Das zur Axel Springer Gruppe gehörende Online-Nachrichtenportal „Business Insider“ veröffentlichte Anfang der Woche Einzelheiten aus einem VS-NfD eingestuften 20-seitigen-Papier des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) in Koblenz.
Demnach war der günstigere Preis das ausschlaggebende Kriterium für die Auswahl des MK556 von Haenel. „Wesentliches Kriterium ist der günstigere Preis, bei technisch vergleichbarer Leistung.“ Wird wörtlich aus dem Papier zitiert. Dem Schreiben nach lagen die finalen Angebote (Best and Final Offer – BAFO) bei 152 Millionen Euro (C.G. Haenel) bzw. 179 Millionen Euro (Heckler & Koch). Das Gesamtrisiko des Haenel Angebotes wird seitens des BAAINBw als „mittel“ eigestuft. Das Haenel Angebot sei zwar durch finanzielle Bürgschaften abgesichert, die Gewehre müssen jedoch erst noch die Einsatzprüfung bestehen und in Serie produziert werden.
Vereinbart wurde weiterhin eine Vertragsstrafe in Höhe von zwei Prozent des Nettopreises auf einzelne ausstehende Leistungen. Die Gesamtsumme der Vertragsstrafen wurde auf fünf Prozent des Netto-gesamtvertragswertes gedeckelt. „Vereinbart wird eine Vertragsstrafe in Höhe von 2% des Nettopreises der ausstehenden Leistung, soweit in den Bestellungen keine andere Regelung getroffen wurde. Die Gesamtsumme der zu zahlenden Vertragsstrafen wegen schuldhafter Überschreitung der Liefertermine ist auf 5 v.H. der (Netto-) Gesamtvergütung des dieses Vertrages (…) beschränkt. Der Auftragnehmer ist verpflichtet, eine Vertragsstrafe zu zahlen, wenn die aufgrund von Bestellungen zu erbringenden Leistungen einen Rechts- oder Sachmangel aufweisen und dieser trotz erstmaliger Beseitigung durch den Auftragnehmer wiederholt auftritt.“, so wörtlich im BAAINBw-Schreiben.
Beschaffungsplanung System Sturmgewehr Bundeswehr
Gemäß der derzeitigen Zeitplanung des Bundesministeriums für Verteidigung (unter Vorbehalt möglicher Verzögerung aufgrund juristischer Schritte von Heckler & Koch) ist die parlamentarische Befassung dieses Beschaffungsvorhabens für Ende 2020 geplant. Erst danach kann ein Liefervertag mit Haenel geschlossen werden. Die Durchführung der integrierten Nachweisführung (gemeint vermutlich der Anteil Einsatzerprobung) für die jeweiligen Varianten des Systems Sturmgewehr (Waffe, Optik und Optronik) ist, vorbehaltlich der angesprochenen möglichen Verzögerung, für Mitte 2021 bis Mitte 2022 vorgesehen.
Die derzeitige Beschaffungsplanung sieht eine Lieferung von insgesamt 118.718 Sturmgewehren in einem Zeitraum 2023 bis 2029 vor. Die Beschaffung des Systems Sturmgewehr Bundeswehr ist in vier einzelnen Losen, samt einzelnen Verträgen, vorgesehen. Dafür sieht das BMVg einen Haushaltsmittelansatz von insgesamt ca. 638 Millionen Euro vor:
a) Basiswaffe mit Zubehör
b) Optiken für die Befähigungsstufen 1-2
c) Optiken für die Befähigungsstufe 3
d) Laserlichtmodul
Weitere Details zu der Einteilung der einzelnen Truppengattungen in Befähigungsstufen gemäß dem Konzept „Handwaffen der Bundeswehr“ bietet der folgende Premium-Artikel: Konzeptionelle Rahmenbedingungen für Handwaffen
Der Zulauf der einzelnen Waffen ist Stand heute wie folgt geplant:
Bis 2021 | 390 Erprobungsmuster |
2022 | 0 |
2023 | 13.300 |
2024 | 20.000 |
2025 | 20.000 |
2026ff | 65.028 |
Juristische Schritte
Am 24. September 2020 teilte der Sprecher von Heckler & Koch gegenüber Soldat & Technik mit, dass man fristgerecht Rüge gegen die Sturmgewehr-Vergabeentscheidung des BAAINBw eingereicht habe. Einzelheiten wurden nicht öffentlich kommuniziert. Das BAAINBw ist der Rüge nicht gefolgt, so dass das Unternehmen am 29. September 2020 mitgeteilt hat, dass man einen Antrag auf ein Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer des Bundeskartellamtes in Bonn eingereicht habe. Die Vergabestelle (BAAINBw) darf somit das Vergabeverfahren nicht fortführen und insbesondere keinen Zuschlag erteilen. Somit ruht der derzeitige Vergabeprozess.
Heckler & Koch selbst nimmt auch zum Inhalt der Beschwerde mit dem Hinweis auf das laufende Verfahren keine Stellung. Dem Bericht von „Business Insider“ zufolge umfasst die 320-seitige-HK-Beschwerde insgesamt 60 Gründe, weswegen der Zuschlag zugunsten von C.G. Haenels aus Sicht von Heckler & Koch falsch wäre. Neben Zweifeln am Testaufbau wird dem Vernehmen nach auch über das am Test beteiligte Personal, welches auch bei den Tests rund um die „G-36-Affäre“ eine wesentliche Rolle gespielt hat, in Frage gestellt.
Sollte die Vergabekammer dem HK-Antrag stattgeben, wird das Vergabeverfahren in den Zustand vor dem gerügten Sachverhalt zurückgesetzt, sprich die Mitte September kommunizierte Auswahlentscheidung des BMVg muss zurückgenommen werden.
Wenn das Nachprüfungsverfahren aus Sicht von Heckler & Koch nicht den gewünschten Erfolg haben sollte, kann dagegen sofortige Beschwerde beim zuständigen Oberlandesgericht (OLG), in diesem Fall das OLG Düsseldorf, eingelegt werden. Der Vergabesenat des OLG prüft die Sachverhalte erneut. Die Zuschlagsperre würde dann weiterhin erhalten bleiben. Für die Vergabestelle (BAAINBw) – und letztlich für den Nutzer (Soldaten der Bundeswehr), der eine Leistung oder ein Produkt braucht – besonders unangenehm ist, dass für die Betroffenen das Verfahren zeitlich nicht zu planen ist. Beim OLG kommt die Beschwerde in den Geschäftsgang und wird nicht beschleunigt behandelt. Termine hängen vom Prozessvolumen des OLG und dem Fortgang der anderen Prozesse ab.
Historie Ausschreibung System Sturmgewehr Bundeswehr
Am 21. April 2017 begann die europaweite Ausschreibung der G36-Nachfolge. Etwa 120.000 Sturmgewehre und entsprechendes Zubehör will die Bundeswehr beschaffen. Nach ursprünglicher Planung sollten die Verträge im ersten Halbjahr 2019 geschlossen werden. Der Auftragswert wurde zunächst auf 245 Millionen Euro geschätzt.
Über potentielle Bewerber hüllte sich sowohl Bundeswehr als auch Teile der Industrie in Schweigen. Bekannt ist, dass SIG Sauer (SIG MCX) und Rheinmetall/Steyr (RS556) zwar ursprünglich ein Interesse an der Ausschreibung bekundet haben, aber schlussendlich aus unterschiedlichen Gründen nicht an dem Auswahlverfahren teilnahmen. Daneben soll auch Lewis Machine & Tool Company (LMT), ein US-amerikanischer Handwaffenhersteller, ebenfalls eine Interessenbekundung abgegeben aber nicht am Auswahlverfahren teilgenommen haben. Dem Vernehmen nach haben C.G. Haenel und Heckler & Koch Angebote eingereicht. Es gilt als wahrscheinlich, dass Haenel mit dem MK556 und Heckler & Koch mit dem HK416 und dem HK433 ins Rennen gegangen sind. Der Sprecher von Heckler & Koch hat bis jetzt nur in einem Interview mit einer regionalen Online-Zeitung bestätigt, dass das Unternehmen sich mit zwei Waffen um die G36-Nachfolge beworben hat.
Im Oktober 2018 wurde bekannt, dass keine der eingereichten Waffen die geforderten Kriterien erfüllten. Den Herstellern wurde eine Frist bis zum Februar 2019 für Nacharbeiten eingeräumt. Die Erprobungen der nachgebesserten Waffen begann 18. Februar 2019 und wurden nach modifizierter Planung im Herbst 2019 abgeschlossen. Am 08. November 2019 legte die WTD 91 in einem Abschlussbericht dar, dass alle vorgestellten Waffen die Prüfungen erfolgreich bestanden haben.
Oktober 2019 wurde eine Beschaffungsentscheidung für das Ende des zweiten Halbjahres 2020 in Aussicht gestellt (wir berichteten). Im Mai 2020 wurde dann eine Verschiebung der Entscheidung in den Zeitraum Oktober/November 2020 bekannt. Schlussendlich hat das Bundesministerium der Verteidigung am 15. September 2020 in einer Pressemitteilung bestätigt, dass die Auswahlentscheidung für die Nachfolge des G36 zugunsten des thüringischen Waffenherstellers C. G. Haenel gefallen ist.