StartStreitkräfteKommentar: Operation Truppenklau – Heer soll Litauenbrigade aus bestehenden Truppenteilen ausschwitzen

Kommentar: Operation Truppenklau – Heer soll Litauenbrigade aus bestehenden Truppenteilen ausschwitzen

Waldemar Geiger

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Mit dem heutigen Bericht des Verteidigungsministers Boris Pistorius an den Verteidigungsausschuss des Bundestages ist nun offiziell, was viele Beobachter seit geraumer Zeit befürchten: Das Heer wird noch „kopflastiger“.

Pistorius machte im Anschluss an die Sitzung deutlich, dass lediglich der Brigadestab als neues Element der „schweren Kampfbrigade des Heeres“ – aus Berliner Kreisen ist immer wieder der Name der vormals aufgelösten „Panzerbrigade 42“ zu hören, die den Beinamen „Brandenburg“ hatte – neu aufgestellt wird. Alle anderen Truppenteile werden aus bestehenden „Elementen“ des Heeres kommen. Die Begrifflichkeit „schwere Kampfbrigade“ ist zudem ein deutlicher Hinweis, dass die Brigade über Panzer- und Panzergrenadierkräfte verfügen wird. Brigaden, die nach jetziger Planung über vier Kampftruppenbataillone verfügen, werden wohl einen der Verbände an die neue Brigade abgeben müssen.

Auch wenn die genaue Roadmap erst zum Ende des Jahres feststehen soll, wird bereits jetzt ersichtlich, dass das Heer mit der Aufstellung der neuen Brigade keinen einzigen neuen Kampfpanzer oder Soldaten bekommen wird. Ganz im Gegenteil, mit Abgabe von Truppe und Material werden die bestehenden Brigaden geschwächt.

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Wieder einmal wird deutlich, dass auch nach Ausrufung der Zeitenwende politische und personalpolitische Gründe Vorrang gegenüber militärischen Notwendigkeiten haben. Offenbar scheut man sich in Berlin, Lokalpolitik und Truppe zu verärgern und eine bestehende Brigade mit Sack und Pack nach Litauen zu befehlen. Möglicherweise will man im Ministerium auch nicht auf die Probe stellen, wie durchsetzungsfähig der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt tatsächlich ist. Mit dem Personalwesen der Bundeswehr vertraute Beobachter wissen zu gut, dass die Bundeswehr nicht nur ein Material-, sondern auch ein Personalproblem hat. Und damit sind nicht die Personallücken, sondern die Dienstauffassung großer Teile des langgedienten Bestandpersonals gemeint.

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Wer über Jahre hinweg eine Freiwilligenmentalität kultiviert und den Dienst an der Waffe nicht als besondere Berufung, sondern normalen Arbeitsplatz bewirbt, darf sich nicht wundern, wenn sich Soldatinnen und Soldaten es sich sprichwörtlich heimisch machen. Es werden Häuser gekauft oder gebaut und Wurzeln in das gesellschaftliche Leben vor Ort geschlagen. Der ein oder andere Wurzelstrang reicht dann so tief, dass auch die Soldatin oder der Soldat immobil wird. Dies konnte man sehr gut sehen, als die Bundeswehr im Rahmen der letzten Strukturreform Fähigkeiten von einer Teilstreitkraft an die andere – samt Standortverlegung – übergeben hat. Als beispielsweise die Heeresflieger die CH-53 an die Luftwaffe abgeben mussten, haben viele Angehörige des Verbandes Gründe und Wege gefunden, nicht aus dem nordreinwestfälischen Rheine ins brandenburgischen Schönewalde/Holzdorf ziehen zu müssen. Ähnliches war bei der Auflösung und Wiederaufstellung der Fernspähfähigkeit zu beobachten. Jeder Standortwechsel führte dazu, dass Teile des Personalkörpers nicht mitgewandert sind.

Nun greift man bei der „Aufstellung“ der Litauenbrigade ebenfalls auf das Prinzip Freiwilligkeit und will im ganzen Heer motivierte Männer und Frauen suchen, die den Schritt ins Baltikum wagen wollen. Das Resultat wird ein „Heldenklau“ in den bestehenden Verbänden sein.

In Folge dieser Strategie wird zwangsläufig ein Truppenteil entstehen, dem es auf unbestimmte Zeit an Kohäsion fehlen wird. Zu dem Preis, dass bestehende Verbände geschwächt werden.

So wie es zu hören ist, war die Verkündung, eine Brigade in Litauen stationieren zu wollen, ein politischer Alleingang und gegen den Rat der Streitkräfte mit Hinweis auf unterschiedliche Herausforderungen. Dies ist insofern auch nicht verwerflich, da die Streitkräfte dem Primat der Politik unterliegen. Die Aufgabe der Politik ist es jedoch solche Strukturen zu schaffen, dass die Truppe solche politischen Entschlüsse auch umsetzen kann, ohne, dass die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands geschwächt wird. Es ist dringend geboten die Bundeswehr und den Dienst in der Bundeswehr so zu gestalten, inklusive allem, was dazugehört, dass die Entscheidung einer Verlegung eines Großverbandes von einem Standort an den nächsten – egal ob in Deutschland oder im Bündnisgebiet – maximal einem Kraftakt für diese spezifische Brigade bedeutet und nicht für die komplette Bundeswehr.

Waldemar Geiger