StartAusrüstung & BekleidungStatus Update – Individuelle Nachtsehfähigkeit in der Bundeswehr

Status Update – Individuelle Nachtsehfähigkeit in der Bundeswehr

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Die Befähigung zur Durchführung von militärischen Operationen zu allen Tageszeiten und unter jeglichen Sichtbedingungen ist eine Kernforderung an moderne und schlagkräftige Streitkräfte. Restlichtverstärkung und Thermografie (Wärmebild) sind die beiden Schlüsseltechnologien, welche entscheidend zur Erlangung der Nachtsicht- und Nachtkampffähigkeit beitragen.

Nachtsicht- oder auch Nachtsehfähigkeit bedeutet, dass der Soldat seine Umgebung im Dunkeln optisch wahrnehmen kann. Nachtkampffähigkeit geht eine Stufe weiter und verlangt vom Soldaten nicht nur im Dunkeln zu sehen, sondern auch zielen und seine Waffe beziehungsweise sein Waffensystem zum Einsatz bringen zu können.

Grundlage für die Beschaffungsmaßnahmen ist das Konzept „Plattformungebundene Nachtsehfähigkeit der Bundeswehr“ von 2016. Dieses regelt die jeweiligen Systemanforderungen vor allem hinsichtlich der Vorgaben zum Reichweiten- und Leistungsspektrum und bezüglich der jeweiligen in Befähigungsstufen eingeteilten Kräfte der Bundeswehr. Bei den Befähigungsstufen wird in vier Stufen unterschieden. Mit Stufe 4 sind die Spezialkräfte der Bundeswehr ganz oben angesiedelt, mit Stufe 3 folgen die Spezialisierten Kräfte, Stufe 2 sind die Kräfte mit einem abgesessenen Auftrag als Hauptaufgabe sowie die Unterstützungskräfte der Spezial- und spezialisierten Kräfte sowie mit Stufe 1 alle anderen Kräfte für Landoperationen.

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Nachtseh- bzw. Nachtsichtbrillen

Das Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) hat im kürzlich veröffentlichten 12. Rüstungsbericht einen Sachstand zur aktuellen Lage im Bereich der individuellen Nachtsehfähigkeit gewährt. Demnach hat sich der Gesamtbestand der Bundeswehr-Nachtsichtbrillen weiter erhöht. Von den in der aktuellen Legislaturperiode 9.800 unter Vertrag gegangenen Brillen wurden mittlerweile 9.200 Exemplare ausgeliefert. Damit hat sich der Bundeswehrbestand an binokularen Nachtsehbrillen fast verdoppelt.

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Zu diesen Brillen zählen knapp 6.500 „Bildverstärkerbrillen, leicht“, dabei handelt es sich um die binokulare XACT nv33 des Herstellers Elbit System Deutschland. Weiterhin wurde eine hohe dreistellige Anzahl der neuen „Nachtsehbrille Stereo Spezialkräfte“ bestellt und ausgeliefert. Bei dieser Brille handelt es sich um eine auf die Anforderung der Spezialkräfte zugeschnittene Version der NYX von Theon Sensors. Diese Brille wurde in einer veränderten Version, unter anderem mit anderen Restlichtverstärkerröhren, als neue Kraftfahrerbrille beschafft.

Darüber hinaus wurde jüngst eine über die internationale Rüstungsagentur OCCAR abgewickelte Beschaffung eines ersten Loses „Bildverstärkerbrille, querschnittlich“ eingeleitet. Die Bundeswehr beabsichtigt hier in Kooperation mit dem NATO-Partner Belgien in einem ersten Schritt 5.000 dieser Brillen zu beschaffen, um damit die für die Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) 2023 vorgesehenen Kräfte auszurüsten. Gemäß BMVg ist eine Auslieferung für 2022 vorgesehen.

Dem Vernehmen nach hat diese Ausschreibung für großes Interesse bei der Industrie gesorgt, da mit weiteren Beschaffungslosen gerechnet werden kann. Alleine die Bundeswehr hat einen gebilligten Gesamtbedarf von rund 40.000 „Bildverstärkerbrillen, querschnittlich“. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass sich weitere NATO-Partner dem OCCAR-Programm anschließen könnten, wie es beispielsweise beim GTK Boxer der Fall war. Gut informierten Kreisen nach, haben sich die beiden oben genannten Hersteller ebenfalls mit angepassten Versionen der NYX bzw. XACT nv33 an der Ausschreibung beteiligt. Dem Vernehmen nach wurden die Testgeräte bereits abgegeben und der Aufruft für die Abgabe der finalen Angebote (Best and Final Offer – BAFO) wird seitens der Industrie für das erste Quartal 2021 erwartet.

Ein Vertragsschluss wäre somit Mitte 2021 realistisch. Davor müsste jedoch noch eine Billigung der 25-Mio-Vorlage in den einschlägigen Ausschüssen des Bundestages erfolgen. Dies geht aus einer Vortragsfolie von Vizeadmiral Carsten Stawitzki, Abteilungsleiter Ausrüstung im BMVg, hervor, die er während des vom Förderkreis Deutsches Heer veranstalteten Symposiums „Aktuelle Herausforderungen und Perspektiven des wehrtechnischen Mittelstands als Motor für Fähigkeitserhalt und Technologieinnovation“ Ende September 2020 zeigte.

Vorsatzgeräte

Neben den Brillen wurde die Industrie mit der Lieferung von 2.400 Beobachtungs- bzw. Vorsatzgeräten unterschiedlicher Bauart beauftragt. Die für die Nachweisführung notwendigen Vorseriengeräte wurden demnach bereits geliefert. Das BMVg geht davon aus, dass die Auslieferung der Seriengeräte in den Jahren 2021/2022 erfolgen wird, sobald die Serienfreigabe erteilt wurde.

Das BMVg plant weiterhin, ab 2024 bis zu 21.000 weitere plattformungebundene Beobachtungs- und Vorsatzgeräte zu beschaffen. Die dafür notwendigen Beschaffungsverträge bedürfen den Angaben des Ministeriums nach einer parlamentarischen Billigung.

Fazit

Das Ministerium stellt in dem aktuellen Rüstungsbericht klar, dass die bisher realisierten Beschaffungsvorhaben „erst eine Anfangsbefähigung“ darstellen. „Der konzeptionelle Gesamtbedarf der Streitkräfte an plattformungebundenen wie auch plattformgebundenen Nachtsichtbrillen für eine querschnittliche Nachtsehbefähigung liegt bei ca. 120.000 Stück“, so das BMVg. Aus Sicht des Bendlerblocks „bleibt die Bereitstellung der hierfür erforderlichen Haushaltsmittel eine Herausforderung“.

Waldemar Geiger