StartMobilitätEPC-B und Cypres: Die Niederlande nehmen regulären Sprungbetrieb auf, Deutschland soll folgen

EPC-B und Cypres: Die Niederlande nehmen regulären Sprungbetrieb auf, Deutschland soll folgen

André Forkert

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Vor knapp einem Jahr, haben Deutschland, Belgien und die Niederlande für ihre Fallschirmtruppen gemeinsam die Beschaffung mehrerer tausend neuer Automatikfallschirme und Reserveschirme beauftragt. Am 10. November setzte die niederländische Fallschirmsprungschule (Defence Paraschool – DPS) erstmals die neuen Fallschirmsysteme des Typs „Ensemble de Parachutage du Combattant“ (EPC) „B“ im regulären Sprungbetrieb auf dem belgischen Luftwaffenstützpunkt in Schaffen ein. Dies vermeldete das niederländische Verteidigungsministerium am 11. November auf seiner Homepage.

Abgesetzt wurden rund 60 Fallschirmjäger der 11. Air Mobile Brigade (11 LMB), des Korps Mariniers (Marineinfanterie) und des Korps Commandotroepen (Spezialkräfte des niederländischen Heeres) mit dem neuen Fallschirmsystem des französischen Herstellers Safran Electronics & Defense. Die Niederlande haben 1.000 dieser Automatic-Opening (AO) -Fallschirme beschafft. Die Bundeswehr plant, 1.662 Haupt- und 1.162 Reservefallschirme in einem ersten Los und weitere 2.674 Haupt- und 1.928 Reserveschirme in einem zweiten Los zu beschaffen.

Die neuen EPC-B-Fallschirme lösen in Deutschland den veralteten T-10 ab. Dieser Fallschirm war seit den 1950er Jahren in Nutzung und durfte nur 120 kg Last tragen – zu wenig für den Fallschirmspringer sowie dessen persönliche Ausrüstung, Waffe und Sprunggepäck. Der neue Schirm ist hingegen für Absetzungen mit bis zu 160 kg Gewicht zugelassen.

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Die Soldaten der 11. LMB sind zudem für Ausbildung und Übungen der deutschen Division Schnelle Kräfte (DSK) im hessischen Stadtallendorf unterstellt. Damit springen sowohl die niederländischen und deutschen Luftlandetruppen in Zukunft mit dem gleichen Fallschirmsystem ab. Gleiches gilt für die Spezialkräfte – Korps Commandotroepen und das Kommando Spezialkräfte – , wenn diese ein System zur automatischen Absetzung nutzen wollen, anstelle ihrer Freifallschirme.

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Cypres

Darüber hinaus sind die Niederlande nun das erste Land in Europa, das Automatik-Fallschirmsysteme mit einem Öffnungsautomaten (auch bezeichnet als Automatic Activation Device (AAD) oder Automatic Opening Device (AOD)) ausgestattet hat. Das genutzte System Cypres der deutschen Firma Airtec GmbH & Co. KG Saftey Systems ist vor allem aus dem Bereich der Freifallschirme bekannt. Cypres ist der Standard für Freifallsysteme weltweit. Bei Automatik-Sprüngen (auch Static Line genannt) öffnet sich der Fallschirm automatisch, sobald der Springer die Maschine verlassen hat. Wenn das nicht der Fall ist, gibt es immer noch den Reserveschirm, der innerhalb weniger Sekunden durch die Springer selbst ausgelöst werden muss. Die dafür notwendigen Abläufe werden den Soldaten im Rahmen der Fallschirmsprungsausbildung drillmäßig eingeübt und vor jedem Sprung nochmals trocken wiederholt.

Dennoch kann es passieren, dass jemand nicht in der Lage ist, seinen Reserveschirm rechtzeitig zu ziehen. Dann sorgt das Cypres-System dafür, dass die Reserve automatisch gezogen wird. „Es wird keine sanfte Landung sein, aber es kann das Leben eines Menschen retten“, wird Oberleutnant Sietse, Kommandierender der Instruktionsgruppe AO der DPS, auf der Webseite des niederländischen Verteidigungsministeriums zitiert. „Es ist so sicher und benutzerfreundlich wie möglich.“

S&T vorliegenden Informationen zufolge hat die Niederlande 450 Cypres-Systeme erhalten. Vor dem ersten Sprungeinsatz wurden acht Dummy-Sprünge durchgeführt und die aufgezeichneten Daten anschließend ausgewertet. Die Auslösung des Systems erfolgt oberhalb von 150 Metern Höhe über dem Boden.

Auch die Bundeswehr hat das Airtec Cypres 2 Static Line System (SLS) für Automatiksprünge über die NATO-Beschaffungsagentur NSPA für den EPC-B in der Anzahl von 450 Systemen beauftragt. Aber das Los wurde nach S&T-Informationen bisher noch nicht abgerufen.

Die Cypres-Systeme der Airtec GmbH & Co KG werden militärisch in mehr als 100 Ländern genutzt. Seit 2003 ist mit Cypres 2 die aktuellste Version des Automatic Activation Device auf dem Markt. Der Öffnungsautomat misst dabei die Fallgeschwindigkeit und leitet die Öffnung des Reservefallschirms selbständig ein, falls der Springer unter einer bestimmten Höhe (ca. 1.000 ft) eine bestimmte Fallgeschwindigkeit (ca. 35 m/s) überschreitet. Auf diese Weise kann der Öffnungsautomat das Leben eines ohnmächtigen Springers retten. Mit dem Cypres 2 Static Line System ist auch eine Version für Automatiksprünge verfügbar.

„Wir hatten alle traditionellen AAD-Aufgabenstellungen erfüllt. Nur das Lebensrettungsgerät für das Absetzen mit der Statikleine fehlte uns noch. Deswegen haben wir das SLS entwickelt“, so Helmut Cloth, Geschäftsführer der Airtec GmbH.

SLS besteht aus den Komponenten SLS Aircraft Modul (je 1x pro Flugzeug verbaut, 3 kg, Frequenz 433 MHz, 1 Milliwatt), dem SLS- Selbsttestmodul (für Packer) sowie je eine SLS-Einheit (165 Gramm) pro Springer. Diese wird in der Reserve integriert. Die verbaute SLS- Springereinheit arbeitet immer und kann nicht abgeschaltet werden, daher gibt es auch keinen An-/Ausknopf. Das heißt, der Springer muss das Gerät zu keinem Zeitpunkt bedienen. Er kann es auch gar nicht bedienen, weil er keine Möglichkeit dazu hat. So wird jedwede Falschbedienung vermieden. Der Springer muss nur Folgendes wissen: Sieht er die LED des Moduls im Sichtfenster der Reserve weiß blinken, ist alles korrekt. Blinkt sie rot, muss er den Absetzer ansprechen.

Die LED blinkt während der gesamten Lebensdauer des Gerätes (15 Jahre) hindurch – auch während der Lagerung, aber dann nur alle zwei Minuten einmal. Hat die Springereinheit Kontakt zum SLS Aircraft Modul, blinkt sie alle zwei Sekunden. Geht der Kontakt zum Aircraft Modul verloren, blinkt sie wieder langsamer. Nach 14 Stunden geht sie wieder in den Zwei-Minuten-Modus über.

Das SLS Aircraft Modul im Flugzeug kommuniziert ständig mit der Springereinheit. Die Aktivierung geschieht bei einer Fallgeschwindigkeit von >13 m/s und einer Tiefe von 500 bis 600 ft unterhalb der Absetzhöhe durch das Flugzeug. Und zwar dann, wenn der eigentliche Sprungschirm sich bis dahin nicht oder nicht richtig entfaltet hat. Dies zeigt auch, dass die Nutzung nur bei Ausbildungs- und Trainingssprüngen Sinn macht. Bei Einsatzsprüngen, die in der Regel unter 250 m stattfinden (und dann ohne Reserve), würde die verfügbare Fallstrecke nicht zum Retten ausreichen.

Der wichtigste technische Unterschied zwischen den Systemen für Freifaller und den Automatiksystemen liegt im unterschiedlichen Bezugspunkt. Vereinfacht ausgedrückt: der Bezugspunkt für alle bekannten AADs ist der Boden. Der Bezugspunkt des SLS ist das Absetzflugzeug. Damit misst das SLS, anders als die Freifaller-Systeme nicht die Entfernung zum Boden, sondern die Entfernung vom Flugzeug.

André Forkert