StartStreitkräfteUkrainische Kursk-Offensive: Chronologie der Ereignisse

Ukrainische Kursk-Offensive: Chronologie der Ereignisse

Bei der ukrainischen Kursk-Offensive und der russischen Gegenoffensive setzen sich die Gefechte entlang der Staatsgrenze zwischen beiden Kriegsparteien fort. Die Ukraine hält nach wie vor einen schmalen Reststreifen des ursprünglich von ihren Truppen besetzten russischen Gebiets. Ukrainische Kräfte sprengten eine Gaspumpstation an dessen nördlichen Ende. Weiter südlich setzen sie ihren neuen Angriff entlang der Grenze zwischen den Oblasten Charkiw und Belgorod fort, wo das russische Dorf Demidowka umkämpft ist.

Vorläufige Abschlusslage der Kursk-Offensive am 24. März um 19:00 MEZ.
Vorläufige Abschlusslage der Kursk-Offensive am 24. März, 19:00 MEZ: Die Ukraine hält weiterhin einen schmalen Streifen des ursprünglich von ihr besetzten russischen Gebiets entlang der Staatsgrenze. Westlich davon sind russische Truppen auf ukrainisches, südlich davon ukrainische Truppen auf weiteres russisches Gebiet vorgedrungen. (Bild: Google Maps/Boes)

Russische Truppen stießen ihrerseits westlich ihres grenzüberschreitenden Gegenangriffs in Richtung der Ortschaft Basiwka auch bei Schurawka, Weseliwka und Wolodymyriwka auf ukrainisches Gebiet vor. Insgesamt sind die Gefechte entlang der russisch-ukrainischen Grenze nach dem weitgehenden Zusammenbruch der Kursk-Ausbuchtung nunmehr Teil des allgemeinen Frontgeschehens mit wechselseitigen Vorstößen und Rückzügen von geringem Ausmaß pro Woche.

Soldat & Technik fasst daher nachstehend die Ereignisse seit Beginn der Kursk-Offensive noch einmal in einer Gesamtübersicht zusammen. Künftig werden wir diese in größeren Abständen oder anlassbezogen um weitere Entwicklungen im Ukraine-Krieg ergänzen.

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19. März 2025

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Ukrainische Kursk-Offensive: 32. Woche

Bei der ukrainischen Kursk-Offensive konnte die russische Gegenoffensive weitere Erfolge erzielen. Am vergangenen Mittwoch nahm Russland die seit vergangenen August von der Ukraine besetzte Kleinstadt Sudscha ein und drängte den Gegner weiter in Richtung der eigenen Grenze zurück. Nach russischem Bildmaterial gaben ukrainische Kräfte bei ihrem Rückzug einiges an Ausrüstung auf. Gegenwärtig halten sie noch einen etwa 18 Kilometer breiten und bis zu sechs Kilometer tiefen Streifen entlang der Grenze, der allerdings durch einen russischen Keil nahezu in zwei Hälften geteilt ist.

Lagebild bei der Kursk-Offensive am 18. März, 16:00 Uhr MEZ.
Lagebild bei der Kursk-Offensive am 18. März, 16:00 Uhr MEZ: Russische Truppen haben die Stadt Sudscha eingenommen und drängen die ukrainische Sete weiter in Richtung der Staatsgrenze zurück. Im Westen haben sie diese überschritten und rücken auf die Ortschaft Basiwka vor. (Bild: Google Maps/Boes)

Die größte derzeit noch von der Ukraine kontrollierte Ortschaft ist Gujewo im Südosten des Kampfgebiets. Die Rückzugsmöglichkeiten sind hier anders als im nordwestlichen Teil auch begrenzt, da der russische Teil die vorhandenen Straßenanbindungen zur Grenze weitgehend abgeschnitten hat. Weiter westlich nahm Russland nach dem Überschreiten der ukrainischen Grenze die Ortschaft Nowenke ein und rückt weiter auf das benachbarte Basiwka vor.

Russisches Tempo seit Beginn der Kursk-Offensive verringert

Es scheint unwahrscheinlich, dass die Ukraine das verbleibende Gebiet noch längere Zeit halten kann. Gegenwärtig unternehmen ukrainische Kräfte einen Störangriff auf weiter südlich entlang der Grenze zwischen den Oblasten Charkiw und Belgorod auf russischer Seite. Im Windschatten der Meldungen über die russischen Erfolge ist allerdings weitgehend untergegangen, dass sich auch das Vordringen Russlands entlang der gesamten Frontlinie im Donbass seit Ende Februar erheblich verlangsamt hat.

Zwar konnten seine Truppen in den letzten drei Wochen noch immer einzelne Geländegewinne erzielen, jedoch nicht mehr im selben Tempo wie seit Beginn der Kursk-Offensive. Ein Grund hierfür ist vermutlich, dass es der Ukraine nach längeren Versuchen gelungen ist, effektive Störmaßnahmen gegen russische Lenkbomben zu entwickeln, nachdem Russland bereits seit einiger Zeit die Zielgenauigkeit von GPS-gesteuerten westlichen Waffen beeinträchtigen konnte.

Verbesserte ukrainische Abwehrfähigkeit

Lenkbomben auch größter Kaliber waren bislang ein wesentliches Mittel für Russland, um ukrainische Verteidigungspositionen auszuschalten, nachdem diese unter hohen Verlusten durch hochmobile infanteristische Stoßtrupps aufgeklärt worden waren. Auch der zunehmende Einsatz KI-gesteuerter Drohnen, die die Störzone entlang der Frontlinie überwinden können, sowie von weitreichenden Lenkwaffen aus eigener Produktion hat die Abwehrfähigkeit der Ukraine verbessert und den Mangel an konventionellen Systemen weiter ausgeglichen.

Selbstproduzierte Langstreckenwaffen unterliegen zudem keinen westlichen Einsatzbeschränkungen. Die gesteigerten ukrainischen Fähigkeiten für Angriffe im Hinterland sind vermutlich ein Grund, dass Russland einer Feuerpause bei gegenseitigen Schlägen auf die Energie-Infrastruktur zugestimmt hat. Während nach der Wintersaison die Auswirkungen solcher Angriffe auf die Zivilgesellschaft in der Ukraine reduziert sind, sind Schläge gegen die eigene Öl- und Gaseinrichtungen ein zunehmendes Ärgernis für Russland.

Weiter keine Einnahme kritischer Städte

Trotz monatelanger Bemühungen konnten russische Kräfte weiterhin nicht die Stadt Pokrowsk einnehmen, die als Schlüssel zum offenen Flachland der Oblast Donezk gilt. Dies, obwohl sie südlich davon zwischenzeitlich weit nach Westen vorrücken konnten. Noch immer kommt es auch zu falschen Erfolgsmeldungen, wie zuletzt im Falle von Torezk rund 50 Kilometer nördlich von Donezk. Obwohl die Stadt bereits Anfang Februar für eingenommen erklärt wurde, kommt es hier weiterhin zu Kämpfen.

Insgesamt bleibt die Ukraine jedoch personell und materiell unterlegen. Nachdem sich Hoffnungen auf einen Austausch des mit der Kursk-Offensive besetzten Gebietes gegen russisch kontrolliertes Territorium weitgehend zerschlagen haben, ist allerdings mit gleichmäßigerem ukrainischen Widerstand entlang der gesamten Front zu rechnen. Die Aussichten für einen baldigen Waffenstillstand sind in dieser Situation auch aufgrund der fortbestehenden russischen Maximalforderungen ungewiss.


12. März 2025

Ukrainische Kursk-Offensive: 31. Woche

Soldat & Technik berichtete zuletzt vor Weihnachten über die ukrainische Kursk-Offensive und die russische Gegenoffensive. Seinerzeit sah es so aus, als würde die Ukraine bei gleichbleibendem russischen Vorrücken innerhalb von etwa zwei Monaten vollständig aus dem eroberten Gebiet zurückgedrängt werden. Tatsächlich sind seither mittlerweile zwölf Wochen vergangen, während Russland weitgehend im gleichen Tempo vorankam wie auch weiter südlich im Donbass. Die Ukraine verwendete weiterhin auf Kosten der Verteidigung dort Ressourcen auf den Widerstand bei Kursk, um sich ein Faustpfand für einen möglichen Gebietstausch bei Verhandlungen zur Beendigung des Konflikts zu sichern.

Lagebild bei der Kursk-Offensive am 11. März, 10:00 Uhr MEZ.
Lagebild bei der Kursk-Offensive am 11. März, 10:00 Uhr MEZ: Russische Truppen haben nach der Einnahme von Malaja Loknja im Norden und zwei Vorstößen in den Raum südöstlich davon ukrainische Truppen zum Rückzug aus den drohenden Kesseln gezwungen und konnten anschließend auch Kazachja Loknja erobern. Im Süden konnten sie fast bis zur ukrainischen Grenze vorrücken und damit die Straßenverbindung zu den Truppen um Gujevo weitgehend unterbrechen. Darüber hinaus stießen sie aus östlicher Richtung an den Stadtrand von Sudscha vor. Im Westen überschritten sie an mehreren Stellen die Grenze zur Ukraine. (Bild: Google Maps/Boes)

Nachdem mit dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Donald Trump zunächst eine neue Dynamik für eine solche Verhandlungslösung aufzukommen schien, hat sein irrlichterndes Verhalten dies mittlerweile mehr als zweifelhaft gemacht. Durch die vorübergehende Einstellung der amerikanischen Waffenhilfe und der Versorgung mit Aufklärungsdaten für die Ukraine ist diese zusätzlich in die Defensive geraten, während es für Russland noch weniger Grund für Verhandlungen gibt. Möglicherweise auch aufgrund des Stopps der US-Unterstützung konnten russische Truppen in der Oblast Kursk seit dem Wochenende ebenfalls deutlich vorrücken.

Angriff durch die Pipeline

So konnten sie im Norden der Kampfzone die bereits seit längerem unter Druck stehende Ortschaft Malaja Loknja einnehmen und auch südlich davon entlang des gleichnamigen Flusses Geländegewinne machen. Im Westen stießen sie entlang der Staatsgrenze zwischen Swerdlikowo und Uspenowka sogar Richtung Schurawka auf ukrainisches Gebiet vor. Im Osten nahmen sie die Orte Martinowka und Michailowka ein. Besonders prekär für die ukrainische Situation waren mehrere tiefe Vorstöße, die südöstlich von Malaja Loknja einen Kessel bildeten und südlich der Stadt Sudscha fast die ukrainische Grenze erreichten.

Für zusätzlichen Druck sorgte ein russisches Kommandounternehmen, bei dem rund 100 Soldaten über 15 Kilometer durch eine Gaspipeline zurücklegten, um bei Sudscha im ukrainischen Rücken aufzutauchen. Der Weg durch die 1,40 Meter durchmessende Pipeline erforderte den Einsatz von – angeblich privat beschafften – Kreislauf-Atemgeräten und führte auch zu einigen Ausfällen unter den eingesetzten Kräften. Obwohl die ukrainische Seite den Angriff nach eigenen Angaben schnell durch Einsatz von Drohnen und Artillerie unter Kontrolle bekam, verschärfte er sicherlich die Situation für sie.

Letztes Kapitel der Kursk-Offensive

Von Montag auf Dienstag räumten ukrainische Truppen die von Einkesselung bedrohten Gebiete im Norden einschließlich der Ortschaft Kasachja Loknja und konzentrierten sich auf das Gebiet um Sudscha. Allgemeine Erwartung ist, dass es hier zum letzten größeren Kampf der Kursk-Offensive kommt. Nach letzten russischen Berichten operieren eigene Truppen bereits in den östlichen Außenbezirken der Stadt. Ebenfalls kritisch ist die Lage im Gebiet um Gujewo im Süden, das zwar die ukrainische Grenze im Rücken hat, aber über keine Straßenanbindung darüber verfügt und vom Rest des ukrainisch kontrollierten Gebiets fast abgeschnitten ist.

Fraglich ist, ob die gestern verkündete Wederaufnahme der amerikanischen Unterstützung die Situation wieder stabilisieren kann. Zwar hat die Regierung Trump nach der Zustimmung der Ukraine zu einer 30-tägigen Waffenruhe erklärt, dass „der Ball nun bei Russland liege“. Nach wie vor ist letzteres aber nicht unter Druck, einer Vereinbarung zuzustimmen und sein andauerndes Vorrücken einzustellen. Ob eine weitere Verschärfung des Sanktionsregimes, wie von den USA angekündigt, dies ändern könnte, ist vorerst zweifelhaft.


18. Dezember 2024

Ukrainische Kursk-Offensive: Jahresendbericht 2024

Bei der seit 19 Wochen laufenden ukrainischen Kursk-Offensive und der russischen Gegenoffensive konnte Russland zuletzt wieder kleinere Geländegewinne erzielen. Seine Truppen rückten im Westen des Kampfgebiets südlich Nowoiwanowka an zwei Stellen an beziehungsweise über die Straße nach Rylsk vor, konnten im Nordosten nahe Bathinka einen Geländestreifen sichern, und stießen im Südosten auf die Ortschaft Kurilowka vor. Die bereits von ukrainischer Seite dementierte Meldung, dass russische Truppen südlich Plechowo auf das Staatsgebiet der Ukraine vorrückten, hat sich nicht bestätigt.

Lagebild bei der Kursk-Offensive am 16. Dezember, 21:00 Uhr MEZ.
Lagebild bei der Kursk-Offensive am 16. Dezember, 21:00 Uhr MEZ: Im Westen, Norden und Südosten des Kampfgebiets konnten russische Truppen leichte Geländegewinne erzielen. Ein behaupteter Vorstoß auf ukrainisches Staatsgebiet südlich Plechowo hat sich nicht bestätigt. Keine Bestätigung, aber auch kein Dementi gibt es zum Rückzug ukrainischer Kräfte von russischem Gebiet weiter westlich (außerhalb der Karte). (Bild: Google Maps/Boes)

Unbestätigt bleibt auch, dass sich ukrainische Kräfte im Westen vollständig von russischem Gebiet zurückgezogen haben, dass sie während eines Entlastungsangriffes nach der Gegenoffensive besetzt hatten. Allerdings gibt es hier keine gegenteiligen Behauptungen. Dennoch scheint sich der russische Angriffsschwung, einigen Berichten zufolge erstmals mit stärkerem Einsatz und auch Verlusten von nordkoreanischen Truppen, zuletzt verstärkt zu haben.

Ukraine wird versuchen, an Gebiet der Kursk-Offensive festzuhalten

Möglicherweise spielt zudem eine Rolle, dass das Wetter nach der herbstlichen Schlammperiode – die in der Region Kursk aufgrund der Geländebedingungen allerdings weniger gravierend ausfällt als im Süden der Ukraine – mittlerweile die Böden gefrieren lässt. Auch im Donbass konnte Russland zuletzt weiter vorrücken. Unter anderem stießen seine Truppen südlich der Stadt Pokrowsk nach Westen vor und drohen auch ohne deren Einnahme die durch sie führenden wichtigen Verkehrsverbindungen entlang der Front abzuschneiden.

Zudem begann Russland im Süden der Ukraine erstmals seit längerer Zeit wieder merkliche Offensivoperationen, unter anderem in Richtung Orichiw in der Region Saporischschja. Zu erwarten ist eine Fortsetzung dieser Angriffe im selben oder sogar erhöhten Tempo während der kommenden Winterwochen. Hintergrund dürfte wie bereits früher erwähnt der Versuch beider Seiten sein, sich in eine möglichst vorteilhafte Position zu bringen, falls es nach Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Donald Trump am 20. Januar tatsächlich zu Waffenstillstandsverhandlungen kommt.

Gespräche über europäische Friedenstruppen

In diesem Sinne wird auch die Ukraine weiter versuchen, möglichst an dem mit der Kursk-Offensive eroberten Gebiet als Faustpfand festzuhalten. Mittlerweile gibt es zwischen europäischen NATO-Staaten bereits Gespräche über die mögliche Entsendung von Friedenstruppen zur Absicherung eines Waffenstillstands. Während Frankreich und Großbritannien hier offenbar eine Führungsrolle für sich sehen, kam zuletzt aus Polen eine Absage an solche „Spekulationen“.

Von deutscher Seite wollte Außenministerin Annalena Baerbock eine Beteiligung zumindest nicht ausschließen. Allerdings dürfte dies schon im Blick auf verfügbare Kräfte schwierig werden. In jedem Fall scheint trotz aller Hoffnungen ein Waffenstillstand schon deshalb noch nicht in Sicht, weil Russland kein Interesse daran haben dürfte, solange es weiter vorrückt. Inwiefern sich die Kursk-Offensive für die Ukraine gelohnt hat, wird sich daher vermutlich erst im nächsten Jahr zeigen.


11. Dezember 2024

Ukrainische Kursk-Offensive – 18. Woche

Bei der ukrainischen Kursk-Offensive und der russischen Gegenoffensive gibt es derzeit widersprüchliche Meldungen auf beiden Seiten. Übereinstimmend berichtet wird, dass russische Kräfte im Nordosten des Kampfgebiets zusätzliches Gelände sichern konnten und im Südosten die Ortschaft Plechowo eingenommen haben, die sie bereits seit einigen Wochen in der Zange hatten. Einer russischen Meldung, dass man zudem südlich davon auf ukrainisches Staatsgebiet vorgestoßen sei, widersprachen dagegen offizielle Stellen der Ukraine.

Lagebild bei der Kursk-Offensive am 11. Dezember, 06:00 MEZ.
Lagebild bei der Kursk-Offensive am 11. Dezember, 06:00 MEZ: Im Südosten haben russische Truppen die Ortschaft Plechowo eingenommen. Ein Vorstoß auf ukrainisches Staatsgebiet südlich davon wird von der Ukraine dementiert. Unbestätigt ist auch der Rückzug ukrainischer Kräfte von russischem Gebiet im Westen. Widersprüchliche Berichte gibt es zudem über die Lage im Norden des Kampfgebiets, obwohl die Ukraine scheinbar russische Truppen von Malaja Loknja zurückdrängen konnte. (Bild: Google Maps/Boes)

Widersprüche gibt es auch über die Lage im Nordwesten, wo einige russische und ukrainische Quellen ein Vorrücken Russlands Richtung Malaja Loknja melden, während andere russische Quellen dies nicht bestätigen und sogar berichten, dass russische Kräfte nördlich der Ortschaft zurückgedrängt worden seien. Eine ukrainische Quelle zeigt zudem einen Rückzug eigener Kräfte von russischem Gebiet im Westen, wo sie zu Beginn der russischen Gegenoffensive einen Entlastungsangriff unternommen hatten. Dies wird wiederum von russischer Seite nicht bestätigt.

Kursk-Offensive vor dem Ende?

Insgesamt bleibt die Initiative wie bereits seit etwa Mitte Oktober trotz Pausen und Rückschlägen auf russischer Seite. Sollte sich deren systematisches Vorrücken wie in den Frontabschnitten im Donbass im selben Tempo fortsetzen, wäre die Ukraine in etwa zwei weiteren Monaten vollständig von dem mit der Kursk-Offensive besetzten Gebiet verdrängt. Der Zeitrahmen ist kritisch, da sich nach der erneuten Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten mittlerweile die Dynamik für Verhandlungen über einen Waffenstillstand verstärkt.

Bekanntlich hat Trump angekündigt, dies sogar noch vor seinem offiziellen Amtsantritt am 20. Januar erreichen zu wollen. Bei seinem Besuch in Paris zur Wiedereröffnung der Kathedrale Notre Dame Ende vergangener Woche traf er auf Drängen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron auch zu einem Dreiergespräch mit dem künftigen ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyi zusammen. Anschließend verkündete Trump per Social Media, dass letzterer zu einem „Deal“ bereit sei und forderte den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf, an den Verhandlungstisch zu kommen.

Russische Besorgnis über Trump-Aussagen

Die Besorgnis in Russland darüber zeigte sich unmittelbar in den Reaktionen pro-russischer Medien und Propagandaquellen. Diese verbreiteten die Darstellung, Selenskyi habe sich mit der Bitte um weitere amerikanische Unterstützung eine Abfuhr bei Trump geholt, der vielmehr ihn zu einem Waffenstillstand aufgefordert habe. Selenskyi habe dies zurückgewiesen. Im Übrigen konzentrierten sich diese Quellen auf die Aussage Trumps, dass die Ukraine bereits 400.000 Soldaten verloren habe, was als Zahl der Gefallenen dargestellt wurde.

Dabei ignorierten sie geflissentlich den früheren Satz, dass Russland sogar 600.000 Tote und Verwundete zu verzeichnen habe. Als Basis für die angebliche Ablehnung Selenskyis zogen sie einen anschließenden Telegram-Post von diesem heran, in dem er die ukrainischen Verluste auf 47.000 Gefallene und 370.000 Verwundete aller Kategorien präzisierte und auf die Bedeutung von Sicherheitsgarantien für die Ukraine als Bedingung für ein erfolgreiches Abkommen hinwies.

Druck auf Putin könnte steigen

Während an allen genannten Zahlen Zweifel angebracht sind, unterstützt der Wortlaut der Statements aber keinesfalls die russische Interpretation, die Selenskyi statt Putin zum Adressaten der Verhandlungsforderung Trumps machen. Angesichts der aus dem Trump-Team berichteten Herangehensweise, die Verhandlungsbereitschaft beider Seiten entweder durch Kürzung oder weitere Aufstockung der Ukraine-Hilfe zu erzwingen, scheint die Besorgnis gerechtfertigt, dass Selenskyi sich in Paris erfolgreich als kompromissbereit präsentieren konnte und damit Putin zum Ziel weiteren Drucks in dieser Richtung wird.

Da Russland gegenwärtig weiter vorrückt, ist ein Waffenstillstand jedoch nicht in seinem Interesse, solange seine territorialen und politischen Forderungen an die Ukraine nicht erfüllt sind. Keinesfalls kann es einem Einfrieren der Fronten zustimmen, solange die Kursk-Offensive nicht vollständig zurückgeschlagen ist. Andernfalls müsste es in Verhandlungen über einen Austausch besetzter Gebiete einsteigen. Solange die Ukraine weiter Verhandlungsbereitschaft signalisiert, könnte sie dann auf eine Steigerung der US-Hilfe unter Trump hoffen.


4. Dezember 2024

Ukrainische Kursk-Offensive – 17. Woche

Bei der ukrainischen Kursk-Offensive und der russischen Gegenoffensive hat es zuletzt trotz anhaltend schwerer Kämpfe keine bestätigten Änderungen des Frontverlaufs gegeben. Russische Militärblogger berichteten zwar, dass eigene Truppen in Richtung Malaja Loknja in einem Waldgebiet sowie dem Dorf Nowoivanowka vorrückten, dokumentiert ist dies jedoch bislang nicht. In jedem Fall wäre der Geländegewinn minimal. Damit bleibt es beim weitgehenden Stillstand der Fronten, seit russische Kräfte vor drei Wochen von Norden auf Malaja Loknja vorrücken konnten, aber im Westen zurückgedrängt wurden.

Lagebild bei der Kursk-Offensive am 03. Dezember um 21:00 Uhr MEZ.
Lagebild bei der Kursk-Offensive am 3. Dezember um 21:00 Uhr MEZ: Trotz andauernder schwerer Kämpfe haben sich keine bestätigten Änderungen des Frontverlaufs ergeben. (Bild: Google Maps/Boes)

Ob dies auf äußere Umstände wie winterliche Wetterbedingungen oder möglicherweise ukrainische Angriffe auf Führungs- und Logistikeinrichtungen im russischen Hinterland zurückzuführen ist, seit der Einsatz westlicher Präzisionswaffen hierfür freigegeben wurde, ist unklar. Interessanterweise gelang es der Ukraine in den letzten Tagen weiter südlich zugleich, einiges an Gelände zurückzugewinnen, das Russland im Mai während seiner eigenen grenzüberschreitenden Offensive aus der Oblast Belgorod Richtung Kharkiv besetzt hatte.

Falschmeldungen russischer Kommandeure

Währenddessen rücken russische Truppen im Donbas langsam, aber unvermindert weiter vor. Sie konnten jedoch die strategisch wichtige Stadt Pokrowsk noch immer nicht einnehmen und damit einen Weg ins offene Tiefland der Region Donetsk öffnen. In der Region Luhansk, die bis auf einzelne kleine Abschnitte mittlerweile vollständig von Russland kontrolliert wird, kam es dagegen kürzlich zu einem Skandal um Falschmeldungen russischer Kommandeure.

Diese hatten behauptet, Ortschaften bei Siwersk eingenommen zu haben, die sich bei der Inaugenscheinnahme durch höhere Stellen als immer noch ukrainisch gehalten erwiesen. In der Folge wurden angeblich mehrere Offiziere verhaftet und mindestens ein Brigadekommandeur sowie der Befehlshaber des Militärbezirks Süd, Generaloberst Gennadi Anaschkin, abgelöst.

Bedeutung der Kursk-Offensive bei möglicher Trump-Initiative 

Mittlerweile scheinen sich die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer ernsthaft auf eine Waffenstillstandsinitiative des wiedergewählten amerikanischen Präsidenten Donald Trump nach seinem Amtsantritt am 20. Januar kommenden Jahres einzurichten. Dies würde erneut die Bedeutung des mit der Kursk-Offensive besetzten russischen Gebiets als Faustpfand für Verhandlungen hervorheben. Das Festhalten der Ukraine daran selbst zulasten der Verteidigung im Donbas sowie die Absicherung durch Freigabe westlicher Präzisionswaffen wäre somit folgerichtig.

Der auffällige Mangel an Kritik aus Trumps offiziellen Übergangsteam an der Freigabe durch den scheidenden Präsident Joe Biden, sogar die Betonung guter Zusammenarbeit, legen dabei nahe, dass diese in Abstimmung zwischen beiden Seiten erfolgte. Auch Trump kann kein Interesse an einem „schlechten Deal“ auf Kosten der Ukraine haben, die ihn und die USA schwach aussehen lassen würde. Die Benennung des sicherheitspolitischen „Falken“ Keith Kellogg als sein künftiger Ukraine-Beauftragter weist in dieselbe Richtung.

Pro-russische Kommentatoren gehen inzwischen ebenfalls davon aus, dass Trump die amerikanische Unterstützung nicht einfach einstellen wird, sondern dass seine Drohung mit deren weiterer Verstärkung bei mangelnder russischer Verhandlungsbereitschaft durchaus ernst gemeint ist. Sollte es dazu kommen, wäre ein Einfrieren der Front auf russischem Territorium infolge der Kursk-Offensive für Moskau inakzeptabel, was entweder zusätzliche US-Hilfe oder Verhandlungen über einen Tausch besetzter Gebiete nach sich ziehen müsste.


27. November 2024

Ukrainische Kursk-Offensive: 16. Woche

Bei der ukrainischen Kursk-Offensive und russischen Gegenoffensive konnten beide Seiten nach etwa einwöchigem Stillstand am vergangenen Wochenende wieder Geländegewinne erzielen, bevor die Fronten erneut zum Stehen kamen. Ukrainische Truppen zogen sich aus dem schon länger drohenden Kessel südlich der Ortschaft Ljubimowka zurück, die damit an Russland fällt. Russische Kräfte konnten auch weiter südlich am Fluss Snagost vorrücken und den Ort Darjino einnehmen. Dagegen konnte die ukrainische Seite nordöstlich von Martinowka an der Straße nach Kursk weiteres Gelände sichern.

Lagebild bei der Kursk-Offensive am 26. November um 21:00 Uhr MEZ.
Lagebild bei der Kursk-Offensive am 26. November um 21:00 Uhr MEZ: Ukrainische Kräfte haben sich aus der drohenden Einkesselung südlich des Ortes Ljubimowka zurückgezogen, der damit an Russland fällt. Russische Truppen rückten zudem weiter südlich am Fluss Snagost vor. Dagegen konnte die Ukraine nordöstlich von Martinowka an der Straße nach Kursk zusätzliches Gelände sichern. (Bild: Google Maps/Boes)

Im Fokus der Aufmerksamkeit stand allerdings weniger die Kursk-Offensive selbst als die gegenseitigen Raketenangriffe auf Ziele im Hinterland, nachdem die Ukraine am 19. November im Gefolge der entsprechenden amerikanischen Freigabe erstmals ein russisches Munitionsdepot in der benachbarten Oblast Brjansk mit ATACMS-Raketen angegriffen hatte. Am 20. November trafen zudem mindestens zwölf von Großbritannien gelieferte Marschflugkörper Storm Shadow ein Ziel in Marjino westlich des Kampfgebiets. Dabei handelte es sich Berichten zufolge um den russisch-nordkoreanischen Gefechtsstand für die Gegenoffensive.

Wechselseitiger Raketenbeschuss

Am 21. November feuerte Russland eine ballistische Rakete auf das Industriegelände des Fahrzeug- und Weltraumkonzerns Juschmasch in der südukrainischen Stadt Dnipro ab. Dabei handelte es sich nach russischen Angaben um den Praxistest einer neuen Mittelstreckenwaffe mit der Bezeichnung Oreschnik. Videoaufnahmen zufolge trug diese sechs unabhängig zielbare Wiedereintrittskörper (MIRV), die scheinbar ohne Gefechtskopf eingesetzt wurden und nur kinetische Wirkung durch die hohe Einschlagsgeschwindigkeit erzielten.

Der russische Präsident Wladimir Putin verband sein anschließendes Statement mit der Drohung, auch militärische Einrichtungen westlicher Staaten anzugreifen, die der Ukraine den Beschuss des „echten“ russischen Staatsgebiets mit von ihnen gelieferten Flugkörpern gestatten. Desungeachtet führte die Ukraine ab dem 23. November weitere Raketenangriffe auf Ziele in der Oblast Kursk durch, bei denen zumindest teilweise ATACMS eingesetzt wurden. Getroffen wurde unter anderem eine Stellung des Flugabwehrsystems S-400 und der Flughafen Kursk-Wostotschny.

Auswirkungen auf Kursk-Offensive unklar

Mittlerweile hat auch Frankreich erklärt, dass es der Ukraine den Einsatz der französischen Storm-Shadow-Variante SCALP gegen russisches Territorium gestattet habe. Unbestätigten Berichten zufolge gibt es zudem Gespräche zwischen Frankreich, Großbritannien und Polen über die Möglichkeit der Entsendung eigener Truppen in die Ukraine. Bereits Anfang des Jahres hatte der französische Präsident Emmanuel Macron diese Option ins Spiel gebracht, um ukrainische Streitkräfte zumindest von Routineaufgaben wie Ausbildung, Minenräumung und Grenzsicherung gegenüber dem russischen Verbündeten Belarus zu entlasten.

Inwieweit die Raketenangriffe auf russisches Gebiet die Operationen gegen die Kursk-Offensive beeinträchtigen, ist derzeit noch unklar. Obwohl diese seither zu stocken scheinen, konnte Russland zwischenzeitlich doch wie kürzlich bei Ljubimowka und Darjino Geländegewinne erzielen. Für entscheidende Auswirkungen müssten vermutlich russische Kommando- und Nachschubeinrichtungen sowie Luftangriffs- und Verteidigungsbasen in erheblichem Umfang neutralisiert werden. Ob die Ukraine beziehungsweise ihre Unterstützer über die dafür notwendigen Raketenbestände verfügen, ist vorläufig offen.


20. November 2024

Ukrainische Kursk-Offensive: 15. Woche

Bei der ukrainischen Kursk-Offensive und der russischen Gegenoffensive haben sich die Fronten seit dem russischen Vorstoß auf Malaja Loknja von Norden und dem Zurückdrängen des früheren Vorstoßes von Westen nicht wesentlich verändert. Nachdem russische Truppen Mitte der vergangenen Woche noch zusätzliches Gelände westlich der Ortschaft Orlowka sichern konnten, haben beide Seiten keine weiteren Gewinne erzielt. Offenbar hat auch der Einsatz von bis zu 12.000 nordkoreanischen Soldaten auf russischer Seite dieser bislang keinen neuen Angriffsschwung verliehen.

Lagebild bei der Kursk-Offensive am 18. November um 21:00 Uhr MEZ.
Lagebild bei der Kursk-Offensive am 18. November um 21:00 Uhr MEZ: Im Norden des Kampfgebiets konnten russische Kräfte bei ihrem Vorstoß Richtung Malaja Loknja etwas zusätzliches Gelände sichern. Danach blieb der Frontverlauf seit einer knappen Woche unverändert. (Foto: Google Maps/Boes)

Mittlerweile wird spekuliert, dass Nordkorea sogar 100.000 Mann entsenden könnte. Möglicherweise als Reaktion auf den Einsatz der Nordkoreaner gegen die Kursk-Offensive oder die erneuten schweren Raketenangriffe Russlands auf die ukrainische Energie-Infrastruktur am vergangenen Sonntag hat der scheidende US-Präsident Joe Biden der Ukraine Anfang der Woche nach langem Zögern nun doch die Genehmigung erteilt, amerikanische ATACMS-Raketen gegen Ziele im russischen Hinterland einzusetzen. Damit erfolgte zugleich die Freigabe für britische und französische Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow/SCALP.

Angriff auf Brjansk

Mutmaßlich gibt es weiterhin Beschränkungen für die Zielauswahl. Jedoch feuerte die Ukraine nach eigenen Angaben in der Nacht zum Dienstag mindestens sechs ATACMS auf ein Munitionsdepot in Brjansk ab, das über 100 Kilometer von der Grenze entfernt liegt. Wie üblich behauptete Russland, alle Raketen abgefangen zu haben, und dass Schäden am Boden lediglich durch herabfallende Trümmer verursacht wurden. Gleichzeitig warnte Moskau erneut vor einer direkten Konfrontation mit der NATO und veröffentlichte am Dienstag seine überarbeitete Nukleardoktrin.

Diese Überarbeitung war bereits im Mai nach ukrainischen Drohnenangriffen auf zwei russische Frühwarnradars tief im Landesinneren, lange vor der Kursk-Offensive, angekündigt worden. Da Russland auch die von ihm annektierten Gebiete der Ukraine als eigenes Staatsgebiet betrachtet und der NATO bereits seit längerer Zeit die Beteiligung an Angriffen auf diese vorwirft, dürfte der Beschuss von Brjansk mit US-gelieferten Waffen jedoch eigentlich keinen neuen Eskalationsschritt für die russische Politik darstellen.

Widersprüchliche Reaktionen

Möglicherweise war das Herausstellen dieses Widerspruchs angesichts der mittlerweile gewohnten russischen Drohrhetorik ein weiterer Grund für die Freigabe zum jetzigen Zeitpunkt nach den US-Wahlen. Russische Medien mussten denn teilweise auch ihre Schlagzeilen über den „ersten Angriff mit westlichen Langstreckenwaffen auf russisches Staatsgebiet“ im Nachhinein ändern, um sich der offiziellen Linie anzupassen.

Auf amerikanischer Seite war die Reaktion aus dem offiziellen Team des künftigen Präsidenten Donald Trump im Gegensatz zu vielen Parteigängern unaufgeregt. Das legt nahe, dass es über die Entscheidung entweder informiert war, und/oder dass sich diese in Trumps angebliche Pläne einfügt, beide Seiten abhängig von ihrer Haltung durch Einstellen oder Verstärkung der amerikanischen Hilfe für die Ukraine an den Verhandlungstisch zu bringen. Inwieweit die Freigabe zum Einsatz westlicher Waffen gegen Führungs- und Nachschubknoten im russischen Hinterland der Ukraine beim Halten der aktuellen Frontlinien in der Kursk-Offensive hilft, bleibt abzuwarten.

Gebiet der Kursk-Offensive bleibt bedeutsam

Taktisch ist möglicherweise die gerade angekündigte Lieferung von 4.000 KI-gesteuerten Langstrecken-Angriffsdrohnen bzw. Loitering Munition durch Deutschland – mehrere hundert Stück pro Monat – von größerer Bedeutung. Durch den umfassenden Einsatz elektronischer Kampfführung auf dem Gefechtsfeld verlieren die üblichen ferngesteuerten Drohnen mittlerweile stark an Effektivität, so dass beide Seiten unter anderem auch Typen mit Glasfaser-Lenkung verwenden. Deren Reichweite ist allerdings aufgrund des Übertragungsmediums begrenzt.

Strategisch bleibt das Halten des mit der Kursk-Offensive besetzten russischen Gebiets für mögliche Verhandlungen bedeutsam. Weiter südlich im Donbass rücken russische Kräfte auf ukrainischem Gebiet weiter vor. Obwohl die strategisch wichtige Stadt Prokrowsk weiter nicht eingenommen ist, haben russische Geländegewinne südlich davon die ukrainische Seite im Zusammenwirken mit dem Vormarsch aus Richtung Wuhledar in die Zange genommen. Ein Gebietstausch bliebe daher eine wichtige Möglichkeit für die Ukraine, verlorenes Territorium zurückzuerlangen.


13. November 2024

Ukrainische Kursk-Offensive: 14. Woche

Bei der ukrainischen Kursk-Offensive und der russischen Gegenoffensive rücken russische Kräfte auf allen Seiten des Kampfgebiets weiter vor. Im Westen sicherten sie einen Geländestreifen am Fluss Snagost nördlich der Ortschaft Darino, im Norden östlich von Kremjanoje. Zudem nahmen sie hier Orlowka und ebenfalls ein erhebliches Gebiet östlich davon ein. Im Osten ist der Ort Plechowo, der bereits zwischen zwei russischen Vorstößen eingeklemmt war, nun direkt umkämpft.

Lediglich bei Weseloje weiter westlich konnte die russische Seite keine neuen Fortschritte beim Zurückdrängen der ukrainischen Truppen machen, die hier bei Beginn der Gegenoffensive einen grenzüberschreitenden Entlastungsangriff unternommen hatten. Westlich von Malaja Loknja gelang es der Ukraine ihrerseits, den russischen Vorstoß aus Richtung Ljubimowka zurückzuwerfen. Nach ukrainischen Angaben sind von Nordkorea entsandte Truppen bereits in die Kämpfe verwickelt.

Lagebild bei der Kursk-Offensive am 12. November um 21:00 MEZ.
Lagebild bei der Kursk-Offensive am 12. November um 21:00 MEZ: Russische Truppen sind im Westen südlich von Ljubimowka und im Norden östlich von Kremjanoje weiter vorgerückt. Im Osten ist der Ort Plechowo umkämpft. Dagegen konnte die Ukraine den russischen Vorstoß auf Malaja Loknja aus Richtung Ljubimowka zurückdrängen. (Bild: Google Maps/Boes)

Russland will das Kapitel Kursk-Offensive beenden

Parallel wird aus der Ukraine berichtet, dass zusätzliche russische und nordkoreanische Truppen im Gesamtumfang von 50.000 Mann für eine neue Gegenoffensive in die Region verlegt werden. Es ist anzunehmen, dass Russland das für Moskau peinliche Kapitel der Kursk-Offensive in seinem Angriffskrieg nun mit allen verfügbaren Kräften beenden will. Und das vermutlich noch im laufenden Jahr, auf jeden Fall aber vor der Amtseinführung des erneut gewählten US-Präsidenten Trump.

Wie sich die Wiederwahl Trumps auf den Konflikt auswirken wird, ist weiterhin unklar. Nach einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky zeigte sich letzterer zumindest offiziell beruhigt über Trumps Absichten. Ein Bericht der „Washington Post“, dass dieser auch bereits mit Wladimir Putin telefoniert und ihn vor einer weiteren Eskalation in der Ukraine gewarnt habe, wurde von russischer Seite dementiert.

Angeblicher Trump-Plan zur Konfliktbeendigung 

Vor allem in der britischen Presse wurde über einen angeblichen Plan in Trump-Kreisen berichtet, den Konflikt entlang der aktuellen Kontaktlinie einzufrieren und eine entmilitarisierte Zone einzurichten, die von europäischen Truppen überwacht werden solle. Die USA würden demnach die Ukraine weiter aufrüsten, aber keine eigenen Truppen entsenden oder sich an den Kosten der Überwachungsmission beteiligen.

Eine offizielle Bestätigung für einen solchen Plan gab es nicht. Möglicherweise handelt es hierbei um einen Versuchsballon, da eine Lösung in dieser Form für keine beteiligte Partei akzeptabel wäre. Die Ukraine müsste erhebliche Gebiete aufgeben, während Russland weiter auf Abtretung des gesamten Territorium der vier von ihm offiziell annektierten, aber nicht vollständig kontrollierten ukrainischen Oblaste besteht. Das Ende der Kursk-Offensive wäre dabei vorauszusetzen.

Zudem würden sowohl Russland als auch die europäischen NATO-Partner die Entsendung westlicher Truppen direkt an die Kontaktlinie ablehnen. Auch eine Stationierung im Hinterland als Garantie für die dauerhafte Sicherheit der Ukraine käme wohl höchstens mit amerikanischer Beteiligung in Betracht. Da die Europäer finanziell ausgedrückt bislang weitaus größere Unterstützung für die Ukraine geleistet haben, dürften sie die skizzierte Arbeitsteilung zwischen ihnen und den USA nicht akzeptieren.


6. November 2024

Ukrainische Kursk-Offensive: 13. Woche

Bei der ukrainischen Kursk-Offensive und der russischen Gegenoffensive konnten russische Kräfte im Norden des Kampfgebiets in Richtung Pogrebki vorrücken. Absicht dürfte sein, im Zusammenwirken mit dem früheren Vorstoß aus Richtung der seit Wochen umkämpften Ortschaft Ljubimowka auf Malaja Loknja einen Kessel um ukrainische Truppen nordwestlich des letzteren Ortes zu bilden. Allerdings konnte weder der erste Vorstoß bislang Malaja Loknja erreichen, noch ist es den Russen gelungen, den Kessel südlich Ljubimowka zu schließen.

Einen weiteren Geländegewinn erzielte die russische Seite im Westen südlich von Weseloje, wo sie das Zentrum des ukrainischen Entlastungsangriffs gegen die Gegenoffensive zur Staatsgrenze zurückdrängen konnte. Allerdings halten sich die Ukrainer noch zu beiden Seiten auf kleineren Abschnitten russischen Territoriums. Nordöstlich von Malaja Loknja versuchen sie weiterhin, Gelände zu sichern. Jedoch ist die Initiative insgesamt weiterhin auf russischer Seite.

Lagebild der ukrainischen Kurs-Offensive am 5. November um 22:00 MEZ.
Lagebild der Kursk-Offensive am 5. November um 22:00 MEZ: Im Norden des Kampfgebiets bei Pogrebski sowie im Westen südlich von Weseloje konnten russische Kräfte vorrücken. Nordöstlich von Malaja Loknja versucht die ukrainische Seite weiterhin, Gelände zu sichern. (Bild: Google Maps/Boes)

Kursk-Offensive vor dem Ende?

Damit stellt sich erneut die Frage nach der sinnvollen Fortsetzung der Kursk-Offensive, während Russland im Donbass bei Pokrowsk und Vuhledar weiter vorrückt und zusätzliche ukrainische Kräfte dort dringend gebraucht werden. Eine Rationale bleibt der Einsatz besetzten russischen Territoriums, egal welchen Umfangs, als Verhandlungsmasse für eine mögliche politische Beilegung des Konflikts insgesamt. Nach einem Bericht der „Financial Times“ ist die Besetzung jedoch ein Hindernis für ein Abkommen über den Stopp der gegenseitigen Angriffe auf die Energieinfrastruktur, das beide Seiten in indirekten Gesprächen unter Vermittlung Katars verhandeln.

Für die Ukraine wäre ein solches Abkommen angesichts der absehbaren Probleme mit der Energieversorgung im nahenden Winter wichtig. Präsident Wolodymir Selenskyj hat einen solchen Schritt zudem als möglichen Einstieg in einen generellen Waffenstillstand bezeichnet. Für Russland sind die ukrainischen Drohnenangriffe auf Ölraffinerien und ähnliche Ziele zwar ein Ärgernis, aber weniger bedrohlich. Ein Ende der Kursk-Offensive würde den ukrainischen Streitkräften zugleich gestatten, die freiwerdenden Kräfte zur Verstärkung ihrer Verteidigung auf eigenem Territorium einzusetzen.

Mögliche Auswirkungen der Wiederwahl Trumps

Zugleich wirft die heutige Wiederwahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten nunmehr konkret die Frage nach dem künftigen Einfluss der USA – und damit möglicherweise der NATO insgesamt – auf den Konflikt auf. Trump hat bekanntlich behauptet, diesen noch vor seiner Amtseinführung am 20. Januar kommenden Jahres innerhalb eines Tages lösen zu können. Das Mittel um beide Seiten an den Verhandlungstisch zu bringen soll angeblich die Drohung an Selenskyj mit der Einstellung aller US-Hilfen einerseits, und an Putin mit deren erheblichen Erhöhung andererseits sein.

Wie bei den meisten Äußerungen Trumps dürfte zumindest der Zeitrahmen keinen Bezug zur Realität haben. Auch sind die USA zwar bislang größter einzelner Unterstützer der Ukraine, der größere Teil der Hilfe kommt aber von den Europäern, die eigene Sicherheitsbedürfnisse gegenüber Russland haben. Abzuwarten ist zudem noch die Sitzverteilung im US-Kongress, und wie einzelne neue Senatoren und Abgeordnete unabhängig von Parteizugehörigkeit zur Ukraine stehen. Dennoch könnte der Wahlausgang neue Dynamik in das Bemühen um ein Kriegsende bringen, und die Kursk-Offensive noch eine wichtige Rolle dabei spielen.


30. Oktober 2024

Ukrainische Kursk-Offensive: 12. Woche

Bei der ukrainischen Kursk-Offensive und der seit sieben Wochen laufenden russischen Gegenoffensive ist es zuletzt keiner der beiden Seiten gelungen, wesentlich Boden gutzumachen. Russische Streitkräfte schlugen im Nordwesten des Kampfgebiets offenbar einen Entlastungsangriff der Ukraine gegen ihren Vorstoß nördlich Ljubimowka in Richtung Malaja Loknja zurück. Die ukrainische Seite versucht weiterhin, das Schließen des russischen Kessels südlich von Ljubimowka zu verhindern und bei Russkoje Poretschnoje im Nordosten vorzurücken.

Die internationale Aufmerksamkeit ist weiter auf Berichte südkoreanischer, ukrainischer und mittlerweile auch amerikanischer Quellen gerichtet, wonach Nordkorea bis zu 12.000 Mann seiner Streitkräfte nach Russland, und speziell in die Region Kursk, entsenden will. Grundlage wäre der erst im Juni dieses Jahres von beiden Seiten unterzeichnete Vertrag über eine umfassende strategische Partnerschaft. Artikel 4 des Vertrages bestimmt, dass im Falle einer bewaffneten Invasion gegen eine der Parteien die andere unverzüglich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln Hilfe leistet.

Lagebild der Kursk-Offensive am 29. Oktober 22:00 MEZ.
Lagebild am 29. Oktober 22:00 MEZ: Russische Kräfte haben einen Entlastungsangriff in die Flanke ihres Vorstoßes nördlich Ljubimowka Richtung Malaja Loknja zurückgeschlagen, aber sonst keine Fortschritte gemacht. Die Ukraine versucht weiterhin, das Schließen des Kessels südlich Ljubimowka zu verhindern. (Bild: Google Maps/Boes)

Kursk-Offensive, der neue Koreakrieg?

Nach letzten US-Berichten befinden sich bereits 10.000 Nordkoreaner in Russland. Der südkoreanische Nachrichtendienst NIS teilte mit, dass sich ein Vorauskommando unter dem stellvertretenden nordkoreanischen Generalstabschef Kim Yong Bok möglicherweise schon auf dem Weg nach Kursk befinde. Eine solch hochrangige Führung würde die Bedeutung unterstreichen, die auch Nordkorea der Entsendung zumisst. Bereits seit den ersten Meldungen wird spekuliert, dass sein Interesse vor allem darin besteht, Kampferfahrung in einem modernen Krieg zu sammeln.

Ob Russland im Gegenzug finanzielle, materielle oder speziell militärische Hilfe für das international isolierte und wirtschaftlich am Boden liegende Land leistet, ist nicht bekannt. Südkorea betrachtet den Vorgang jedenfalls auch als Bedrohung seiner eigenen Sicherheit und denkt über Gegenmaßnahmen nach. Insbesondere steht eine direkte Unterstützung der Ukraine mit Munition und anderem Material zur Debatte, die bis jetzt nur in geringem Umfang etwa durch Ersatzlieferungen von Artilleriemunition an die USA erfolgt ist.

Ergebnisse der Kursk-Offensive könnten noch wichtig werden

Angesichts der umfassenden Kapazitäten der südkoreanischen Rüstungsindustrie, die neben der Produktion zur Verteidigung gegen Nordkorea mittlerweile auch erfolgreich auf dem internationalen Exportmarkt auftritt und selbst Panzerfahrzeuge an NATO-Länder liefert, könnte das wiederum zu einer erheblichen Stärkung der Ukraine führen. Neben Personalproblemen leidet deren Verteidigung bekanntlich weiterhin unter erheblichem Materialmangel, insbesondere beim Nachschub an Artilleriemunition.

Mittlerweile werden auch mit Spannung der Ausgang der US-Wahlen am kommenden Montag und die Auswirkungen auf den Ukraine-Krieg erwartet. Für den Fall einer neuen Präsidentschaft von Donald Trump und abhängig von den Mehrheiten im Kongress wird ein wesentlicher Rückgang, möglicherweise sogar die Einstellung der amerikanischen Hilfe befürchtet. Sollte es jedoch tatsächlich zu Verhandlungen über ein Ende des Konflikts kommen, dürfte es wichtig für die Ukraine sein, ein Minimum an Ergebnissen aus der Kursk-Offensive für einen möglichen Austausch besetzter Gebiete zu retten.


23. Oktober 2024

Ukrainische Kursk-Offensive: Neuer russischer Vorstoß, ukrainische Gegenstöße

Bei der ukrainischen Kursk-Offensive haben russische Kräfte im Rahmen ihrer seit zehn Tagen laufenden erneuten Gegenoffensive einen weiteren Vorstoß unternommen. Dabei rückten sie nördlich der umkämpften Ortschaft Ljubimowka mehrere Kilometer in Richtung Malaja Loknja vor. Erkennbare Absicht des russischen Vorgehens ist, das von der Ukraine gehaltene Gebiet in mehrere Kessel zu unterteilen, um den Gegner so Stück für Stück aufzureiben. Ein entsprechender Versuch war bereits in der Vorwoche südlich von Ljubimowka erkennbar, allerdings konnte die ukrainische Seite das Schließen des Kessels bislang noch verhindern.

Als Reaktion auf die Vorstöße haben die Ukrainer zwei Gegenangriffe, teils mit gepanzerter Unterstützung in geringer Stärke – russische Berichte sprechen von je einem Kampfpanzer Abrams und Schützenpanzer Bradley – in deren Flanke unternommen. Dieser Kräfteansatz scheint typisch für das Vorgehen beider Seiten, die entgegen aller Grundsätze mobiler Operationen häufig einzelne Kampffahrzeugen zur Unterstützung eigener Kräfte einsetzen. Dies ist möglicherweise nicht nur der Verfügbarkeit, sondern auch den besonderen Gefechtsfeldbedingungen mit der omnipräsenten Bedrohung durch Drohnen und schnelle „kill chains“ gegen Ziele selbst geringeren Werts geschuldet.

Stand der Kursk-Offensive am 22. Oktober 2024.
Lagebild am 22. Oktober um 22:00 MESZ: Russische Kräfte hsaben einen Vorstoß nördlich Ljubimowka Richtung Malaja Loknja unternommen. Die ukrainische Seite hat darauf mit einem Gegenstoß in die Flanke reagiert und versucht mit einem weiteren Angriff östlich Ljubimowka, das Schließen eines Kessels zu verhindern. Nördlich Martinowka konnte sie im geringen Umfang zusätzliches Gelände sichern. (Bild: Google Maps/Boes)

Kursk-Offensive und Gegenoffensive weiter stockend

In jedem Fall konnte die russische Seite in den letzten Tagen keine weiteren Geländegewinne verzeichnen. Dies gilt auch für die Frontabschnitte bei Plechowo im Südosten und bei Weseloje im Westen. Die Ukraine konnte lediglich bei Martinovka entlang der Straße nach Kursk erneut im geringen Umfang Gelände sichern. Strategisch bleibt die Lage für Kiew kritisch, da russische Kräfte nach der kürzlichen Einnahme der Stadt Vuhledar im Südosten des Landes weiter stückchenweise vorrücken und insbesondere die strategisch wichtige Stadt Pokrowsk im Osten weiterhin bedroht ist.

Mittlerweile hat Präsident Woldymyr Selenskyj vor dem ukrainischen Parlament zumindest Teile seines „Siegesplans“ öffentlich gemacht. Wie erwartet setzt dieser auf weitere westliche Unterstützung einschließlich der Lieferung weitreichender Waffensysteme sowie eine Einladung zur NATO-Mitgliedschaft oder vergleichbare Sicherheitsgarantien. Eine angebliche Drohung Selenskyjs, andernfalls eine nukleare (Wieder-) Bewaffnung der Ukraine anzustreben, scheint in Berichten aus dem Zusammenhang gerissen worden und auch praktisch nicht zu realisieren sein.

Neue Lieferungen für die Ukraine

Zumindest konnte die Ukraine jedoch aus Deutschland je ein weiteres Luftverteidigungssystem IRIS-T SLM (damit nun insgesamt fünf) und SLS (jetzt vier), die letzten 20 von 140 zugesagten Schützenpanzer Marder, acht weitere Kampfpanzer Leopard 1 A5 (jetzt 88 aus der gemeinsamen deutsch-dänisch-niederländischen Initiative) und sechs weitere Panzerhaubitzen 2000 (jetzt 20) in Empfang nehmen. Eine substanzielle Lieferung ist mit 49 Kampfpanzern M1A1 Abrams aus Australien zu erwarten, die durch neue M1A2 SEPv3 abgelöst werden sollen. Ein Zeitrahmen, auch im Hinblick auf mögliche Überholungsmaßnahmen, wurde allerdings nicht genannt.

Für Aufsehen sorgten Berichte des südkoreanischen Nachrichtendienstes, wonach Nordkorea 1.500 Soldaten von Spezialeinheiten nach Russland entsandt habe, die gegen die ukrainische Kursk-Offensive zum Einsatz kommen sollten. Die ukrainische Regierung sprach sogar von Plänen für insgesamt 10.000 Mann. Eine unabhängige Bestätigung gibt es bislang nicht. Im Vergleich zu ähnlichen früheren Gerüchten über Syrer und andere Verbündete ist von Nordkorea immerhin bekannt, dass es in großem Umfang Munition an Russland liefert. Nach einem kürzlichen Bericht der britischen „Times“ sollen etwa nordkoreanische Artilleriegranaten die Hälfte des russischen Verbrauchs in der Ukraine ausmachen.


16. Oktober 2024

Ukrainische Kursk-Offensive: Neue russische Gegenoffensive

Bei der ukrainischen Kursk-Offensive hat Russland nach seiner ersten konzertierten Gegenoffensive vor drei Wochen einen neuen Anlauf gestartet und die Streitkräfte der Ukraine an weiten Teilen der Front zurückgedrängt. Obwohl letztere Anfang Oktober noch etwas Gelände südlich der umkämpften Ortschaften Ljubimowka sowie Weseloje konsolidieren konnten, scheinen diese Gewinne innerhalb der letzten Woche weitgehend wieder verloren gegangen zu sein. Darüber hinaus mussten sich die Ukrainer auch im Nordwesten und Südosten von lange gehaltenem Territorium zurückziehen.

Diese Entwicklung hatte sich angekündigt, nachdem die Ukraine ihre Vorstöße in umkämpftes Gebiet Richtung Norden offenbar aufgegeben hatte. Am 10. Oktober stießen russische Kräfte entlang der Straße nach Rylsk aus Richtung Nordwest ebenfalls bis Ljubimowka vor. Durch einen weiteren Angriff südlich des Ortes am Folgetag drohen ukrainische Truppen in diesem Gebiet nun eingeschlossen zu werden. Gleichzeitig stießen die Russen im Südosten beiderseits des Ortes Plechowo vor. Darüber hinaus drängten sie den ukrainischen Entlastungsangriff Richtung Weseloje im Westen zum größeren Teil von russischem Territorium zurück.

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Lagebild am 15. Oktober um 23:00 MESZ: Russische Truppen sind entlang der Straße nach Rylsk bis östlich der umkämpften Ortschaft Ljubimowka vorgestoßen und drohen ukrainische Kräfte südlich davon einzuschließen. Im Westen haben sie den ukrainischen Entlastungsangriff weitgehend von russischem Territorium zurückgedrängt und sind im Osten beidseits des Orts Plechowo vorgerückt. Die Ukraine hat sich aus dem lange umkämpften Gebiet entlang der Straße nach Lgow zurückgezogen und konnte lediglich nördlich Martinowka etwas Boden gutmachen. (Bild: Google Maps/Boes)

Ein neuer Entlastungsangriff wie nach der ersten russischen Gegenoffensive ist bislang nicht erfolgt. Lediglich entlang der Straße nach Kursk konnten ukrainische Kräfte zuletzt noch etwas Boden gutmachen. Damit geht die Initiative möglicherweise nun weitgehend auf Russland über. Wahrscheinliches Ziel ist, die ukrainischen Truppen vollständig hinter die eigene Grenze zurückzuwerfen und damit die politische und moralische Scharte der ersten Invasion Russlands seit dem 2. Weltkrieg auszuwetzen. Zudem verlöre die Ukraine damit ein Faustpfand für den Austausch besetzter Gebiete bei möglichen Verhandlungen über ein Ende der Feindseligkeiten.

Nachdem das für letzte Woche geplante Gipfeltreffen der Ukraine-Unterstützergruppe in Ramstein wegen der Absage von US-Präsident Joe Biden aufgrund des Hurrikans „Milton“ nicht stattfand, sind weitere westliche Hilfsmaßnahmen abzuwarten. Während Biden sich nun Ende dieser Woche in Berlin mit Bundeskanzler Olaf Scholz treffen will, hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenskyj diesen beiden und weiteren ursprünglich vorgesehenen Teilnehmern des Ramstein-Gipfels seinen „Siegesplan“ einzeln vorgestellt. Dessen Details sind weiterhin nicht bekannt, obwohl die bislang fehlende Erlaubnis zum Einsatz westlicher Präzisionswaffen gegen Ziele tief in Russland noch immer als wesentlicher Punkt angenommen wird.

Allerdings hat die Ukraine diese Fähigkeit bereits wiederholt mit eigenen Mitteln unter Beweis gestellt. Wahrscheinlicher ist, dass die Unterstützerstaaten sich auf eine zusätzliche Stärkung der erschöpften ukrainischen Luftabwehr konzentrieren, um der überlegenen russischen Luftunterstützung beim Vorrücken von Bodentruppen zu begegnen. Deutschland hat bislang drei Patriot-Batterien und gemeinsam mit den Niederlanden Teile einer vierten geliefert. Von US-Seite ist ebenfalls die Lieferung einer dritten Batterie angekündigt. Spekuliert wird, dass bis zu acht kürzlich von Israel zugunsten eines einheimischen Nachfolgesystems außer Dienst gestellte Batterien nach Überholung in den USA ebenfalls ihren Weg in die Ukraine finden könnten.

Daneben hatte Italien bis Ende September eine zweite Feuereinheit des französisch-italienischen Flugabwehrsystems SAMP/T (Mamba) zugesagt, von dem es gemeinsam mit Frankreich bereits eine Batterie geliefert hatte. Deutschland hat der Ukraine inzwischen vier Einheiten IRIS-T SLM und drei IRIS-T SLS von jeweils zwölf geplanten überlassen. Darüber hinaus hat das Land bereits einige von mindestens acht geplanten Feuereinheiten des amerikanisch-norwegischen Systems NASAMS von den USA, Kanada und Norwegen erhalten. Eine Herausforderung ist angesichts der quantitativen russischen Überlegenheit neben den begrenzten Beständen und Produktionskapazitäten der Startsysteme auch hier die Versorgung mit ausreichend Flugkörpern.


2. Oktober 2024

Ukrainische Kursk-Offensive: Verschiebungen entlang der Staatsgrenze

Bei der nunmehr seit zwei Monaten andauernden ukrainischen Kursk-Offensive gegen russisches Territorium erzielen beide Seiten weiterhin nur begrenzte Geländegewinne. Während russische Truppen im Südosten bei Borki Territorium entlang der Grenze zur Ukraine zurückerobern konnten, das seit Beginn der Offensive vom Gegner kontrolliert wurde, hat die ukrainische Seite bei ihrem Entlastungsangriff im Westen möglicherweise die Ortschaft Weseloje eingeschlossen.

Zudem sicherte sie im Norden einen Geländestreifen östlich von Kremyanoje, zog sich aber scheinbar aus dem umkämpften Gebiet nördlich Olgowka zurück. Wegen zunehmender russischer Luftangriffe auf Ziele im rückwärtigen Gebiet auf der ukrainischen Seite der Grenze ordneten die Behörden die Evakuierung von Kindern und ihrer Eltern in mehreren Gemeinden der Oblast Sumy an. Keiner dieser kleineren Erfolge lässt eine entscheidende Entwicklung erkennen.

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Lagebild am 1. Oktober um 00:00 Uhr MESZ: Im Südosten haben russische Truppen bei Borki Gelände entlang der ukrainischen Grenze zurückerobert und rücken auf Plechowo vor. Im Westen hat die Ukraine möglicherweise Weseloje eingeschlossen. Im Norden hat sie einen Geländestreifen östlich Kremyanoje gesichert, sich aber offensichtlich aus dem umkämpften Gebiet nördlich Olgowka zurückgezogen. (Bild: Google Maps/Boes)

Der nach ukrainischen Berichten Ende August ergangene Befehl von Wladimir Putin, die Angreifer bis zum 1. Oktober von russischem Gebiet zu vertreiben, konnte damit nicht umgesetzt werden. Die vor drei Wochen begonnene Gegenoffensive aus westlicher Richtung ist vor Ljubimowka zum Stehen gekommen. Russische Berichte über das Kriegsgeschehen konzentrieren sich stattdessen gegenwärtig auf die lange angestrebte und am gestrigen Dienstag erreichte Eroberung der Stadt Wuhledar im Südosten der Ukraine.

Nachdem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei seiner USA-Reise in der vergangenen Woche zwar die Zusage seines amerikanischen Kollegen Joe Biden für zusätzliche dringend benötigte Flugabwehr- und Luft-Boden-Munition im Wert von 2,4 Milliarden Dollar, aber nicht die erhoffte Freigabe zum Einsatz westlicher Langstreckensysteme gegen Ziele in der Tiefe des russischen Territoriums erhielt, ist eine grundlegende Änderung der Lage nicht absehbar.

Inwiefern der Ukraine-Gipfel am 12. Oktober in Ramstein zu weitreichenderen Beschlüssen kommt, muss sich zeigen. Währenddessen konkurriert Selenskyjs Plan für mögliche Verhandlungen über ein Ende des Krieges aus einer Position relativer Stärke heraus mit einer chinesisch-brasilianisch geführten Initiative, die allerdings die Berufung auf die UN-Charta als Grundlage für Fragen territorialer Souveränität vermeidet.

Russland beharrt weiterhin auf der „Anerkennung neuer Realitäten“ durch die Ukraine, meint damit aber vermutlich nicht die Hinnahme der Besetzung eigenen Gebiets bei Kursk. Sofern es dieses nicht doch noch vollständig zurückgewinnen kann, steht weiterhin ein Tausch gegen zumindest Teile russisch besetzten Territoriums im Rahmen einer Verhandlungslösung im Raum. Da dies einen innenpolitisch potenziell gefährlichen Gesichtsverlust für Putin bedeuten würde, ist damit allerdings nicht zu rechnen, solange er stattdessen einfacher den Krieg fortsetzen kann.


25. September 2024

Ukrainische Kursk-Offensive: Laterale Geländegewinne auf beiden Seiten

Bei der ukrainischen Kursk-Offensive und der seit zwei Wochen laufenden russischen Gegenoffensive konnten beide Seiten zuletzt nicht weiter in die Tiefe des vom jeweiligen Gegner gehaltenen Raums vordringen. Lediglich lateral konnten sie zusätzliches Gelände sichern: Russland nördlich und vor allem südlich seiner auf den Ort Ljubimowka gerichteten Angriffsachse mit der Einnahme zweier Dörfer am Fluss Snagost, die Ukraine westlich der Straße nach Lgow im Norden sowie bei ihrem grenzüberschreitenden Entlastungsangriff Richtung Weseloje im Westen.

Nach der Kraftanstrengung der Gegen- und Gegen-gegen-Offensive fehlen möglicherweise beiden Parteien momentan die Ressourcen zur entscheidenden Ausnutzung ihrer jeweiligen Vorstöße. Unter Umständen haben auch die offenbar schweren kürzlichen Schläge durch ukrainische Drohnen auf drei russische Munitionsdepots Auswirkungen auf die Versorgung der russischen Fronttruppen, die damit das Schicksal fehlender Munition mit dem Gegner teilen würden. Allerdings hatte sich das Tempo ihres Vordringens schon nach dem ukrainischen Entlastungsangriff reduziert.

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Lagebild am 24. August, 23:00 MESZ. Die russische Seite hat vor allem südlich von Ljubimowka, die ukrainische westlich der Straße nach Lgow im Norden und bei ihrem Entlastungsangriff bei Weseloje im Westen zusätzliches Gelände gesichert. Im Osten hat die Gefechtstätigkeit abgenommen. (Bild: Google Maps/Boes)

Auch bei dem zuvor vergleichsweise schnellen Vormarsch auf die Schlüsselstadt Pokrowsk im Donbass sind bereits seit der Verlegung einer zusätzlichen ukrainischen Brigade aus dem Süden Stillstand, teilweise sogar kleinere Rückschläge für Russland zu verzeichnen. Dass es seither im vorherigen Einsatzraum dieser Brigade bei Wuhledar zu russischen Geländegewinnen kam, ist für die Ukraine vermutlich weniger wichtig als das Halten von Pokrowsk und des dahinterliegenden unbesetzten Territoriums der Oblast Donezk.

Sollte sich der erneute Trend zur statischen Kriegführung verfestigen, erhielten Initiativen für mögliche Waffenstillstands- oder gar Friedensverhandlungen verstärkte Bedeutung. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist in dieser Woche auf USA-Reise, um unter anderem Präsident Joe Biden und den beiden Präsidentschaftskandidaten Kamala Harris und Donald Trump einen „Siegesplan“ vorzustellen, der zu einem Kriegsende im kommenden Jahr führen soll.

Anzunehmen ist, dass dieser weiterhin die Erlaubnis zum Einsatz westlicher Langstreckenwaffen gegen Ziele tief in russischem Staatsgebiet einschließt, um Russland an den Verhandlungstisch zu zwingen. Bislang scheint Biden dies aufgrund der Gefahr einer Eskalation zu einer direkten Auseinandersetzung zwischen Russland und NATO abzulehnen. Wie Harris oder gar der notorisch Ukraine-skeptische Trump – der erklärt hat, den Krieg nach einer Wahl innerhalb eines Tages beenden zu können – solche Pläne aufnehmen, bleibt abzuwarten.

Russland ist derweil nach verbreiteter Auffassung willens und in der Lage, den Krieg bis mindestens 2026 weiterzuführen. Verschiedentlich wird die Hoffnung geäußert, dass es dann Anfang dieses Jahres zu Problemen bei der personellen und materiellen Bedarfsdeckung kommen könnte, die Auswirkungen auf die Fortsetzung haben könnten. Wladimir Putin, der nach Beginn der Kursk-Offensive zunächst erklärt hatte, dass sich damit alle Verhandlungen erledigt hätten, ist zumindest seither kommentarlos zu seiner vorherigen Haltung „ständiger Gesprächsbereitschaft“ zurückgekehrt.


18. September 2024

Ukrainische Kursk-Offensive: Gegenoffensive und neue Angriffsachsen

Bei der ukrainischen Kursk-Offensive sind russische Streitkräfte mit ihrer vor einer Woche gestarteten Gegenoffensive aus westlicher Richtung (Soldat & Technik berichtete) nach eigenen Angaben innerhalb von drei Tagen etwa 13 Kilometer bis Ljubimowka vorgerückt und haben zahlreiche zuvor ukrainisch besetzte Ortschaften zurückerobert. Die Ukraine reagierte darauf mit einer neuen grenzüberschreitenden Angriffsachse im Rücken der russischen Kräfte und besetzte ein Gebiet südlich des Ortes Weseloje. Unklare Berichte gab es über Grenzverletzungen beider Seiten noch weiter westlich bei Tjotkino.

Diese Vorstöße scheinen mittlerweile weitgehend zum Stillstand gekommen. Im Norden des ursprünglichen Kampfgebiets konnten ukrainische Kräfte dagegen in den vergangenen Tagen weiteres zuvor umkämpftes Gelände zu beiden Seiten der Straße nach Lgow sichern. Russische Truppen zogen sich dort Richtung Scheptuchowka zurück. Andererseits rückten sie im Südwesten vor, nahmen offenbar die lange umkämpfte Ortschaft Borki ein und versuchen, dort weiter nach Westen vorzudringen.

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Lagebild am 17. September, 23:00 MESZ. Die russische Gegenoffensive im Westen des ursprünglichen Kampfgebiets hat die ukrainischen Kräfte vom Fluss Seim bis Ljubimowka zurückgedrängt. Auch im Südosten rückten die Russen vor und nahmen den lange umkämpften Ort Borki ein. Die Ukraine startete daraufhin einen neuen grenzüberschreitenden Vorstoß Richtung Veseloje weiter westlich. Auch im Norden entlang der Straße nach Lgow konnte sie weiteres Gelände sichern. Unklare Meldungen gibt es über Grenzverletzungen beider Seiten nahe des Ortes Tjotkino. (Bild: Google Maps/Boes)

Die Ukraine demonstriert mit der neuen Angriffsachse das von russischen Kommentatoren bereits seit Beginn der Kursk-Offensive befürchtete Potenzial zu weiteren Vorstößen auf russisches beziehungsweise russisch besetztes Gebiet. Trotz der relativ geringen Tiefe von maximal etwa sechs Kilometern scheint dies beträchtliche Auswirkungen zu haben. Zwar ist nicht sicher, dass die Bedrohung des rückwärtigen Raumes die russische Gegenoffensive zum Stehen gebracht hat. Am Montag dieser Woche ordneten die russischen Behörden jedoch die Evakuierung der Bevölkerung in den Kursker Rajons Rylsk und Chomutowka entlang der ukrainischen Grenze jenseits des Flusses Seim auf der neuen Angriffsachse an.

Die genaue Stärke beider Seiten im Abschnitt Kursk ist unsicher. Schätzungen gehen von 15.000 bis 30.000 ukrainischen und 30.000 bis 60.000 russischen Truppen aus. Allgemein wird eine zumindest zweifache Überlegenheit der russischen Kräfte angenommen. In diesem Fall wäre es ungewöhnlich, dass die Ukraine trotz Rückschlägen durch die russische Gegenoffensive insgesamt die Initiative behält und Russland durch Aktionen mit begrenzten Ressourcen das Handeln diktiert. Ein Faktor ist möglicherweise, dass die russischen Truppen weiterhin aus zusammengewürfelten Einheiten und Verbänden und, anders als in der besetzten Ukraine, zu einem erheblichen Teil aus Wehrpflichtigen bestehen.


11. September 2024

Ukrainische Kursk-Offensive: Fronten wieder in Bewegung

Bei der ukrainischen Kursk-Offensive gegen russisches Territorium sind die zuletzt zunehmend konsolidierten Frontlinien durch Vorstöße beider Seiten wieder in Bewegung geraten. Zunächst konnten die ukrainischen Streitkräfte einige weitere zuvor umkämpfte Geländeabschnitte sichern. Insbesondere gelang ihnen dies bei der Ortschaft Krasnooktjabrskoje am Ufer des Flusses Seim im Westen des Kampfgebiets, im Norden bei Kremjanoje und Pogrebki.

Am gestrigen Dienstag starteten dann russische Truppen im Westen, zwischen die der Vorstoß zum Seim einen Keil getrieben hatte, eine Gegenoffensive. Diese hat nach Angaben russischer Militärblogger die Gegend um Snagost – die damit zum vierten Mal den Besitzer gewechselt hätte – und entlang der von der ukrainischen Grenze dorthin führenden Straße wieder unter ihre Kontrolle gebracht, und die ukrainischen Kräfte bei Krasnooktjabrskoje eingekesselt. Bereits zuvor war es ihnen gelungen, die Ukrainer vom Ortsrand von Korenewo im Nordwesten sowie bei Ulanok im Südosten zurückzudrängen.

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Lagebild am 11. September um 11:00 MESZ. Im Westen gelang es ukrainischen Kräften zunächst, die Gegend um Krasnooktjabrskoje am Ufer des Seim zu sichern und damit einen Keil zwischen die russischen Truppen zu treiben. Jedoch wurden sie dort anschließend offenbar bei einer Gegenoffensive eingekesselt, die Snagost und die Straße dorthin wieder unter russische Kontrolle gebracht hat. Auch bei Korenewo und bei Ulanok im Südosten konnte Russland leichte Geländegewinne erzielen, bei Pogrebki im Norden und an einigen anderen Stellen rückte dagegen die Ukraine vor. (Bild: Google Maps/Boes)

Die punktuelle Kontrolle des Seim-Ufers durch die Ukraine hätte die Situation der russischen Truppen südlich des Flusses möglicherweise weiter verschlechtert. Bisher hielten sie sich trotz Zerstörung der festen Brücken und ständiger ukrainischer Angriffe auf provisorische Übergänge weiterhin. Mit dem Vorrücken auf die Straße von der ukrainischen Grenze nach Snagost und der erneuten Rückeroberung dieses Ortes drehen sie nun gewissermaßen den Spieß um. Sollten sich die russischen Meldungen bestätigen, hätte die Ukraine eine von zwei ausgebauten Nachschubrouten in das Kampfgebiet verloren.

Östlich und nördlich von Pogrebki konnte die Ukraine zuvor zwar Gelände entlang der Straße nach Lgow sichern, was wiederum die Möglichkeit der Umfassung dieses umkämpften Ortes eröffnet. Insgesamt war die Geschwindigkeit der ukrainischen Geländegewinne im Lauf der nun fünfwöchigen Offensive aber erheblich zurückgegangen. Es lassen sich bislang folgende Phasen unterscheiden:

  • Der anfängliche überraschende Vorstoß mit kleinen motorisierten Einheiten gegen schwache Verteidigung in den ersten Tagen nach dem 6. August bis Semenowka im Norden und Giri im Osten.
  • Russische Gegenangriffe mit der Rückeroberung einiger Ortschaften bei gleichzeitigen weiteren ukrainischen Vorstößen bis zu 35 Kilometer Tiefe und Begegnungsgefechten bei geringer Truppenstärke auf beiden Seiten in der zweiten Woche.
  • Klärung der Fronten und Konsolidierung der von beiden Seiten kontrollierten Gebiete aufgrund zunehmender Wiederherstellung des „gläsernen Gefechtsfelds“ mit omnipräsenten Überwachungs- und Wirkmitteln in den folgenden drei Wochen, wobei die Ukraine vorerst noch begrenzt die Initiative behielt.

Ob die Initiative mit den jüngsten Entwicklungen nun auf die russische Seite übergeht, bleibt abzuwarten. Beide Seiten haben mittlerweile erhebliche zusätzliche Kräfte zugeführt und erleiden gleichzeitig erhebliche Materialverluste. Die Ukraine muss daher entscheiden, ob sie mit etwa vorhandenen Reserven dieses Unternehmen weiter verstärken oder eine von russischer Seite befürchtete weitere Operation an anderer Stelle durchführen will.


4. September 2024

Ukrainische Kursk-Offensive: Weitere russische Frontbegradigungen

Bei der ukrainischen Kursk-Offensive klärt sich der Status von zuvor als umkämpft gemeldeten Gebieten zunehmend zugunsten der Ukraine. Russische Truppen zogen sich südlich der Stadt Sudscha, im Osten entlang der Straße nach Kursk sowie im Norden entlang der Straße nach Lgow aus einigen Geländeabschnitten zurück, um der drohenden Einkesselung zu umgehen. Umgekehrt konzentriert sich die Ukraine offenbar nur noch auf die erfolgversprechendsten Vorstöße und beschränkt sich auf das Halten anderer Frontabschnitte.

Damit nimmt das ukrainisch kontrollierte Gebiet eine grob rechteckige Form an. In dem hügeligen Gelände mit bis zu 150 Metern Höhenunterschied erfolgte das Vorgehen motorisierter Einheiten bislang weitgehend entlang der Straßen und Flusstäler, während die Hügelketten dazwischen durchaus weiter von russischer Infanterie besetzt sein konnten. In zwei nördlichen Ausläufern scheint dies weiterhin der Fall zu sein. Im Westen halten sich russische Kräfte trotz Nachschubproblemen durch Zerstörung der festen Brücken über den Fluss Seim in ihrem Rücken.

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Lagebild am 4. September um 00:00 Uhr MESZ. Ukrainische Truppen haben im Westen das Gelände südlich Snagost, im Norden nördlich Malaja Loknja, im Osten nördlich Martinowka sowie südlich Sudscha gesichert. Entlang der Straßen nach Rylsk, Lgow und Kursk sowie in Richtung des Flusses Seim im Westen und entlang der Linie Russkaja Konopelka-Borki-Oserki im Südosten wird weiterhin gekämpft. (Bild: Google Maps/Boes)

Umgekehrt melden russische Quellen erfolgreiche eigene Luft- und Artillerieangriffe auf Nachschubkolonnen und Waffensysteme im rückwärtigen ukrainischen Gebiet. Ein strategischer Erfolg der Offensive ist weiterhin nicht erkennbar. Im Donbass scheint der zuletzt beschleunigte russische Vormarsch auf die Schlüsselstadt Pokrowsk durch Verlegung einer zusätzlichen ukrainischen Brigade in diesen Abschnitt zwar zunächst gestoppt. Dies hat jedoch die Verteidigung in deren bisherigen Einsatzraum bei Wuhledar geschwächt und dort zu russischen Geländegewinnen geführt.

Pokrowsk liegt an einer strategisch wichtigen Straße, die der Versorgung ukrainischer Truppen im gesamten Frontabschnitt nördlich und teilweise südlich davon dient. Hinter der Stadt öffnet sich weitgehend flaches Grasland, das theoretisch eine mobile Kriegsführung zur Einnahme der restlichen offiziell von Russland annektierten Oblast Donezk ermöglichen würde. Ob eine solche Kriegführung allerdings Angreifer oder Verteidiger begünstigen würde, ist nicht sicher. Bislang hat in solchen Fällen die Ukraine die besseren Erfolge erzielt, Russland dagegen im langsamen methodischen Vorgehen gegen befestigte Linien.

In der Tat bleiben russische Quellen misstrauisch gegenüber den kürzlichen eigenen Erfolgen im Donbass und befürchten eine ukrainische Falle. Im Raum stehen weiterhin Vermutungen, dass die Ukraine mit zusätzlichen Reserven an ganz anderer Stelle gegen russisches oder russisch besetztes Gebiet zuschlagen könnte. Falls solche Reserven angesichts der kritischen Situation im Donbass überhaupt existieren, wäre mit einer entsprechenden weiteren Offensive innerhalb des nächsten Monats zu rechnen, da ansonsten die Regen- und Schlammperiode im Herbst den nutzbaren Zeitraum begrenzen würde.


28. August 2024

Ukrainische Kursk-Offensive: Klärung der Fronten

Bei der Kursk-Offensive gegen russisches Territorium ist es den ukrainischen Streitkräften gelungen, auch das bislang als umkämpft gemeldete Gelände südlich der kürzlich erneut von ihnen besetzten Ortschaft Snagost zu sichern. Dies ist möglicherweise eine Folge von russischen Nachschubproblemen nach Zerstörung der Brücken über den Fluss Seim. Zudem stößt die Ukraine westlich von Snagost zum Ufer des Seim vor. Sollte sie den Gegner damit abschneiden, würde sich dessen Lage am Südufer weiter verkomplizieren, was potenziell zur Aufgabe des Geländes zwischen dem Fluss und der ukrainischen Grenze mit einer Ausdehnung von etwa 40 Kilometern Breite und 30 Kilometern Tiefe führen und das ukrainisch besetzte Territorium knapp verdoppeln könnte.

Ebenso sicherte die Ukraine im Osten des Kampfgebiets die Orte Martinowka und Russkoje Porechnoje sowie kleinere Gebiete jeweils nordöstlich davon. Zudem versuchen ihre Streitkräfte russische Truppen südlich der Stadt Sudscha abzuschneiden. Noch weiter südlich haben sie dagegen offenbar die Vorstöße Richtung Giri zugunsten dieses Vorhabens vorerst aufgegeben. Auch im Norden sind ukrainische Angriffe bis auf fortgesetzte Kämpfe entlang der Straßen nach Lgow und Rylsk scheinbar zurückgefahren worden, was russischen Truppen ihrerseits die Sicherung kleinerer zuvor umkämpfter Gebiete ermöglicht hat. Der ukrainische Schwerpunkt verschiebt sich damit nach Westen auf das Südufer des Seim bei Konsolidierung der Geländegewinne im Norden und Osten.

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Lagebild am 28. August um 13:00 MESZ: Im Osten der Kampfzone versuchen ukrainische Kräfte, das von ihnen besetzte Gebiet zu konsolidieren. Im Norden unternehmen sie weiterhin Vorstöße entlang der Straßen nach Lgow und Rylsk. Ihre Haupterfolge verzeichnen sie derzeit im Westen in Richtung des Flusses Seim. (Bild: Google Maps/Boes)

In der südlich an die Oblast Kursk angrenzenden Region Belgorod haben russische Behörden inzwischen den Zugang zu vier grenznahen Dörfern aufgrund ukrainischer Angriffe auf zwei Kontrollpunkte gesperrt. Russische Quellen warnen derweil vor einer möglichen weiteren Offensive gegen die nordwestlich an Kursk angrenzende Oblast Brjansk. Dies ist im Zusammenhang mit kürzlichen Erklärungen des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko zu sehen, wonach die Ukraine Truppen in Stärke von 120.000 Mann an der nahegelegenen Grenze zu Belarus zusammengezogen habe, und er daraufhin eigene Kräfte in die Region verlegt habe. Die Ukraine hat darauf mit der Warnung vor „tragischen Fehlern“ reagiert und angekündigt, bei Grenzverletzungen alle nötigen Maßnahmen zur Selbstverteidigung ergreifen zu wollen.

Lukaschenko vollführt seit langem einen Balanceakt zwischen dem eigenen Machterhalt und dem Willen des übermächtigen Nachbarn Russland, mit dem Belarus seit 1999 als gemeinsamer „Unionsstaat“ mit einer 2021 beschlossenen Militärdoktrin verbunden ist. Während der Invasion der Ukraine 2022 nutzten russische Truppen auch belarussisches Territorium als Ausgangspunkt, nach dem Scheitern des damaligen Vorstoßes auf Kiew hat das Land aber wieder eine neutralere Rolle einzunehmen versucht. Einigen Berichten zufolge sind Soldaten seiner Streitkräfte jedoch an der Verteidigung von Kursk gegen die Ukraine beteiligt.

Inwiefern das beide Seiten zur Eröffnung neuer Fronten veranlassen könnte, ist spekulativ. Die von Lukaschenko genannte Zahl von 120.000 zusätzlichen ukrainischen Truppen in der Region erscheint zweifelhaft, da Schätzungen der an der Kursk-Offensive beteiligten Kräfte von einem Zehntel dieses Umfangs ausgehen. Hätte die Ukraine solche Reserven, würden sie vermutlich dort oder im Donbass eingesetzt, wo russische Truppen weiterhin vorrücken. Zudem warnen russische Quellen auch noch vor weiteren Truppenkonzentrationen im Süden der Ukraine, die angeblich auf Offensiven in der Region Saporischschja und/oder gegen die der Krim vorgelagerten Halbinseln gegenüber Odessa vorbereitet würden. Insofern sind solche Meldungen Ausdruck einer durch das ukrainische Vorgehen ausgelösten russischen Unsicherheit über die Gesamtlage.


22. August 2024

Ukrainische Kursk-Offensive: Leichte Geländegewinne für die Ukraine

Bei der ukrainischen Kursk-Offensive ist es der Ukraine gelungen, den in den ersten Tagen von russischen Truppen zurückeroberten Ort Snagost im Westen des Kampfgebiets erneut zu besetzen und auch Gelände westlich davon zu sichern. Die Lage südlich von Snagost, wo beide Seiten die Kontrolle über verschiedene Ortschaften für sich reklamieren, bleibt unklar. Im Osten konnten sich Teile russischer Einheiten durch Rückzug einer Einkesselung bei Martinowka entziehen. Auch nördlich und südlich davon rückten ukrainische Kräfte bei Russkoje Porechnoje und Russkaja Konopelka vor.

Im Norden bedrohen russische Truppen die Flanke der Straße Richtung Lgow, entlang der ukrainische Einheiten ihre bislang tiefsten Vorstöße unternehmen. Bislang ist es der Ukraine auch nicht gelungen, diese russische Kräfte abzuschneiden. Laut ukrainischen Angaben vom Anfang der Woche umfasste das besetzte russische Gebiet 1.165 Quadratkilometer und 93 Orte. Nach der Zerstörung aller Brücken über den Fluss Seim westlich der Kampfzone haben die russischen Streitkräfte Pontonbrücken eingerichtet, die jedoch ebenfalls ukrainischen Luft- und Artillerieangriffen unterliegen.

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Lagebild am 22. August um 13:00 Uhr MESZ. Im Westen des Kampfgebiets haben ukrainische Streitkräfte erneut den Ort Snagost eingenommen. Südlich davon ist die Kontrolle über mehrere Ortschaften unklar. Auch entlang der Straßen nach Rylsk, Lgow und Kursk sowie südöstlich der Stadt Sudscha sind zahlreiche Orte umkämpft. (Bild: Google Maps/Boes)

Insgesamt gleicht sich das Tempo der Offensive dem des russischen Vorrückens im Donbass mit vertauschten Rollen an. Nachdem die Ukraine die schwache Grenzsicherung und das Ignorieren ihres Aufmarschs durch höhere russische Kommandoebenen für ihren Angriff Richtung Kursk nutzen konnte, scheint nunmehr das „gläserne Gefechtsfeld“ mit seiner beidseitigen Omnipräsenz von Drohnen und anderen Aufklärungs- und Wirkmitteln wiederhergestellt zu werden. Sofern keine Seite signifikante weitere Kräfte zuführt oder Versorgungsprobleme bekommt, dürfte sich das Kampfgeschehen weiter verlangsamen.

In russischen Medien herrscht jedoch weiterhin die Sorge, dass sich zusätzliche ukrainische Kräfte der Aufklärung entziehen und zum Einsatz für neue Angriffe entweder entlang der Grenze zu den Oblasten Brjansk, Kurs und Belgorod, oder gegen die besetzten Gebiete im Süden der Ukraine gebracht werden könnten. Angesichts der vieldiskutierten Personal- und Materialprobleme der Ukraine scheint dies zweifelhaft. Es zeigt jedoch die Unsicherheit in der russischen Öffentlichkeit über die eigene Stärke ohne eine umfassende Mobilisierung, die mit den bekannten innenpolitischen Problemen verbunden wäre.


19. August 2024

Ukrainische Kursk-Offensive: Konsolidierung der Kampfzone

Im Rahmen der ukrainischen Kursk-Offensive konsolidiert sich das Kampfgebiet, da beide Seiten gegenwärtig keine ausreichenden Kräfte für entscheidende Vorstöße zu haben scheinen. An zwei Stellen könnte es der Ukraine jedoch möglicherweise gelingen, russische Truppen abzuschneiden, falls sie im Norden die Verbindung zwischen den Orten Schurawli und Kautschuk, im Westen zwischen Wnesapnoje und Snagost herstellt.

In den vergangenen Tagen gelang es der ukrainischen Seite zudem, westlich von Snagost alle Brücken über den Fluss Seim mit Raketen- und Luftangriffen ganz oder teilweise zu zerstören, was den russischen Nachschub auf das Südufer und die weitere Evakuierung der Bevölkerung nach Norden stark behindert. Im Südwesten der Oblast Kursk bei Tjotkino zogen sich russische Truppen Militärbloggern zufolge von einem schwer zu verteidigenden schmalen Streifen zwischen dem Seim und der ukrainischen Grenze zurück und sprengten weitere drei Brücken hinter sich.

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Lagebild am 19. August um 13:00 MESZ. Bei weitgehend unveränderter Ausdehnung besteht für russische Truppen im Norden und Westen des Kampfgebiets die Gefahr, abgeschnitten zu werden. Die Kontrolle über den Ort Apanasowka ist derzeit unklar. Westlich davon sind alle Brücken über den Fluss Seim ganz oder teilweise zerstört, entweder durch ukrainische Angriffe oder bei Tjotkino durch vom Westufer zurückgehende russische Truppen. (Bild: Google Maps/Boes)

Obwohl Russland mittlerweile rund 200.000 Einwohner aus dem Kampfgebiet evakuiert hat, scheint die ukrainische Offensive soweit ersichtlich keinen merklichen innenpolitischen Druck auf Putin erzeugt zu haben, die Situation schnellstmöglich zu bereinigen. Die persönliche Verantwortung für die anfänglich fehlende Kommunikation zwischen den zusammengewürfelten Einheiten verschiedener Organisationen hat er vergangene Woche seinem aus der Region stammenden ehemaligen Leibwächter, späterem Vize-Verteidigungsminister und jetzigem persönlichen Berater Alexei Djumin übertragen.

Insbesondere zieht Russland weiterhin keine größeren Verbände von der Donbass-Front ab, wo sich das Tempo des Vormarsches gegen die geschwächten ukrainischen Verteidiger sogar erhöht hat, wenn auch auf immer noch niedrigem Level. Hier besteht die Gefahr, dass russische Truppen wichtige Versorgungswege abschneiden und die Stadt Tschasiw Jar einnehmen, die als Tor zum bislang unbesetzten westlichen Teil des Donbass gilt.

Interessant ist, dass russische Medien Warnungen vor angeblichen ukrainischen Angriffsplänen mit einer „schmutzigen Bombe“ auf die Atomkraftwerke Kursk und Saporischschja verbreiten, um in einer „false flag operation“ dann Russland für die radioaktive Verseuchung verantwortlich zu machen. Ähnliche Meldungen gab es im Herbst 2022, als die russische Position nördlich des Dnepr bei Cherson in der Südukraine unhaltbar wurde.

Nicht bekannt wäre bis jetzt, dass russische Regierungsmitglieder wie damals direkt ihre westlichen Gegenparts mit solchen Vorwürfen gegen die Ukraine angerufen hätten. Dies wurde seinerzeit als vorbereitende Rechtfertigung für den möglichen Einsatz russischer Nuklearwaffen als „Antwort“ gedeutet und zog Warnungen vor einer entschiedenen Reaktion der USA auf ein solches Vorgehen nach sich. In der Folge gab Russland Cherson auf und zog seine Truppen auf das Südufer des Dnepr zurück.


15. August 2024

Ukrainische Kursk-Offensive: Begegnungsgefechte bei geringer Truppenstärke

Innerhalb des von der Kursk-Offensive der Ukraine erfassten russischen Territoriums unternehmen beide Seiten weiterhin wechselseitige Vorstöße, wobei die jeweils eingesetzten Kräfte keine entscheidende Ausdehnung zusammenhängender Kontrolle zuzulassen scheinen. Russland hat offenbar bislang keine signifikanten Truppen aus dem Donbass abgezogen, was ein mögliches Ziel der ukrainischen Offensive war. Dort geht der langsame, aber stetige russische Vormarsch vorerst weiter.

Stattdessen verlegt Moskau offenbar Verbände aus weit entfernten Regionen, so nach litauischen Berichten aus Kaliningrad. Wie früher erwähnt, soll der Einsatz von Einheiten mit größeren Anteilen Wehrpflichtiger auch auf eigenem Gebiet offenbar aus innenpolitischen Gründen möglichst vermieden werden. Südlich der Stadt Lgow und des Kernkraftwerks Kursk bereiten russische Kräfte eine Verteidigungslinie als mögliche Rückfallposition vor.

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Lagebild am 15. August um 12:00 MESZ. Die Ukraine behält vorläufig trotz begrenzter Kräfte durch wiederholte Vorstöße die Initiative, festigt die Kontrolle über das Kampfgebiet aber nur langsam. Im Norden wird die Ortschaft Semenowka als besetzt gemeldet, nicht jedoch der Weg dorthin entlang der Straße nach Lgow. (Bild: Google Maps/Boes)

Insgesamt erstreckt sich das Kampfgebiet über eine Breite und Tiefe von jeweils rund 50 Kilometern. Nach ukrainischen Angaben sind 1.000 Quadratkilometer russisches Gebiet mit 78 Ortschaften besetzt, während Russland von 28 Orten spricht. Die Kontrolle der Kleinstadt Sudscha durch ukrainische Truppen kann mittlerweile als gesichert gelten. Südlich davon operieren sie trotz russischer Gegenangriffe bis zu den Ortschaften Giri und Oserki, nördlich in Richtung Kursk bis Bolschoje Soldatskoje und Richtung Lgow bis Kromskie Byki.

Im Nordwesten bleibt das Gebiet zwischen Snagost, Krasnookjabrskoje, Tolpino und Schurawli umkämpft. Unmittelbar an der russisch-ukrainischen Grenze westlich von Sudscha haben ukrainische Kräfte Gorde’evka eingenommen und unternehmen Vorstöße in nördlicher Richtung bis Bjachowo. Westlich dieses Gebiets haben russische Behörden weitere Evakuierungen der Zivilbevölkerung angeordnet.

Russische Absicht könnte sein, die ukrainische Offensive auch um den Preis von bislang 180.000 aus dem Kampfgebiet evakuierten Bewohnern mit geringstmöglichen Mitteln einzudämmen und weiter darauf zu hoffen, dass die eigene angespannte Gesamtsituation die Ukraine langfristig zum Rückzug an allen Fronten zwingt. Russische Militärblogger befürchten allerdings weiterhin, dass ukrainische Kräfte zusätzliche Vorstöße über ungenügend geschützte Grenzabschnitte der Oblaste Kursk und Belgorod unternehmen könnten, wodurch die Lage außer Kontrolle geraten könnte.


12. August 2024

Ukrainische Kursk-Offensive: Russische Gegenangriffe und neue Vorstöße

Bei der Kursk-Offensive der ukrainischen Streitkräfte auf russischem Gebiet (Soldat & Technik berichtete) hat sich die Lage leicht stabilisiert, bleibt aber unübersichtlich. Die Ukraine hält gegenwärtig ein Gebiet von 40 bis 50 Kilometer Breite und bis zu 20 Kilometer Tiefe, das sich vor allem westlich und südlich der Kleinstadt Sudscha erstreckt. Russische Truppen sind zu Gegenangriffen angetreten und haben zumindest zweitweise zwei zuvor als ukrainisch besetzt gemeldete Ortschaften zurückgewonnen. Mittlerweile hat die Ukraine südlich von Sudscha einen neuen Vorstoß in östliche Richtung unternommen und in der Nacht zum Montag noch weiter südlich einen Angriff von eigenem Gebiet auf den Grenzübergang Kolotilowka zur russischen Oblast Belgorod gestartet.

Russland hat in der Oblast Kursk eine Anti-Terror-Operation erklärt, wonach die Gesamtverantwortung nicht beim Militär, sondern dem Inlandsgeheimdienst FSB liegt. Rund 80.000 Einwohner wurden bislang aus der grenznahen Gegend evakuiert. Evakuierungen in der Oblast Belgorod, die bereits häufiger Ziel ukrainischer Luft- und Artillerieangriffe sowie von Unternehmen „russischer Exil-Freiwilligenverbände“ gegen Grenzdörfer war, kommen nun hinzu. Russischen Berichten zufolge wurden Einheiten verschiedener Organisationen aus Gebieten bis hin zu Saporischschja im Süden der Ukraine zur Abwehr der Offensive in den Abschnitt Kursk verlegt, was zu erheblichen Koordinierungsproblemen führt.

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Lagebild am 12. August um 12:00 MESZ. Die Kontrolle über die Stadt Sudscha ist unklar. Nordöstlich davon ist die Ortschaft Martinowka umkämpft. Im Nordwesten und Süden unternehmen die ukrainischen Streitkräfte Vorstöße bis zu 30 Kilometer Tiefe von der Grenze. Im Westen haben russische Streitkräfte den Ort Snagost zurückgewonnen. (Bild: Google Maps/Boes)

Das Kampfgeschehen konzentriert sich gegenwärtig offenbar auf ein Gebiet nördlich von Sudscha, das entgegen früherer Meldungen nicht von der Ukraine besetzt wurde, sondern selbst im umkämpften Gebiet liegt. Aufgrund der mobilen ukrainischen Operationsführung mit kleinen motorisierten Einheiten ist die Kontrolle über mehrere Ortschaften nördlich der Stadt derzeit ebenfalls unklar. Plötzlich in weiter entfernt liegenden Dörfern auftauchende Gruppen auf drei bis sechs leichten Fahrzeugen und Unklarheit über die Entfernung von Gefechtslärm tragen zur Verunsicherung der russischen Bevölkerung bei.

Inzwischen hat die ukrainische Regierung ihr anfängliches Schweigen gebrochen und erklärt, dass die Offensive die fortbestehende Angriffsfähigkeit der eigenen Streitkräfte zeigen und den Krieg auf das Territorium des Aggressors tragen solle. Ziel dürfte weiterhin sein, Russland ebenso zur Schwächung anderer Frontabschnitte zu zwingen wie dies die russische Offensive Richtung Charkiw im Mai für die Ukraine bewirkte, sowie die Glaubwürdigkeit Putins als Kriegsherr und die öffentliche Unterstützung für die Fortsetzung des Krieges in Russland zu unterminieren. Zudem eröffnet die Besetzung russischen Territorium die Möglichkeit für einen Gebietsaustausch in eventuellen Friedensverhandlungen.


8. August 2024

Ukraine startet Offensive Richtung Kursk auf russischem Gebiet

Am Morgen des 6. August begannen die Streitkräfte der Ukraine überraschend eine Offensive gegen die russische Oblast Kursk. Obwohl dies nicht die erste ukrainische Bodenoperation auf Russlands eigenem Territorium ist, sind Umfang und Qualität bislang beispiellos. Zuvor handelte es sich bei solchen Unternehmungen meist um schnelle Überfälle auf grenznahe Ortschaften, die offiziell von russischen Exil-Freiwilligenverbänden durchgeführt wurden und vor allem Propagandazwecken dienten. An der jetzigen Offensive sind dagegen Berichten zufolge vier reguläre ukrainische Brigaden und Teile von vier weiteren beteiligt, die auch mit westlichen Waffensystemen ausgerüstet sind.

Demzufolge handelt es sich in erster Linie um die 22. und 61. Mechanisierte Brigade sowie die 80. und 82. Luftsturmbrigade. Entgegen der Traditionsnamen sind auch die beiden letzteren mechanisierte Verbände. So wurde die 82. Luftsturmbrigade im vergangenen Jahr mit britischen Challenger Kampfpanzern, deutschen Marder Schützenpanzern und amerikanischen Stryker Mannschaftstransportwagen ausgestattet und während der ukrainischen Sommeroffensive bei Robotyne im Süden des Landes für einen letztlich nicht erfolgreichen Durchbruch in Reserve gehalten. Es handelt sich hier also um kampferfahrene Verbände.

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Lagebild am 8. August um 16.00 Uhr MESZ. Russischen Militärbloggern zufolge haben die ukrainischen Streitkräfte die Orte Sudscha und Martinowka eingenommen und rücken entlang der Straßen nach Lgow und Kursk vor. (Bild: Google Maps/Boes)

Nach dem Überschreiten der russischen Grenze zunächst in gemeldeter Bataillonsstärke rückten diese auf die 13 Kilometer entfernte Stadt Sudscha vor, die am Mittag des 8. August als eingenommen galt. Widerstand erfolgte vor allem durch russische Grenztruppen, einen Reserveverband der regulären Streitkräfte sowie die Achmat-Truppen des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow, die mittlerweile der russischen Nationalgarde angehören. Ein starkes ukrainisches Aufklärungsunternehmen entlang der Straße in Richtung des rund 55 Kilometer nordwestlich gelegenen Rylsk zog sich offenbar nach Verlusten zurück.

Stattdessen stießen die Ukrainer im Lauf des 8. sowohl in nördlicher Richtung auf das 50 Kilometer entfernte Lgow als auch nach Nordosten Richtung Kursk in knapp 90 Kilometer Entfernung vor. Am Nachmittag des Tages wurden Gefechte auf etwa der Hälfte des Weges nach Lgow gemeldet, rund 30 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Anders als während der ukrainischen Sommeroffensive letzten Jahres gegen tiefgestaffelte vorbereitete Verteidigungslinien mit ausgedehnten Minenfeldern, überwacht von weitreichenden russischen Waffen und Kampfhubschraubern, scheinen die Angreifer hier zu einer mobilen Operationsführung unter Umgehung feindlicher Schwerpunkte in der Lage zu sein.

Das Ziel der Offensive bleibt derweil unklar. Die Regierung in Kiew macht hierzu keine Angaben. Der Versuch, mit den eingesetzten Truppen die Großstadt Kursk einzunehmen, scheint ebenso aussichtslos wie entsprechende Vermutungen bezüglich Charkiws bei der russischen grenzüberschreitenden Offensive in dessen Richtung weiter südlich im Frühjahr. Spekuliert wird über das Atomkraftwerk Kursk, das tatsächlich näher bei Lgow am Ufer des Flusses Seim liegt. Möglich ist auch der Versuch, sich ein territoriales Faustpfand für einen Tausch besetzter Gebiete bei möglichen Friedensverhandlungen zu verschaffen.

Überraschend ist vor allem, dass die Ukraine kampfkräftige Truppen in signifikanter Stärke für solch ein gewagtes Unternehmen einsetzt, während sie zwar die russische Offensive bei Charkiw gestoppt hat, jedoch im Donbass langsame aber stetige Gebietsverluste erleidet. Allerdings zeigt der Vorstoß auch, dass beide Seiten im Verhältnis zur Größe des Kriegsgebiets mit weit überdehnten Kräften operieren und gegenüber gegnerischen Truppenkonzentrationen an schwach verteidigten Abschnitten verwundbar sind. Obwohl Russland auf eigenem Gebiet anders als bei der „militärischen Spezialoperation“ in der Ukraine auch Wehrpflichtige einsetzen kann, sind größere Verluste unter diesen in einer weiteren Abnutzungsschlacht für Moskau aus innenpolitischen Gründen möglicherweise nicht hinnehmbar.

Stefan Axel Boes