StartBewaffnungHeer sieht Bedarf für NEMO-Mörser auf 6x6-Radplattform

Heer sieht Bedarf für NEMO-Mörser auf 6×6-Radplattform

Waldemar Geiger

Print Friendly, PDF & Email

Die deutschen Landstreitkräfte können sich offenbar vorstellen, dass das Projekt „Zukünftiges System Indirektes Feuer kurze Reichweite“ auf Basis einer neuen 6×6-Plattform in Kombination mit einem NEMO-Turmmörser umgesetzt wird. „Die kleinere 6×6 Plattform soll vor allem die Fähigkeiten der bisher genutzten TPz Fuch Fahrzeugfamilie, aber auch neue Fähigkeiten übernehmen. Für das Heer ist beispielsweise das 120mm Mörsersystem NEMO (New MOrtar) auf dieser Plattform von Interesse“, schreibt ein Autor aus dem Kommando Heer in dem aktuellen InfoBrief Heer (3/2023) des Förderkreises Deutsches Heer e.V. zum Thema „Mittlere Kräfte als neue Kräftekategorie des Heeres“.

Die Äußerung kann so gedeutet werden, dass eine Lösung des zukünftigen Mörsersystems auf Basis des Boxers – wie es beispielsweise in Großbritannien angedacht ist – derzeit nicht offensiv verfolgt wird. KNDS Deutschland – bis vor kurzem Krauss-Maffei Wegmann (KMW) – und der finnische Rüstungskonzern Patria haben erst Mitte Februar 2023 eine Variante des Boxers mit einem NEMO-Mörserturm vorgestellt, S&T berichtete.

Der Nemo gilt bereits seit geraumer Zeit als potenzieller Kandidat für das Projekt Zukünftiges System Indirektes Feuer kurze Reichweite, mit dem die in die Jahre gekommen 120-mm-Mörsersysteme der Bundeswehr ersetzt werden sollen.

dnd 2022yH5BAEKAAEALAAAAAABAAEAAAICTAEAOw==

Sollte die zukünftige Mörservariante der Mittleren Kräfte – die sowohl für die Panzergrenadiere (Rad) als auch die Jägertruppe geplant wird – tatsächlich in der vom Heer geäußerten Form umgesetzt werden, würde Patria vermutlich sowohl Fahrzeug und Waffenanlage liefern, da Deutschland Mitte April offiziell dem CAVS-Programm (Common Armoured Vehicle System) beigetreten ist, welches den Zweck verfolgt zu prüfen, inwieweit die in die Jahre gekommene Flotte des Bundeswehr-Transportpanzers Fuchs durch ein marktverfügbares Fahrzeug ersetzt werden könnte. CAVS ist ein multinationales Programm für ein 6×6-Transportfahrzeug, welches unter finnischer Führung läuft. Finnland, Lettland und Estland nehmen seit 2019 an dem Programm teil, Schweden seit 2021. Deutschland ist nun die fünfte Nation, die sich an CAVS beteiligt. Patria ist als Anbieter der 6×6-Fahrzeugplattform für die Systementwicklung im Rahmen von CAVS verantwortlich.

yH5BAEKAAEALAAAAAABAAEAAAICTAEAOw==

Der Patria 6×6 basiert auf einem Fahrzeug mit gleicher Antriebsformel, dass seinerzeit noch von Sisu für die finnischen Streitkräfte gebaut wurde – auch als Patria XA bezeichnet. Dabei handelte es sich um etwa die gleiche Generation von Radpanzern wie der Fuchs. Ein wesentlicher Unterschied des neuen Patria 6×6 zum Sisu-Fahrzeug ist laut Hersteller die Einzelradaufhängung, ein leistungsstärkerer Scania LKW-Motor – mit 294 kW Leistung und einem Drehmoment von 1.870 Nm – sowie moderne Elektrik.

Die einzige größere Komponente aus Deutschland ist das Getriebe von ZF. Das Maximalgewicht wird mit 24 Tonnen angegeben, wovon 8,5 Tonnen auf die Nutzlast entfallen. Der Schutz erreicht STANAG 4569 Level 2 (ballistisch und Minenschutz). Optional ist Herstellerangaben zufolge auch Level 4 (ballistisch und Minenschutz) realisierbar.

NEMO

Der NEMO-Turm, der sowohl direkt als auch indirekt feuern kann, hat ein Gesamtgewicht von 1,9 Tonnen. Ein einziger NEMO-Mörser ist laut Patria in der Lage, bis zu sechs Patronen gleichzeitig ins Ziel zu bringen. Das Verfahren wird als Multiple Round Simultaneous Impact (MRSI) bezeichnet. Diese Fähigkeit bleibt dem Hersteller zufolge auch beim Feuern in der Bewegung erhalten. Der NEMO-Turm verfügt über einen Schwenkbereich von 360 Grad und eine Waffenneigung von -3 bis 85 Grad. Je nach Größe können Fahrzeuge, die mit NEMO-Turm ausgerüstet sind, 50 bis 60 Patronen 120-mm-Mörsermunition mitführen. Das drei Meter lange Rohr erlaubt eine im Vergleich zu klassischen 120-mm-Mörsern leicht gesteigerte Kampfreichweite. Die Waffenanlage ist als Hinterlader mit einem halbautomatischen Lademechanismus konzipiert. Dabei wird die Munition durch die Besatzung vorbereitet und auf eine Ladeschiene platziert. Der Mechanismus lädt die Waffe im Anschluss automatisch.

Stub Case NEMO Munition Graphik Patria und Soldat und Technik
Für den Verschuss aus dem NEMO muss die Mörsermunition mit einem sogenannten Stub-Case versehen werden. (Graphik: Patria / Soldat & Technik)

Für den Verschuss aus dem NEMO muss die Mörsermunition mit einem sogenannten Stub Case (auf Deutsch Hülsenstummel) versehen werden. Dabei handelt es sich um ein von Patria entwickelte kurze Hülse, die als Interface zwischen der Hinterladerwaffenanlage und der Munition fungiert. Aussagen von Patria zufolge eignet sich fast jede auf dem Markt befindliche 120-mm-Mörsermunition für den Verschuss aus dem NEMO, sobald sie mit dem Stub Case bestückt wurde. Die Bestückung der Muntion ist einfach und kann durch die Besatzung erfolgen. Nach dem Abfeuern der Waffe wird der Hülsenstummel in einen auf dem Fahrzeug montierten Auffangbehälter ausgeworfen.

Nach Angaben von Patria wird das Waffensystem üblicherweise durch eine vierköpfige Besatzung bedient, welche aus einem Kraftfahrer, einem Kommandanten – der auch gleichzeitig die Funktion des Richtschützen wahrnimmt – einem Lade- sowie einem Munitionsschützen besteht. Ein modernes Feuerleitsystem komplettiert das Waffensystem.

Patria hat den NEMO als Turmmörser konzipiert. Diese Konstruktionsweise gilt zwar als besonders komplex und ist demensprechend auch mit höheren Beschaffungs- und Unterhaltskosten verbunden, bietet gegenüber klassischen „Lukenmörsern“ aber mehrere Vorteile. Zum einen ist die Besatzung komplett geschützt, sowohl ballistisch, als auch gegen ABC-Bedrohungen. Ein weiterer Vorteil ist die Fähigkeit in einer niedrigen Winkelgruppe im direkten Richten feuern zu können. Eine Fähigkeit, die im Gefecht sowohl defensiv als auch offensiv genutzt werden kann.

Waldemar Geiger