transportkraftfahrzeug GTK Boxer

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Mit der Bestellung von über 500 Boxern durch das britische Verteidigungsministerium im Dezember 2019 ist das Gepanzerte Transportkraftfahrzeug (GTK) Boxer auf dem Weg zu einem der erfolgreichsten Fahrzeuge der letzten 20 Jahre in der 8×8 (Boxer) Klasse.

Auf der International Armoured Vehicles Conference (IAV) in London haben Vertreter der europäischen Beschaffungsbehörde OCCAR EA und des Herstellers ARTEC Sachstand und Perspektiven des Vorhabens dargestellt. Die NSPA hat erläutert, wie die Boxer User-Group den Betrieb der Fahrzeuge unterstützt.

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Der Boxer war eins von nur drei ausgestellten Fahrzeugen während der IAV Conference. (Foto: Heiming)

Produktion

Hersteller des Boxer ist die ARTEC, ein Joint Venture von Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann, die für die bisher drei Nutzerländer Deutschland, Niederlande und Litauen vor kurzem das 539. Fahrzeug ausgeliefert hat. Die Produktion der 91 Fahrzeuge für Litauen wird zum Jahreswechsel 2020/2021 abgeschlossen. Vom 2. Los Boxer (131 Fahrzeuge) für die Bundeswehr sind rund 60 an die Nutzer übergeben. Das letzte Fahrzeug des 2. Loses wird zur Jahresmitte 2021 erwartet.

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Auf den Produktionsbändern nimmt der Australienauftrag unter der Ägide von Rheinmetall immer mehr Raum ein. Nach Auslieferung des ersten Boxers im September 2019 werden insgesamt 25 vollständig in Deutschland hergestellt und als Bausatz zur Endmontage nach Australien transportiert. Ab 2021 werden wesentliche Anteile der Boxer von Partnerfirmen in Australien produziert.

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Für die UK-Boxer wird derzeit die zu beteiligende Industrie ausgewählt. Der erste Vertrag ist kürzlich mit WFEL abgeschlossen worden. Demnächst beginnt in Deutschland die Produktion der fünf Nachweisfahrzeuge, die ab Mitte 2022 vom zukünftigen Nutzer geprüft und für die Serienproduktion freigegeben werden sollen. Etwa 60 Prozent der Produktion findet an den Standorten Telford (Rheinmetall BAE Systems Land) und Stockport (KMW-Tochter WFEL) statt. Anfang 2023 soll das erste Serienfahrzeug übergeben werden. Die 528 bestellten Boxer sollen bis 2031 der Truppe zulaufen.

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Britische Soldaten testen den Boxer (Foto: Rheinmetall)

Zu den derzeit bekannten Interessenten für weitere Boxer gehören neben einigen osteuropäischen Staaten auch Deutschland und die Niederlande. Die Bundeswehr hat einen noch nicht bezifferten und nicht näher beschriebenen Bedarf an Fahrzeugen u.a. für den Infanteriekampf und die Nahbereichs-Luftverteidigung, der möglicherweise im Zeitraum 2023 bis 2027 gedeckt werden soll. Die Niederlande haben erkennen lassen, dass die bisherige Ausstattung mit 200 Boxern weder quantitativ noch qualitativ ausreicht und in absehbarer Zeit eine Nachbestellung erfolgen könnte. Großbritannien hatte in der ursprünglichen Bedarfsforderung einen Umfang von über 1.000 Boxern stehen. Wenn sich die Beschaffungswünsche in etwa wie dargestellt realisieren lassen, könnten die Produktionskapazitäten für dieses Jahrzehnt ausgelastet werden und der Produktionsumfang könnte insgesamt die 2.000 übersteigen.

Boxer Konzept

Alleinstellungsmerkmal des Boxer ist die Aufteilung in Fahrmodul und austauschbare Missionsmodule. Das ist eine Grundlage der Flexibilität, die sich in der zunehmenden Anzahl von verschiedenen Missionsmodulen manifestiert.

Fahrmodul

Die Fahrmodule, die Teil der ersten Boxer waren, wurden im Zuge des Afghanistan-Einsatzes u.a. mit stärkerer Panzerung und Minenschutz versehen. Die Fahrmodule stellen die gesamte Fahrzeugtechnik für den Boxer bereit mit Antrieb und Fahrwerk sowie mechanischen und elektrischen Schnittstellen für die Aufnahme und den Betrieb der Missionsmodule.

Mit den für alle Boxer gleichen Fahrmodulen besteht die Möglichkeit, eine gleichmäßige Auslastung der Flotte zu erreichen, indem Fahrmodule von Boxern mit hoher Laufleistung gegen Fahrmodule mit geringer Laufleistung getauscht werden. Auf diese Weise könnte auch vor einem Einsatz/Übung sichergestellt werden, dass für die eingesetzten Fahrzeuge in nächster Zeit keine planbare Wartung fällig wird. Bei längerdauernder Instandsetzung können die einsatzfähigen Fahrmodule für die augenblicklich am dringendsten benötigten Fähigkeiten (Missionsmodule) genutzt werden.

Der Boxer wurde in der Ursprungsversion (A0) mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 36,5 Tonnen und einem 530 kW MTU-Dieselmotor (MTU 8V 199 TE 20) ausgeliefert. Aufgrund der veränderten Bedrohung und mit ersten Erkenntnissen aus dem Betrieb Beurteilung wurde der Minenschutz unter der Wanne und in den Radkästen verstärkt. Ein neues Fahrersichtsystem und die teilweise Umverstauung der Ausrüstung (z.B. Abschleppseil) verbessern die Arbeitsumgebung des Militärkraftfahrers. Veränderungen von Kühlluft- und Abgasführung tragen zur Reduzierung der Signatur bei. Mit diesen Veränderungen entwickelte sich die Versionsbezeichnung bis zu A2. Diese Konfiguration ist heute Standard in der Bundeswehr. Alle Fahrzeuge werden auf diesen Stand nachgerüstet.

Für Australien wurde das zulässige Gesamtgewicht auf 38,5 Tonnen erhöht. Dies erforderte Verstärkungen an den Achsen und in der Konsequenz neue Räder und tragfähigere Reifen. Diese Version des Fahrmoduls könnte A2+ bezeichnet werden.

Die UK-Boxer werden als erste mit einem 600 kW Dieselmotor (MTU 8V 199 TE21, derselbe wie im Ajax Scout) ausgestattet und für ein Gesamtgewicht von 38,5 Tonnen zugelassen. Intern wird das Fahrmodul unter der Version A3 geführt. Äußerliches Kennzeichen ist u.a. die oben genannten neue Felge-Reifen-Kombination. Die spezifische Leistung steigt auf 15,6 kW/tonne (A2: 14,8; A2+: 13,8).

Missionsmodule

Die Missionsmodule stellen geschütztes Kabinenvolumen von 14 m³ bis 17,5 m³ für Besatzungen und Systeme zur Verfügung, die nach den militärischen Anforderungen missionsspezifisch ausgerüstet sind. Je nach Zählung sind bisher rund zwanzig verschiedene Varianten im Einsatz, gebaut oder in der Produktion.

eingeführte Missionsmodule (Auswahl)
• Personentransport
• Kommando/Führung
• Verwundetentransport
• Infanteriekampf
• Fahrschule

Die äußeren Abmessungen der Missionsmodule liegen fest, lediglich das Kabinendach kann in der Höhe variieren (wie z.B. beim Verwundetentransportfahrzeug der Niederländer). Eine Öffnung vorn ermöglicht den Durchstieg zum Fahrer. Luken, Ausstieg, Sitzplätze und Geräteausstattung sind missionsspezifisch. Die OCCAR hat auf ein modulares Einbausystem verwiesen, in dem Elemente (vorwiegend COTS/MOTS-Produkte) in den Kategorien Schutz, Sensoren, Effektoren, C4I sowie Konfigurationsbeispiele für Innnenraum und den Außenbereich zur Verfügung stehen, mit denen schnell missionsspezifische Module generiert werden können.

Die Boxer für UK werden eine Besonderheit aufweisen. Für die Missionsmodule (außer Ambulanz) wird es Missionskits geben, mit denen eine noch detailliertere Anpassung an die jeweilige Aufgabe möglich ist.

Der Erfolg des Konzepts mit Missionsmodulen zeigt sich auch darin, dass von der Nutzerseite immer wieder neue Ideen/Forderungen für die Realisierung weiterer Fähigkeiten auf Basis des Boxer vorgestellt werden. Hierzu gehören u.a.

  • Aufklärung und Beobachtung mit stabilisierter Plattform (Joint Fire Support),
  • qualifizierte Fliegerabwehr, u.a. gegen UAV und Hubschrauber (Short Range Air Defence) und
  • Infanteriekampf mit bemanntem Turm und Mittelkaliberkanone (Heavy weapon platform).

Die ARTEC-Konsorten präsentieren den militärischen Kunden Vorschläge für Missionsmodule, zum Teil als funktionsfähige Demonstratoren, die in Auswertung militärischer Forderungen konzipiert worden sind.

  • ferngesteuerte Haubitze 155 mm (remote controlled howitzer, RCH 155). Eine Weiterentwicklung könnte ab 2027 serienreif sein.
  • Raketenwerfer zur Ergänzung/Ablösung MARS
  • Mörserträger
  • Munitionstransporter
  • Nahbereichsluftverteidigung mit Kanone
  • Laserwaffensystem zur Abwehr von Drohnen und Artilleriegeschossen
  • Brückenlegefahrzeug mit LEGUAN- oder GECKO-Brücke

Mit dem einzigen bisher außerhalb der ARTEC entwickelten Missionsmodul hat die FFG Fahrzeugbaugesellschaft ein Fahrzeug für Bergung und Feldinstandsetzung vorgestellt.

Kooperative Unterstützung im Betrieb

Die drei Boxer-Nationen haben bei der NATO Support and Procurement Agency (NSPA) eine Boxer Support Partnership eingerichtet. Eine Hauptaufgabe ist das Material Management. Entsprechend dem kumulierten Bedarf beschafft die NSPA die Ersatzteile zentral und stellt sie den Nationen zur Verfügung. Das gemeinsame Management reduziert die Anzahl vorzuhaltender Ersatzteile (und damit den Kapitaleinsatz) und senkt die Beschaffungskosten durch größeren Bestellmengen. Bei Bedarf können die Nationen dringend benötigte Ersatzteile „ausleihen“. Das technische Team koordiniert das Konfigurationsmanagement und stellt logistische und technische Daten zur Verfügung.

Perspektiven

Nach langer Anlaufzeit hat sich der Boxer mit seinem modularen Konzept zu einer Erfolgsgeschichte gemausert. Mit vier Nutzerländern und weiteren Aspiranten in Europa kann daraus ein europäisches Vorzeigeprojekt werden, von dem auch außereuropäische Kunden wie Australien profitieren. Die Flexibilität des Konzepts eröffnet den Nutzern neue Möglichkeiten für die Realisierung von Fähigkeiten.

Mit 38,5 Tonnen Tragfähigkeit ist das Fahrmodul noch nicht ausgereizt. Damit ist genügend Aufwuchspotential für zukünftige Anforderungen vorhanden.

Gerhard Heiming